Wirtschaft | Fachkräfte

Arbeit gibt’s genug, Arbeiter nicht

Südtirol braucht dringend (qualifizierte) Arbeitskräfte. Seit einigen Jahren tüftelt die Handelskammer deshalb an einer Lösung. Doch wie soll diese aussehen?
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Foto: Mercato del lavoro news
  • Europa steht vor einer großen Herausforderungen: einerseits die alternde Gesellschaft und andererseits der Mangel an Arbeitskräften. Südtirol wird künftig mit weniger Arbeitskräften die gleiche Leistung wie heute erbringen müssen. Zwischen 2011 und 2023 haben 14.000 junge Südtirolerinnen und Südtiroler die Provinz verlassen – nur einer von fünf konnte durch eine Person aus dem Ausland ersetzt werden. Das Problem ist bekannt.

    Bei seiner letzten Pressekonferenz als Präsident des Unternehmerverbandes fand Heiner Oberrauch deutliche Worte. „Wir brauchen eine gezielte und qualifizierte Migration, um unsere Sanität und das Sozialsystem aufrechtzuerhalten.“ Bereits im Rahmen der Jahreshauptversammlung des Unternehmerverbandes 2024 hatte der Oberalpchef die Herausforderung betont. Damals bekundete er, dass Südtirol in den kommenden 10 Jahren 85.000 potenzielle Mitarbeiter verlieren wird und lediglich 55.000 nachkommen werden. Das Problem ließe sich nur lösen, wenn man die Gesellschaft und vor allem auch die Jugend stärker in die Arbeitswelt einbezieht und eben auf „qualifizierte Zuwanderung“ setzt.

     

    „Die Frage, die wir uns stellen müssen, ist, wie wir unseren derzeitigen Wohlstand aufrechterhalten können.“

     

    Bei seiner letzten Pressekonferenz sprach Oberrauch der IDM die Aufgabe zu, Südtirol im Ausland nicht nur an Touristen zu vermarkten, sondern auch als Arbeitgeberland. Tatsächlich beschäftigt sich die Handelskammer schon seit einigen Jahren mit dieser Thematik. 
    Im Jahr 2022 entschied man sich bewusst dagegen, aktiv Werbung zu betreiben, und stattdessen dafür, Südtirol zu dem Ort zu machen, den man den Arbeitskräften versprechen möchte – sowie das bereits vorhandene Potenzial des lokalen Arbeitsmarktes bestmöglich zu nutzen. „Wir wissen schon seit vielen Jahren, dass Südtirol einen Arbeits- und Fachkräftemangel hat“, so die Direktorin des Amtes für Innovation, gewerbliche Schutzrechte und Unternehmensentwicklung der Handelskammer, Irmgard Lantschner. Um dies zu belegen, reiche bereits ein Blick auf die demografische Entwicklung der Provinz: Die Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter sowie die Geburtenrate nimmt ab. „Die Frage, die wir uns stellen müssen, ist deshalb, wie wir unseren derzeitigen Wohlstand aufrechterhalten können“, erklärt Lantschner. Sie macht ein Beispiel: 2004 kamen auf einen Pensionisten vier Erwerbstätige, heute sind es drei. In den Jahren 2040 bis 2050 werden es noch zwei sein. Die Folgen des Arbeitskräftemangels spüre, Lantschner zufolge, die Zivilbevölkerung – zum Beispiel durch geschlossene Bars oder wenn Busfahrten ausfallen. Dass Südtirol Arbeitnehmer aus dem Ausland braucht, stehe außer Frage.

  • Irmgard Lantschner: „Wir sind ein tolles Urlaubsland – ein Geschenk der Natur voller fleißiger, gastfreundlicher Leute. Doch als Arbeitsstandort haben wir auch viele Nachteile.“ Foto: Privat
  • Vier Schritte zur Lösung des Problems (?)

    Vor drei Jahren startete die Handelskammer mit vier konkreten Ansätzen, um den Südtiroler Arbeitsmarkt zu unterstützen beziehungsweise zu entlasten. Wie bereits erwähnt, wurde entschieden, Südtirol dahingehend nicht als Marke im Ausland zu bewerben, sondern lokal anzusetzen – in vier definierten Handlungsfeldern. „Wir müssen uns den Spiegel vorhalten: Wir sind ein tolles Urlaubsland – ein Geschenk der Natur voller fleißiger, gastfreundlicher Leute. Doch als Arbeitsstandort haben wir auch viele Nachteile“, so die Analyse der Handelskammer. Wie Lantschner ausführt, lassen sich diese Nachteile einfach betiteln: ein nicht ganz insignifikanter Gap zwischen Einstiegsgehältern und Lebenshaltungskosten sowie hohe Wohnkosten. Die Mehrsprachigkeit sei oftmals ein zusätzliches Hindernis für Arbeitskräfte aus dem Ausland.

    Das erste der Handlungsfelder ist die Unterstützung der Unternehmen, damit sie ihre eigene Arbeitgeberattraktivität stärken. Denn der Arbeitsmarkt habe sich verändert, so Lantschner. Heute müssten sich die Unternehmen aktiv um den Mitarbeiter bemühen und nicht umgekehrt wie noch vor Jahren. „In einer Wohlstandsgesellschaft haben Arbeitskräfte – vor allem junge – gesteigerte Erwartungen an ihren Arbeitsplatz, das Recruiting hat sich verändert“, weiß die Expertin. Diese gingen dabei über Gehalt und Ähnliches hinaus und würden auch Aspekte wie Wertschätzung oder Work-Life-Balance betreffen. Um Arbeitgeber dahingehend zu schulen und sie hinsichtlich der veränderten Anforderungen und Begebenheiten des Marktes zu unterstützen, bietet die Handelskammer verschiedene Bildungs-, Beratungs- und Informationsangebote. Das Ziel: Unternehmen beim Anwerben und Halten von Mitarbeitern unterstützen.

     

    „Es wäre schade, wenn wir es nicht schaffen würden, einen Teil der 4.000 Studierenden unserer lokalen Uni hier in die Arbeitswelt zu integrieren.“

     

    Der zweite Bereich ist der Kontakt zu Studenten und Hochschülern. „Wir verlieren jährlich viele junge Menschen, die ins Ausland gehen, um dort zu arbeiten oder zu leben. Und nur ein kleiner Teil kommt wieder zurück. Das ist der sogenannte Brain-Drain“, analysiert Lantschner. Die Zahl dieser Auswanderer beziffert sie auf 1.500 bis 2.000 jährlich. Trotzdem steige zwar die Erwerbstätigenzahl Jahr für Jahr, jedoch nur aufgrund von Zuzug aus anderen italienischen Regionen oder dem Ausland. Das Problem: Diese Arbeitnehmer weisen meist eine geringere Qualifikation auf als jene, die auswandern. Kontakt zu jenen, die Südtirol für das Ausland verlassen, ist der Handelskammer zufolge deshalb von maßgeblicher Bedeutung. „Aufgrund dessen organisieren wir in einigen Universitätsstädten im Ausland seit einigen Jahren die sogenannten Talente-Aperitifs, bei denen sich Südtiroler Unternehmen mit den jungen Menschen in Verbindung zu setzen.“ Das Angebot sei beliebt, wie Lantschner hinzufügt. Ein Aspekt, der im Rahmen der Initiative immer wieder angesprochen wurde, sei folgender: Es komme oft vor, dass die Teilnehmer der Aperitifs Interesse daran äußern, wieder in die Heimat zurückzukehren. Es gebe jedoch zwei bezeichnende und einflussreiche Argumente, dies nicht zu tun: der fehlende leistbare Wohnraum und die im Vergleich zum Ausland niedrigeren Einstiegsgehälter.
    Um das Netzwerk so groß wie möglich zu halten, pflegt die Handelskammer in diesem Teilbereich Kooperationen mit dem KVW, Südstern und der Universität Bozen. „Es wäre schade, wenn wir es nicht schaffen würden, einen Teil der 4.000 Studierenden unserer lokalen Uni hier in die Arbeitswelt zu integrieren“, betont Lantschner. In diesem Zusammenhang werden auch dort Tage organisiert, an denen sich Unternehmen vorstellen. Lantschner würde es außerdem begrüßen, wenn es mehr duale Studiengänge mit einer Kombination aus Arbeit und Studium geben würde.

     

    Jeder hat auch ein Leben außerhalb der Arbeit. In dieser Zeit will er sich in die Gesellschaft integriert und aufgenommen fühlen.“

     

    Bereich drei ist, das im Land schlummerndes Arbeitspotential besser zu nutzen. Eine große Gruppe: Frauen und junge Mütter. „Laut Astat gibt es pro Jahr knapp 900 junger Mütter, die im ersten Lebensjahr ihres Kindes den Arbeitsplatz kündigen und dann Arbeitslosengeld beanspruchen. Aus dem Grund, dass das attraktiver ist, als in Teilzeit zu arbeiten. Jede Frau soll selbst entscheiden, aber es kann nicht sein, dass es finanziell attraktiver ist, nicht zu arbeiten“, weiß die Handelskammer-Vertreterin. Auf das Potenzial der jungen, oft gut ausgebildeten Frauen könne und dürfe Südtirol nicht verzichten. Die Unternehmen seien daher gefordert, flexible und attraktive Teilzeitmodelle zu etablieren und eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu bieten.

    Den letzten Pfeiler stellt schließlich eine Anlaufstelle für Personen, die aus Arbeitsgründen entscheiden, nach Südtirol zu ziehen, dar. Diese versteht sich darin, den betroffenen Personen mit nützlichen Informationen unter die Arme zu greifen und ihnen bei der ersten Orientierung zu helfen. Konkret geht es dabei um Fragen zum Beispiel zum öffentlichen Verkehr, zum Spid oder zu Sprachkursen. „Es geht um jene Antworten, die jemand braucht, damit der Alltag neben dem Beruf reibungslos starten kann“, meint Lantschner. Dies stehe auch in Verbindung mit einer gesunden Willkommenskultur, damit sich die Neuankömmlinge hier auch wohlfühlen. „Jeder hat auch ein Leben außerhalb der Arbeit. In dieser Zeit will er sich in die Gesellschaft integriert und aufgenommen fühlen.“

  • Die Handelskammer: Seit drei Jahren läuft die Initiative zur Entlastung des Arbeitsmarktes.
  • Wo steht Südtirol aktuell?

    Lantschner sieht in Südtirol eine leistungsorientierte Gesellschaft. Wer dieses System versteht, könne in Südtirol viel erreichen, meint sie. Der Standort sei somit attraktiv für jene Menschen, die dieses Arbeitsumfeld suchen. 

    Die Handelskammer setzt derzeit darauf, Südtirols Potenzial besser zu nutzen, anstatt im Ausland groß die Werbetrommel zu rühren. Die vier Pfeiler laufen unter der Initiative „Work in Südtirol“. Ob es künftig dann doch so weit kommen wird, dass Südtirol auch auf gezielte Werbung setzt, kann Lantschner zu diesem Zeitpunkt nicht sagen, doch sie betont noch einmal: „Ohne Arbeitskräfte aus dem Ausland wird es nicht gehen.“ Viel werde zukünftig deshalb davon abhängen, wie gut zugewanderte Arbeitskräfte integriert werden.

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Stereo Typ Do., 03.07.2025 - 20:58

„Die Frage, die wir uns stellen müssen, ist deshalb, wie wir unseren derzeitigen Wohlstand aufrechterhalten können“, erklärt Lantschner.
Nein, das ist nicht die Frage.
Schuld an der Misere ist auch nicht der Brain-Drain.
Es müssen auch nicht zwingend mehr Frauen in Arbeit gebracht werden.
Es braucht auch nicht ständig mehr Arbeitskräfte aus dem Ausland.
Was es braucht, sind mehr Kinder, also eine höhere Geburtenrate. Und eine entsprechende Familienpolitik. Gebt jedem Paar, das Kinder in die Welt setzt, ein Willkommenspaket von 2.000 Euro für jedes Kind. Gebt ihnen Kindergeld von 250 Euro pro Kind monatlich, mindestens bis zur Volljährigkeit. Gebt den Vätern, wenn sie in Vaterschaft gehen und zu Hause beim Kind bleiben, das volle Gehalt, oder wenigstens 80 Prozent. Hebt die Gehälter und Löhne aller (nicht nur das der Führungskräfte) um 30 Prozent an. Verkauft Südtirol nicht an Lobbys und den Tourismus. Sorgt für günstiges Wohnen.
Dann wird's auch wieder mit dem Fachkräftemangel, und das Problem stellt sich erst gar nicht.

Do., 03.07.2025 - 20:58 Permalink
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Manfred Klotz Fr., 04.07.2025 - 06:37

Antwort auf von Stereo Typ

Nächster Schritt "Lebensborn" oder?
Die moderne Gesellschaft ist keine "Legebatterie" mehr, dazu hat sich die Einstellung der Menschen zur Gestaltung des eigenen Lebens zu stark verändert. Es ist in keinem Fall so, dass finzielle Vorteile das Problem von alleine lösen werden, da die Familie vielfach ein Hindernis im Ausleben der individuellen Freiheit ist. Das Ziel, Spaß zu haben und ein angenehmes Leben zu führen, ist als Single, oder höchstens als kinderloses Paar, wesentlich leichter zu verwirklichen.
Sogar die ultrarechte italienische Regierung hat verstanden, dass sie sich mit dem Slogan "Ausländer raus" oder "Blocco navale", ins Knie schießt. Nicht umsonst sollen in den kommenden drei Jahren 500.000 ausländische Arbeitskräfte ins Land kommen.

Fr., 04.07.2025 - 06:37 Permalink
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Milo Tschurtsch Fr., 04.07.2025 - 13:33

Antwort auf von Manfred Klotz

Es gäbe genügend Familien die sich mehrere Kinder wünschen es aber wegen der „Umstände“ nicht hinbekommen.
Denn wenn jungen Familien bloß Miniwohnungen übereindergestapelt mit kaum Grünflächen und das noch überteuert zur Verfügung gestellt werden, wo höchstens Platz für ein Kind ist, dann braucht es einen nicht zu wundern.
Weiters reichen oft zwei Gehälter nicht mehr aus um etwas größere Familien zu erhalten, dazu die ständige Teuerung usw. usf.
Aber wenn das Angebot an Baumöglichkeiten begrenzt wird ( weil die Stauden wichtiger sind als die Familien) und somit Baugrund und Baukosten für Durchschnittsverdiener unfinanzierbar werden, sind die Folgen eben jene.
Denn die meisten jungen Leute sehen immer noch das Gründen einer Familie als prioritäres Lebensziel an, das zeigen alle Umfragen. Denn ein bloß vordergründiger
hedonistischer Lebensstil sowie ein auf reinen Materialismus ausgerichtetes Lebensziel stellt für die meisten jungen Leute nicht die ultimative Befriedigung dar.
Und die Lösung mit den qualifizierten Arbeitskräften aus dem Ausland wird halt auch längerfristig nicht der Weisheit letzter Schluss sein, verzeichnen doch alle jetzt schon mehrjährig ein Geburtendefizit, manche wie Deutschland schon von zum Teil über 300.000 im Vergleich zu den Todesfällen.
Nachdem der Trend zeigt dass andere Kontinente zunehmend selbst auf ihre Arbeitskräfte angewiesen sind, ist Handlungsbedarf angesagt, wollen wir unseren Wohlstand erhalten.

Fr., 04.07.2025 - 13:33 Permalink
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Stefan S Fr., 04.07.2025 - 15:04

Antwort auf von Milo Tschurtsch

"das zeigen alle Umfragen."
Na dann, bitte Quellen!
Und bitte nicht solche, wie wichtig ist mir die Familie usw., das hat wenig mit Kinderwunsch gemein.
Und wenn wir schon bei Umfragen sind. Je höher der Wohlstand umso niedriger die Geburtenrate. Die Studien dazu dürfen Sie selber suchen. Und hoffentlich merken Sie dann auch welchen Unterschied es zwischen Wunsch (Umfrage) und Wirklichkeit (Studie) gibt

Fr., 04.07.2025 - 15:04 Permalink
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Konny Fr., 04.07.2025 - 13:38

Antwort auf von Manfred Klotz

Bei Ihrer Logik frage ich mich, weshalb schickt man dann die Leute von anderen Regionen und Provinzen alle zu uns nach Südtirol?, - wenn man diese Leute frägt bekommt man zur Antwort, weil es bei Ihnen keine Arbeit gibt; und sie haben nichts anderes zu tun und quasseln was von Arbeitskräftemangel, do haperts wohl an Bildung - wie bei Ihnen auch!

Fr., 04.07.2025 - 13:38 Permalink
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Stefan S Do., 03.07.2025 - 21:39

"Es müssen auch nicht zwingend mehr Frauen in Arbeit gebracht werden.
Es braucht auch nicht ständig mehr Arbeitskräfte aus dem Ausland.
Was es braucht, sind mehr Kinder, also eine höhere Geburtenrate. Und eine entsprechende Familienpolitik."
Echt jetzt?!
Boaaah ich möchte gar nicht schreiben nach was sich dies anhört. Weih weih weih

Do., 03.07.2025 - 21:39 Permalink
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Salto User
Josef Fulterer Fr., 04.07.2025 - 07:04

Die WIRTSCHAFT SÜDTIROLs braucht nach nach den Vorstellungen der Handelskammer, ausreichend Menschen die bereit sind, für HUNGER-LÖHNE die Landschaft zu erhalten (... zockt die Berbauern als Unternehmer ab ...), den Dreck weg zu putzen
(... den die blühende Wirtschaft verursacht) + die viele Arbeit -g r a t i s- / Ehrenamt-lich zu erledigen, mit der die NEO-LIBERALE WIRTSCHAFT die ERTRÄGE nach ganz
-o b e n- schaufelt!

Fr., 04.07.2025 - 07:04 Permalink
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opa1950 Fr., 04.07.2025 - 10:02

Man müsste die Arbeiterinnen und Arbeiter nur normal und halbwegs gut bezahlten. Arbeitskräfte gäbe es in Südtirol mehr als genug. Aber die Unternehmer schauen nur auf ihr Wohl und auf ihr Konto. Alles auf Kosten der Arbeiterinnen und Arbeiter, welche mit ihrem Geld nicht bis zum Monatsende auskommen.

Fr., 04.07.2025 - 10:02 Permalink