salto.music | Ost West Club

Offener Brief an die Gemeinde Meran

Der Meraner Singer/Songwriter Alex Shylow ist letzte Woche aus seiner Wahlheimat Berlin angereist, um im Ost West Club ein Konzert zu spielen, das von der Gemeinde Meran kurzfristig gecancelt wurde. Seine Reaktion auf die Konsequenzen der Bürokratie.
Alex Shylow
Foto: Alex DePew
  • Sehr geehrte Damen und Herren der Gemeindeverwaltung von Meran,

    ich wende mich mit diesem offenen Brief an Sie, in der Hoffnung, dass er Gehör findet und zum Nachdenken anregt.

    Als Musiker und Künstler, der seit langem einen innigen Bezug zu Meran hat, schmerzt es mich sehr, Ihnen mitzuteilen, dass ich von der kulturellen und künstlerischen Lage in meiner Heimatstadt zutiefst enttäuscht bin. Die jüngste Entscheidung Ihrer Verwaltung, mein Konzert im neuen Ost West Club aufgrund einer fehlenden Bestätigung für eine Sicherheitslampe zu verhindern, ist für mich und viele andere ein deutliches Zeichen dafür, dass Meran die Interessen der Jugend, der Kultur und der Kunst ignoriert und stattdessen wirtschaftlichen Interessen den Vorrang gibt.

    Ein deutliches Zeichen dafür, dass Meran die Interessen der Jugend, der Kultur und der Kunst ignoriert und stattdessen wirtschaftlichen Interessen den Vorrang gibt.

    Anfang letzter Woche war ich eigens aus meiner Wahlheimat Berlin per Zug nach Meran gereist, um im meiner Meinung nach schönsten Club der Welt zu spielen. Denn hier hat für mich alles angefangen. Hier habe ich in meiner Schulzeit die Konzerte gehört, die mir die grenzenlosen Möglichkeiten künstlerischer Entfaltung erstmals näherbrachten. Hier, und fast ausschließlich hier, wurde uns kunstinteressierten Jugendlichen eine wirkliche, ernstzunehmende und authentische Alternative geboten. Alternative zur omnipräsenten, inzwischen aber auch kommerzialisierten und artifiziellen Tiroler Traditionskultur (man denke an das Meraner Traubenfest oder den Weihnachtsmarkt) sowie zu den Imitationen der Ballermannkultur von Seiten der (wenigen) Diskotheken der Umgebung.

    Mein geplanter Auftritt in Meran war also nicht nur ein Konzert; es war das Ergebnis monatelanger Planung und harter Arbeit. Ich war überzeugt, dem Club an diesem Abend genau das zurückgeben zu können, was er mir in Vergangenheit für meinen Weg mitgegeben hatte.

    Zusammen mit meinem Freund und Filmemacher Max Calanducci, dem Musiker und Tontechniker Andreas Unterholzner und dem künstlerischen Leiter des Clubs Thomas Kobler, wollten wir ein Live-Album und ein Live-Konzert aufnehmen, das unsere gemeinsame Kreativität und Leidenschaft für die Musik zum Ausdruck bringen sollte. Vor allem sie drei, aber nicht nur sie, waren für das Konzert weit über ihre Leistungsgrenzen hinausgegangen, um das nötige Equipment zu organisieren, die Veranstaltung zu bewerben, und die notwendige Bürokratie zu bewältigen.

  • Die Terrasse des neuen Ost West Club an einem sonnigen Nachmittag: Ein perfekter Treffpunkt für all jene, denen Kultur und Kommunikation am Herzen liegt. Foto: Christian Troger
  • Es war ein Ereignis, das nicht nur mir persönlich, sondern auch meiner Familie und meinen Freunden viel bedeutete. Einige Freunde sollten sogar aus Innsbruck und Bozen für das Konzert nach Meran kommen, denn es war der einzige geplante Auftritt in der Region für dieses Jahr. Allesamt nach Berlin einzuladen, um für sie zu spielen, ist logistisch betrachtet nicht die einfachste Aufgabe, scheinbar aber die realistischere zwischen den beiden.

    Denn am Vortag (!) durchquerte ich (gezwungenermaßen) gegen Mittag den überlaufenen Freitagsmarkt, als mich der Anruf der Absage erreichte. Die Gemeindeverwaltung ließ die Organisatoren offenbar wissen, dass die Lizenz für die Veranstaltung nicht gegeben werden könne. Das Konzert könne nicht stattfinden. Der Grund: Eine Sicherheitslampe, die in derselben Woche angemacht wurde, konnte nicht rechtzeitig im zuständigen Gemeindeamt gemeldet werden. Der Zettel, der hierfür nötig gewesen wäre, ging ein oder zwei Stunden zu spät ein. Gelingt dies nämlich nicht innerhalb donnerstags vor 16.00, lässt sich da für das folgende Wochenende anscheinend nichts mehr machen.

    Wir wurden mit einer bürokratischen Hürde konfrontiert, die nicht nur unüberwindbar war, sondern auch den bitteren Nachgeschmack hinterlässt, dass Kunst und Kultur in unserer Stadt als zweitrangig betrachtet werden.

    An dieser Stelle scheint es mir erwähnenswert, dass mir die Wichtigkeit einer Sicherheitslampe durchaus einleuchtet. Aber darum ging es ja nicht, war diese doch genau dort, wo sie laut Gesetz sein sollte. Auch wenn sich alles in mir sträubt, dies zu schreiben, war eher die Illusion, es mit Menschen zu tun zu haben, der große Irrglaube. Und angesichts der laufenden Zeiten, lässt mich nun die Frage nicht mehr los, ob es denn einen so großen Unterschied mache, wenn die Gemeindeverwaltung bald von einem K.I.-System ersetzt werden würde. Beide scheinen sie derzeit nicht imstande zu sein, gewissen Situationen mit menschlichem Abwägungsvermögen zu begegnen. Beide handeln sie wie die kältesten aller Maschinen, mit dem Unterschied, dass die eine es tatsächlich ist.

    Kurzum: Wir wurden mit einer bürokratischen Hürde konfrontiert, die nicht nur unüberwindbar war, sondern auch den bitteren Nachgeschmack hinterlässt, dass Kunst und Kultur in unserer Stadt als zweitrangig betrachtet werden. Eine Genehmigung, die an einem winzigen Detail scheitert, lässt vermuten, dass die Interessen der Künstler für die Stadtverwaltung keine Priorität haben. Es tut weh zu sehen, dass ein derart geringer Spielraum für Flexibilität und Verständnis besteht, und man fragt sich, ob eine Stadt, die solche Entscheidungen trifft, wirklich daran interessiert ist, eine blühende und lebendige Kulturszene zu fördern, wie es zumindest in Wort- und Schriftbeiträgen immer wieder behauptet wird.

  • Hat sich heuer bereits für ein Konzert des „Südtirol Jazz Festival Alto Adige“ geöffnet: Und das Publikum wusste die neue Location zu genießen, was für die Gemeinde Meran eigentlich ein Pluspunkt und ein Grund zur Freude sein sollte. Foto: Christian Troger
  • Ich habe in den letzten Jahren immer wieder mal ernsthaft darüber nachgedacht, in meine Heimatstadt zurückzukehren. Doch nach diesem Vorfall bin ich mir sicherer denn je, dass dies für einen Musiker ein fataler Fehler wäre. Die Umstände in Meran sind einfach nicht geeignet, um eine künstlerische Tätigkeit auszuüben, geschweige denn, sie zu fördern. Eine Stadt, die es nicht schafft, Raum für Kunst und Kultur zu schaffen, verliert mehr als nur ihre Künstler; sie verliert ihre Seele, sofern das nicht schon vor einiger Zeit passiert ist.

    Eine Stadt, die es nicht schafft, Raum für Kunst und Kultur zu schaffen, verliert mehr als nur ihre Künstler; sie verliert ihre Seele.

    Die Verhinderung des Konzerts ist nicht nur ein Verlust – auch in finanzieller Hinsicht, derzeit bei - 450 Euro - für mich, sondern auch für die Stadt selbst. Es ist eine verpasste Gelegenheit, Meran als Ort der Kunst und Kultur zu präsentieren und junge Talente zu fördern. Wenn wir die Kultur und die Kunst nicht unterstützen, riskieren wir, in einer farblosen und trostlosen Umgebung zu leben, die keine Inspiration für die kommenden Generationen bietet. Nochmal: Sofern dies nicht bereits der Fall ist.

    Jedenfalls werde ich das nächste Mal, wenn mir die Sorge zu Ohren kommt, dass zu viele junge Leute die Stadt verlassen, nur lachen können. Um nicht zu weinen. Ich weigere mich aber zu glauben, dass dies der Stadt in Wirklichkeit ganz recht sei.

    2024 feiert die Meraner Gemeinde den 100. Todestag des „Weltschriftstellers“ Franz Kafka. Sicherlich ist Ihnen demnach bekannt, welche scharfe Kritik er an den Beamten und Verwaltern seiner Zeit übte, indem er sie als Teil eines undurchdringlichen und namenlosen Apparates beschrieb. Kafkas Werke, insbesondere „Der Prozess“, beleuchten die Absurditäten und die oft unerbittliche Natur der Bürokratie. Josef K., der Protagonist, wird ohne ersichtlichen Grund verhaftet und sieht sich einem endlosen Labyrinth aus verwirrenden und scheinbar sinnlosen bürokratischen Vorgängen gegenübergestellt.

    Welchen Wert hat dieses Kafka-Jahr eigentlich, wenn sich in der aktuellen Situation in Meran die kafkaesken Verhältnisse von Intransparenz und Ohnmacht bewahrheiten?

    Doch welchen Wert hat dieses Kafka-Jahr eigentlich, wenn sich in der aktuellen Situation in Meran die kafkaesken Verhältnisse von Intransparenz und Ohnmacht bewahrheiten? Wenn die menschliche Vernunft und die Flexibilität dem starren und unnachgiebigen Regelwerk zum Opfer fallen. Es scheint mir ein großer Widerspruch und zeitgleich ein passendes Symbolbild zu sein: Die toten Künstler zelebrieren, während man die lebenden abwürgt.

    Ich appelliere an die Stadtverwaltung von Meran, ihre Prioritäten zu überdenken und sich ernsthaft mit der Förderung der „alternativen“ Kunst und Kultur auseinanderzusetzen. Auch die Künstler, Musiker und Kulturschaffenden dieser Stadt, die jenseits des Kurhauses und der Promenade operieren, verdienen eine Verwaltung, die sie unterstützt und nicht behindert.

    Mit enttäuschten, aber hoffnungsvollen Grüßen, Alex (Favalli) Shylow

  • Alex Shylow live „Garden Session“ (2022)
    (c) Max Calanducci / „Garden Sessions“