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Politik | Massentourismus

Tourismus: Klimaschutz irrelevant?

Weltweit boomt der Tourismus, und damit auch die Klimabelastung. Das touristische Geschäftsmodell Südtirol steht und fällt mit der An- und Abreise mit dem eigenen Kfz.
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Verkehr Brennerautobahn
Foto: Seehauserfoto
  • Der Südtiroler Klimaplan 2040 soll eine "politische Selbstverpflichtung" sein (LH Kompatscher), zumindest eine Absichtserklärung mit Programmcharakter. Wie vor einem Monat hier ausgeführt,  werden zwar zahlreiche Maßnahmen dieses Plans bereits durchgeführt, doch insgesamt bleiben wichtige Bereiche emissionsintensiver Wirtschafstätigkeiten unbearbeitet. Insofern wirkt dieses Planungswerk inkonsequent, unvollständig, nicht ganz ernst gemeint. 

    Als Beispiel für alle nehme man das Kapitel Tourismus. Hier soll der Verbrauch fossiler Energie bis 2030 um 40%, bei den Aufstiegsanlagen ebenfalls um 40% bis 2030 sinken. Konkret: jedes Jahr um 8%. Bei der Anreise der Gäste soll der Anteil der Bahn auf 20% der Ankünfte gesteigert werden. Wer sich im Anschluss daran im Klimaplan schlüssige Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele oder gar eine Wirkungsanalyse erwartet, wird enttäuscht. Der Klimaplan verlangt von der Tourismuswirtschaft nur ein Energieaudit im Betrieb, eine Arbeitsgruppe zur touristischen Nutzung des ÖPNV und sieht die von der IDM ohnehin schon aufgenommene Nachhaltigkeitszertifizierung vor. Null Pflichten zur CO2-Reduktion um 40% geschweige denn um 100%: softer geht es nicht.

    Das ist umso bemerkenswerter, als die heutige Entwicklung der touristischen Nutzung Südtirols in die Gegenrichtung von Reduktion geht: 2023 ist mit 8,4 Mio. Ankünften ein Rekordwert erzielt worden, 2024 wird Südtirol wahrscheinlich Dalmatien in der Tourismusintensität überholen und den dritten Rang in Europa belegen. Im Februar 2024 gab es bei uns 250.100 buchbare Betten, 15 Projekte zum Bau oder Ausbau von Aufstiegsanlagen sind im Bau oder geplant, das flächen- und energieintensive 4-5*-Segment in der Hotellerie nimmt zu, neue Tourismuszonen werden umgesetzt. Alle Zeichen stehen auf weiteres Wachstum, gleich ob anderswo schon Zehntausende gegen Massentourismus auf die Straße gehen.

    Nun ist aber längst erwiesen, dass das Wirtschaftswachstum vom Energie- und Materialverbrauch nicht absolut abgekoppelt werden kann, schon gar nicht im Sektor Tourismus, denn ohne Mobilität ist Tourismus nicht denkbar. Und diese Mobilität wird noch auf Jahrzehnte zum Großteil fossil betrieben. Das Geschäftsmodell des Tourismus in Südtirol steht mit der Erreichbarkeit mit dem eigenen Kfz: laut einer Studie der Universität Bozen nutzen 80,7% der Gäste aus Deutschland für die Anreise ihr Kfz (Auto, Motorrad, Wohnmobil), 7,7% die Bahn, 6,2% den Bus. Bei den Urlaubsgästen aus Italien verwenden 86,2% ihr Kfz, 7,2% den Zug und nur 1,8% den Bus. Per Flug, dem klimaschädlichsten Verkehrsmittel, kommen auch jährlich mehr Touristen ins Land.

    Einmal angekommen, nutzen Millionen Gäste eifrig unseren befahrbaren Freizeitpark. Die touristische Mobilität innerhalb Südtirols machte 2019 8,8% der verkehrsbedingten Emissionen aus (STOST 2023, 8). Mit deutlich mehr Ankünften als 2019 ist 2023 auch diese Art von CO2-Emission gestiegen, die nicht zeitnah erfasst und publiziert wird. Doch der Löwenanteil des touristischen CO2-Fußabdrucks hängt mit der An- und Rückreise zusammen, mit der Entfernung des Herkunftslandes und mit den gewählten Verkehrsmitteln (Tourism Panel on Climate Change). Um ihr Ziel Südtirol zu erreichen und danach wieder heimzureisen, haben 2023 8,4 Mio. Touristen zusammen mindestens 7 Milliarden Kilometer zurückgelegt, zu 80-86% mit dem eigenen Kfz. Damit haben sie mindestens 350.000 t CO2 emittiert. Summiert mit den Emissionen der Mobilität vor Ort (104.000 t im Jahr 2019, 2023 noch mehr) ergibt das mindestens 450.000 t CO2. Dieser Klimaschaden kann von aus der Südtiroler Klimabilanz nicht ausgeklammert werden, weil wir den wirtschaftlichen Nutzen daraus ziehen. Die Klimabelastung zehntausender touristischer Flüge auf spanische und griechische Inseln mag vergleichsweise höher sein, aber auch Millionen von Kfz verstopfen nicht nur die Straßen, sondern belasten auch das Klima.

    Was bedeutet das für den Klimaschutz und den Klimaplan? Zum einen ist jede Betrachtung des Tourismus, die die Emissionen von An- und Rückreise ausklammert, unvollständig. Zum anderen trägt der Tourismus so gesehen wesentlich mehr zu den gesamten CO2-Emissionen aus unserem Land bei, als die Touristiker zugeben. Sie könnten sich auf ein Fünftel der Gesamtemissionen Südtirols aufsummieren, also mehr als jene der Landwirtschaft. Die Anreise der Gäste per Bahn zu fördern, ist notwendig und richtig, aber wenn gleichzeitig die Ankunftszahlen jährlich weiter steigen und die Touristen dafür zu über 80% ihr fossil betriebenes Kfz verwenden, heben sich Plus und Minus auf. Energieaudits der Hotels und Nachhaltigkeitszertifikate in der Beherbergung mögen schon passen. Doch mühsame CO2-Einsparungen vor Ort werden durch einige hunderttausend Kfz-Anreisen mehr als aufgehoben. 

    Lassen wir uns von der Tourismuswirtschaft nichts vormachen: echter Klimaschutz geht mit steigenden Ankünften einfach nicht zusammen. Das heute erreichte Ausmaß touristischer Mobilität in Südtirol ist klimapolitisch gesehen untragbar. „Nachhaltigkeit, der Nährboden der Zukunft“ lautet der aktuelle IDM-Slogan. In diesem Licht besehen müsste die IDM aufhören, mit millionenschwerer Werbung immer mehr Touristen ins Land zu pumpen.