Kultur | Bibliophile Fragen

„Sie wollen Namen hören“

Der Kulturjournalist Joachim Leitner aus dem Wipptal war schon mal Juror beim Österreichischen Buchpreis. Außerdem hat er die immer gleichen Fragen von SALTO beantwortet.
Joachim Leitner
Foto: Privat
  • SALTO: Welches Buch hat Sie in Ihrer Kindheit nachhaltiger geprägt, als Sie damals je geglaubt hätten? 

    Joachim Leitner: Ich war da wohl, wie meistens, etwas spät dran. „Garfield“ und „Hägar“ in „Zett“ oder „Sonntagsblatt“, so ganz genau weiß ichs nicht mehr, zählen wohl eher nicht als Bücher. Die las ich lange, weil es andere wollten. Und langweilte mich mich dementsprechend. Bis ich rausfand, dass Literatur nicht unbedingt New York sein muss, sondern Maria Trens sein kann. Und weil Kurt Lanthaler den besonders steilen Weg hinauf nach Trens so beschrieb, wie ich ihn tagein tagaus ging, mache ich ihn für mein Leben als Leser mindestens mitverantwortlich. Aber da war ich wohl schon aus dem Gröbsten raus, ehrlich gesagt. 

    Welcher letzte Satz eines Romans bleibt für Sie ganz großes Kopfkino? 

    Da herrscht höchste Hochstapeleigefahr. Der Bezeichnung Kopfkino misstraue ich. Sie wird weder dem, das während des Lesens mit einem passieren kann, gerecht - und dem Kino schon gar nicht. Aber: Wenn einem Roberto Bolano in „2666“ nach geschlagenen 1085 Seiten klar macht, dass die eigentliche Reise erst anfängt, ist das schon stark. Aber Hand aufs Herz: Mit solchen Antworten will man immer auch beeindrucken, immerhin hat man mehr als 1000 Seiten gelesen. Deshalb: Der beste letzte Satz steht - kein Roman, aber egal - in „Über das Wetter reden“ von Peter Bichsel: „Jetzt verabschiede ich mich und versuche, geradeaus zu gehen.“ 
     

    Bücher sind, keine Frage, etwas ganz Wunderbares. 

  • Auf keinen Fall am E-Book-Reader: Raoul Schrotts überwältigender „Atlas der Sternenhimmel“ Foto: Carl Hanser Verlag

    Reimen ist doof, Schleimen ist noch doofer… Auf welches – anscheinend gute – Buch konnten Sie sich nie wirklich einen Reim machen? 

    Ich weiß nicht recht, auf „Effi Briest“ fällt mir kein Reim ein. Auch kein unechter. Vielleicht müsste man das Buch, wie einiges von Günter Grass und ziemlich viel von Martin Walser nochmal lesen. Im schlimmsten Fall passiert wieder nichts. Vermutlich ist auch „Der Herr der Ringe“ ein ganz herausragendes Buch. Aber das werde ich wohl nie erfahren. Die ersten 50 Seiten waren zäh. 

    Ein Fall für Commissario Vernatschio. Wie erklären Sie einem Außerirdischen die geheimnisvolle Banalität von Lokalkrimis? 

    Will der, die oder das Außerirdische das Irdische verstehen, muss er, sie oder es da durch. Am End sind viele große Romane (und furchtbar viele etwas kleinere) Mordgeschichten oder Räuberpistolen. Und alle, auch die ganz großen, spielen irgendwo. Dass dieses Irgendwo auch vor der eigenen Haustür oder - Gott bewahre - hinter der eigenen Haustür sein kann, ist nicht die schlechteste Erfahrung, die man machen kann. Es könnte auch Außerirdischem zu denken geben. Außerdem gilt: Die Außerirdischen von heute, sind vielleicht die Gäste von morgen. Gewichtig!

    Welchen Buch-Tipps schenken Sie noch uneingeschränkt Vertrauen? 

    Gute Frage. Es gibt einige Kolleginnen und Kollegen, von denen ich weiß, dass sie ähnlich ticken. Da hört man selbstverständlich hin oder lernt, auch zwischen deren Zeilen zu lesen. Letztlich bin ich aber Eigenbrötler und verlier mich am liebsten in Buchhandlungen. Ich vertrau zwar auch meinen eigenen Empfehlungen nicht uneingeschränkt. Aber sollte ich mir Stuss empfehlen, bin ich wenigstens selbst schuld. 
     

    Kein Essay habe ich darin entdeckt - und keinen originellen Gedanken.


    Was für ein Fehlschlag! Welches Buch würden Sie auf einer einsamen Insel zurücklassen? 

    Bücher sind, keine Frage, etwas ganz Wunderbares. Aber sie sind, einige besonders bibliophile Schmuckstücke außen vor, Gebrauchsgegenstände. Ich hab schon zahlreiche Bücher irgendwo zurückgelassen. Aber, das sind alles Ausflüchte. Sie wollen Namen hören. Jüngst hab ich einen ganz besonderen Bestseller angelesen: „101 Essays, die dein Leben verändern werden“. Kein Essay habe ich darin entdeckt - und keinen originellen Gedanken. Gedankenlos liegen gelassen hab ich das Buch aber nicht. Sondern ganz absichtlich. 

    Das Rauschen des Blätterns. Welches Buch würden Sie auf keinen Fall am E-Book-Reader lesen? 

    Ganz pragmatisch - weil es digital sowieso nicht geht: Raoul Schrotts überwältigender „Atlas der Sternenhimmel“.

    Welches Buch zu Südtirol oder eines/einer Autors/Autorin aus Südtirol würden Sie unbedingt weiterempfehlen?

    Maxi Obexer „Unter Tieren“ - und weil von Lokal-Krimis schon die Rede war, auf „Tutta quella brava gente“ von einem gewissen Marco Felder, hinter dem sich Nadel Andreetto und Guglielmo Pispisa verbergen, bin ich durch das Gewese um die Serie „Brennero“ gestoßen. Es sei nicht nur Außerirdischen, sondern auch Einheimischen wärmstens empfohlen.

  • Joachim Leitner

    Geboren in Sterzing, aufgewachsen in Maria Trens, gelernter Werbegraphiker, Studium in Innsbruck, Wien und Rom, seit 2012 in der Kulturredaktion der Tiroler Tageszeitung; Gelegenheitstexte für Kulturmagazine, Literaturzeitschriften und Anthologien; Juror der ORF-Bestenliste; 2023 Juror Österreichischer Buchpreis.