Gesellschaft | SH-Jubiläum

HochschülerInnenschaft feiert 70 Jahre

70 Jahre Hochschülerschaft mit Erinnerungen, Kante und Brassmusik – die alte und junge SH-Garde spannt den Titel vom Studientitelkampf bis zur Zukunft der Studiosi.
Sh.Asus 70 Jahre Jubiläum
Foto: Seehauserfoto
  • Die Sonne fällt auf die lachenden Gesichter der Studiosi, die sich im Hof von Schloss Maretsch wiedersehen. Das 70 Jahre Jubiläum der Südtiroler HochschülerInnenschaft – sh.asus – bedeutet für die Anwesenden merklich ein feierliches Wiedersehen. Die junge Garde der Hochschülerschaft kommt noch einmal zusammen, bevor die Wege sie in die verschiedenen Studienstädte im In- und Ausland führen. Sie kann nicht umhin, ihrer Freude in Gelächter und lebhaften Diskussionen Ausdruck zu verleihen. Auch die alte Garde tut es ihnen gleich. Lautes Murmeln erfüllt die Hallen des altehrwürdigen Gemäuers. In der ersten Reihe sitzt – ganz allein und in Gedanken versunken – Franz von Walther, der erste Vorsitzende der Südtiroler HochschülerInnenschaft.

  • Gute Gesellschaft

    Der 92-Jährige erinnert sich noch lebhaft an die Anfangsjahre: „Wir waren eine kleine Gruppe von Freunden“, sagt er über die Gründung in Bozen. Es gelang der SH damals, rund 100 Mitglieder zu sammeln, von denen 60 zur ersten Vollversammlung bei den Meraner Hochschulwochen kamen. Bald schon sollte ein zentrales Anliegen ins Zentrum rücken, das die SH politisch aktivierte: die Anerkennung der in Österreich erworbenen Studientitel auch in Italien. „Die Italiener wollten das auf Medizin und wenige technische Fächer beschränken, aber wir haben auf Geisteswissenschaften bestanden“, erzählt von Walther. 

    Mit Hartnäckigkeit und diplomatischem Geschick – er selbst reiste regelmäßig nach Rom und knüpfte Kontakte bis ins Wiener Außenministerium – gelang es schließlich im Frühjahr, die Anerkennung durchzusetzen. „Ein Erfolg auf den ich heute noch stolz bin“, betont er.

  • Alexander und Franz von Walther: Enkel und Großvater, der aktuelle und der erste Vorsitzende der Südtiroler HochschülerInnenschaft, grinsen sympathisch in die Kamera. Foto: Seehauserfoto
  • Zunehmend füllt sich der Festsaal. Studiosi, ehemalige und aktive SH-ler und SH-lerinnen, Journalisten, und gut zwei Drittel des Südtiroler Landtags beziehen ihre Plätze. Es wird Zeit für die Grußworte des aktuellen SH-Vorsitzenden Alexander von Walther, Franz’ Enkel, der das begeisterte Publikum sogleich zu einer Standing Ovation für die Ehren- und Hauptamtlichen animiert, die die SH über die letzten sieben Jahrzehnte vorangebracht haben. „70 Jahre HochschülerInnenschaft, das heißt 70 Jahre Politik, 70 Jahre kritische Beobachtung, 70 Jahre Kultur und 70 Jahre Interesse an Bildung.”, so der Vorsitzende.

     

    Ein wohlhabendes Südtirol, mit einem Haushalt von knapp neun Millionen Euro muss mehr können und bieten“

     

    Ganz nach Tradition, lässt er sich aber auch kritische Worte an die erschienene Politik nicht nehmen: Studieren sei kaum einmal schwerer gewesen. „Ein wohlhabendes Südtirol, mit einem Haushalt von knapp neun Millionen Euro muss mehr können und bieten“, bekräftigt der junge von Walther und fordert die Entlohnung von Praktika, höhere Beihilfen, den Bürokratieabbau und eine gesteigerte Wertschätzung. Doch Kritik richtet er auch nach innen: „Ein komplett zweisprachiger Verein ist die SH nur auf dem Papier. Es wäre unser Ideal, aber wenn wir ehrlich sind, haben wir es bis heute nicht geschafft.

    Nach den Grußworten der Ehrenamtslandesrätin Rosmarie Pamer, in Gedenken an ihre Zeit als „SH-Nutznießerin“, und Bildungslandesrat Philipp Achammer, der Luis Durnwalder als „braven und konformen“SH-Vorsitzenden bezeichnete – „unvorstellbar“ –, wurde auf dem Podium der Bogen von 1955 bis heute gespannt, durch sieben Vorsitzende aus sieben Jahrzehnten.

  • Ehemalige SH-lerinnen und SH-ler: In sieben Jahrzehnten kristallisieren sich Unterschiede aber vor allem auch Gemeinsamkeiten und Werte heraus, die über die Jahre hinweg die Konstanten der HochschülerInnenschaft bilden. Foto: Seehauserfoto
  • Konstanten, keine alten Eisen

    Franz von Walther erinnert sich an die Wirkmacht diplomatischen Protests vor den Bombenjahren. „Wir sind stolz“, erklärt der alte Vater des Vereins, worauf ihm das Publikum klatschend antwortet: zu Recht! Luis Durnwalder sei als SH-Vorsitzender in den 1960ern doch frech gewesen, anders als in seiner späteren politischen Karriere. Renate Mumelter erzählte von den 70ern, der Pionierzeit für Frauen und für die Jugendarbeit. 

    Für Benedikt Sauer war die SH in den 80ern Spiegel der Gesellschaftsveränderungen. In den 1990ern erinnerte sich Irene Senfter an die Uni-Gründung in Südtirol und die europäische Horizonterweiterung, die neue Chancen eröffnete. Für die 2000er stand Andreas Schleier: viel Aktivismus – gelegentlich zu viel –, sorgfältige inhaltliche Vorbereitung, die auch das stilfreieste Erscheinungsbild wettzumachen vermag, samt unvergessenem Berlusconi-Besuch. Nicht zuletzt schloss Fabian Frener den Kreis, indem er darauf beruft, wie sehr die SH über Generationen aufeinander aufbaut.

  • Andreas Pfeifer: Mit heiterem Ernst und spitzer Satire spricht der ORF-Korrespondent von „heiligen Kühen“ und der Sehnsucht nach geräuschloser Demokratie. Foto: Seehauserfoto
  • Eine Brise bittersüßer Ironie

    Ein Highlight war mit Sicherheit die Rede des „notorisch heimatfremden“ ORF-Deutschland-Korrespondenten Andreas Pfeifer. Nostalgisch blickt er auf seine erste Radioreportage zurück: „Der Traum des Kosmopoliten. Warum die Südtiroler Studenten an der Uni Innsbruck so unsympathisch sind“. Das wöchentliche Gependle, Mammas Küche und gewaschene Wäsche und die Italo-Coolness, alles längst Vergangenheit, „oder nicht?“. 

    In derselben spitzen Manier geht es weiter. Pfeifer gratuliert der SH zum 70sten und zu Alex von Walthers Aussage: „Wir können heute Kante zeigen und diplomatisch sein“, merkt aber an, dass letzteres auf den Errungenschaften all jener Vorgängerinnen und Vorgänger beruhe, die mit Südtirol, einem Land, in dem man vor lauter heiliger Kühe oft nichts mehr sehen könne, ihre Kämpfe um Freiheit bereits ausgerungen haben. Ein Geist des Widerspruchs, der sich bis heute fortsetze und im Angesicht des „unfeierlichen Zustandes der Welt“, der gefährdeten Vision eines geeinten Europas, wie sie Franz von Walther einst hatte, bitternötig sei.

  • Historischer Rückblick: SH als „Sensor der Transformation“

    Den Abschluss machte der Historiker und ehemalige Grünen-Landtagsabgeordnete  Hans Heiss. Er zeichnete den Weg der SH von der unterschätzten HochschülerInnen-Vereinigung zum „Sensor der Transformation“. In Südtirol sei „Hochschulbildung lange als zweit- oder drittrangig“ betrachtet worden – eine Grundausstattung für eine schmale Elite aus Recht, Medizin und Technik. Eine Geringschätzung, gegen die die junge SH aufbegehrte, um von Beginn an für Freiräume zu kämpfen, erklärt Heiss. Die Vereinigung habe die Autonomie ernstgenommen, aber auch ihre Grenzen ausgelotet und entwickelte sich im Laufe Jahre zum Labor der Demokratie und politischen Sozialisation. 

    Bis heute bleibe das Prinzip Autonomie und Freiheit, so Heiss, der „genetische Code“ der Organisation und so könne die „SH zuversichtlich die 100 Jahre ansteuern, wenn sie einen justierten Mix an Dienstleistung, Gesellschafts- und Bildungspolitik wahrt und in Balance hält“. Dabei sei die Beziehungskultur, die die Hochschülerschaft kultiviert essenziell für den Widerstand gegen die kommenden digitalen Herausforderungen unserer Zeit.

  • Festgesellschaft: Beifall, Gelächter und schadenfrohes Kichern aus dem gut-gelaunten Publikum, das sich nicht nur über die satirischen Seitenhiebe Pfeifers und Heiss' an SVP-Parteiobmann Dieter Steger köstlich amüsieren konnte. Foto: Seehauserfoto
  • Die richtigen Schlussworte fand Katja Oberrauch. Die Vorsitzende des Südtiroler Jugendrings holte für das Organisations- und Verwaltungsteam sowie die ehrenamtlichen Mitglieder der Hochschülerschaft, die die tragenden Säulen des Vereins darstellen, ordentlich Beifall heraus. Alexander von Walther entließ die Festgesellschaft dann schließlich in den Schlosshof, wo bei wolkenlosem Sonnenuntergang zu Brassmusik gebührend auf 70 Jahre Hochschülerschaft angestoßen wurde.