Gesellschaft | Protestmarsch

„Hände weg von Valbruna!“

Stahlarbeiter aus Bozen und Vicenza demonstrierten gegen die Ausschreibung des Valbruna-Geländes. Tausende Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel, erklären Betroffene.
Manifestazione DEMO Valbruna Magnago Platz Piazza
Foto: Seehauserfoto
  • Die Flaggen der Metallgewerkschaften FIOM und UILM färben die Via Volta in Bozen vor den Stahlwerken Valbruna blau und rot. Ins Konzert der Trillerpfeifen mischt sich das Krachen von, Böllern, Trommeln schlagen und Rauchfontänen vernebeln die Sicht. 

    Die Zahl der Protestierenden ist schwer abzuschätzen. Die beiden Gewerkschaftsdelegierten Christian Manunza und Santo Stillitano schätzten die Zahl auf mehr als tausend Menschen. Auf der Straße versammeln sich Schulter an Schulter rund 600 protestierende Stahlarbeiter aus dem Stahlwerk in Bozen und wiederum 600 Arbeiter aus Vicenza, wo sich die italienische Konzernzentrale befindet. Geeint vor allem im „Zorn“ auf die Provinz Bozen und jene Institutionen, die die Arbeitsplätze von tausenden Valbruna-Arbeitenden aufs Spiel setzen, wie ein Bozner Arbeiter kurz vor Beginn des Marsches erklärt. Um 9.30 Uhr startet der Protestmarsch Richtung Rathausplatz und Bozner Landtag.

  • Warum gehen die Stahlarbeiter auf die Straße?

    Der Konflikt um das Bozner Stahlwerk schwelt seit Monaten. Die 30-jährige Konzession für die Nutzung des Industriegeländes in der Via Volta ist ausgelaufen, woraufhin die Landesregierung eine neue Ausschreibung über ein 50-jähriges Nutzungsrecht im Wert von 150 Millionen Euro initiierte – Bewerbungsfrist ist der 15. Januar 2026. Bis dahin herrscht Stillstand: Die Unsicherheit um Arbeitsplätze wächst – ebenso die Wut.

    Gewerkschaftsmann Marco Bernardoni erklärt marschierend, dass von der möglichen Schließung des Stahlwerks in Bozen rund 2.400 Arbeitsplätze – 580 Arbeitsplätze in Bozen, 1800 in Vicenza – bedroht sind. Die beiden Valbruna-Standorte Bozen und Vicenza seien nicht nur logistisch und produktionstechnisch miteinander verschränkt. Eine Schließung oder Umwidmung, so befürchten Gewerkschaften und Angestellte, würde hunderte Familien allein in Bozen ins soziale Abseits drängen.

    Ein junger Bozner Angestellter formuliert das so: „Heute geht es nur um eines: die Verteidigung unseres Arbeitsplatzes. Es gibt keine andere Emotion – nur das Gefühl von Gerechtigkeit und Selbstschutz. Wir spüren, dass nicht nur unsere Arbeit, sondern auch unser Leben betroffen ist, die Möglichkeit zu leben, die finanzielle Stabilität, alles.“ Man laufe Gefahr in einer dauerhaften wirtschaftlichen Enge zu leben, erklärt der junge Bozner.

     

    Wir hoffen, dass sie uns hören, und dass wir siegreich nach Hause zurückkehren! Man kann diese ganzen Menschen nicht einfach nach Hause schicken

     

    Ein fahnenschwenkender Stahlarbeiter in neongelber Arbeitermontur ruft lauthals: „A Valbruna siamo famiglia“. Ein Slogan der sich auf die Solidarität zwischen den Arbeitern in Bozen, zwischen den Standorten Bozen und Vicenza sowie auf jeden einzelnen Stahlarbeiter beziehen lässt, dessen Arbeitsplatz und Familie sich von der Ausschreibung und möglichen Umwidmung des Valbruna-Geländes in Bozen bedroht sieht, wie eine mitmarschierende Mutter erklärt, die ihr Kind auf dem Arm hält. „Wir hoffen, dass sie uns hören, und dass wir siegreich nach Hause zurückkehren! Man kann diese ganzen Menschen und ihre Familien nicht einfach nach Hause schicken“.

    Ein weiterer Arbeiter verweist auf die lange Geschichte von Bozens Stahlindustrie: „Dieses Werk existiert seit 1995 – davor war hier schon die Falck. Die Geschichte der Stahlindustrie in Bozen reicht also über 100 Jahre zurück. Sie ist ein zentraler Bestandteil der Stadt und vor allem ihrer italienischen Gemeinschaft, die hier lebt und Bozen wirtschaftlich geprägt hat. Wenn das Stahlwerk schließt, betrifft das allein in Bozen 580 Familien. Zu all’ den Menschen, die das Land bereits wegen der finanziellen Lage hier verlassen mussten, werden weitere 580 Familien gezwungen sein zu gehen.”

    Heute, sagt der Arbeiter um sich blickend, seien nicht nur „Arbeiter, sondern auch Eltern, Kinder, ganze Familien, die ganze Stadt Bozen hier, um ihre Solidarität zu zeigen.

  • „Hände weg von Valbruna!“

    Die Stimmung schaukelt sich hoch, je näher sich der Protestmarsch der Bozner Mitte nähert. Rentnerpaare applaudieren von ihren Balkonen, Schaulustige schießen Fotos, Interessierte schließen sich an und erkundigen sich bei den Arbeitern.

    Der Demonstrationszug zieht durch die Via Claudia Augusta, über die Rombrücke zum Rathausplatz, wo ein kurzes Treffen mit Bürgermeister Claudio Corrarati erfolgt, der den Protestierenden seine Solidarität zusichert, aber einräumt, dass „die Stadt Bozen nicht viel tun kann“. Vor allem nehmen sich die Protestierenden vom Bürgermeister jedoch eines mit: „Seit fünfzig Jahren hat die Stadt einen solchen Marsch nicht mehr gesehen. Es ist das erste Mal seit langem, dass die Stadt derartig ernst um Arbeitsplätze fürchtet.“ Auch Ex-Bürgermeisterkandidat Juri Andriollo hat sich inzwischen dem Marsch angeschlossen und ist sichtlich glücklich: „Ich bin überglücklich, wenn ich Menschen sehe, die sich gegen Ungerechtigkeit auflehnen. Hier zeigt sich deutlich: Hinter jeder politischen Entscheidung stehen Stimmen und Menschen, die davon betroffen sind. Es gilt vor Entscheidungen, die Konsequenzen abzuwägen und wie es die Protestierenden schon sagen: Hände weg von Valbruna!

    Schließlich zieht der Marsch in den Silvius-Magnago-Platz vor dem Landtagsgebäude ein, begleitet von den andauernden Protestrufen „La Valbruna non si tocca!“ und Transparenten mit Aufschriften wie „Salviamo le acciaierie Valbruna“.

  • Ziel des Protests

    Aus dem vorausfahrenden Fahrzeug dröhnt ein Marschlied mit dem Text „un grido d’accaio che spacca ogni croce“ und Marco Bernardoni erklärt das Ziel des Protests: „Wir wollen die Öffentlichkeit für unsere Situation, für unseren Kampf sensibilisieren und der Politik zeigen, dass diese Ausschreibung nicht verantwortbar ist und vom Tisch gefegt werden muss!

    Auch Gewerkschaftsvertreter der RSU Michele Zotti erklärt gegenüber SALTO: „Die einzige realistische Lösung ist ein Eingreifen der Zentralregierung in Rom – konkret durch den Minister Adolfo Urso, Minister für Unternehmen und Made in Italy. Er kann die Golden Power aktivieren, also ein Verfahren, das eine direkte Verhandlung zwischen Valbruna, der Provinz Bozen und der Stadt ermöglichen würde, damit das Werk im Gebiet bleiben kann.“ Die aktuellen Wettbewerbsbedingungen seien laut Gewerkschafter unmöglich zu erfüllen – die geforderten Mietkosten über 50 Jahre völlig unrealistisch. Hier geht es nicht um Symbolpolitik, sondern um Existenzen: 3.000 Familien sind betroffen.

     

    Ein weiteres Risiko: Während dieser Verhandlungen könnte das Unternehmen sich neu organisieren – ohne unsere Produktionsstandorte.”

     

    Der Marsch bleibt friedlich, aber laut. Als der Zug den Landhausplatz erreicht, hallen Sprechchöre durch das Regierungsviertel. Die Stimmen scheinen die Rauchfontänen Richtung Landtag zu wehen. Dann folgen die Reden der Gewerkschafter, der Magnago-Platz – randvoll mit Protestierenden. Alle sind sich einig: Politik und Finanzwesen übergehen die Industrie und die Menschen, die hinter jener stehen. Mit Nachdruck wird betont: Die Institutionen müssen diejenigen schützen, die arbeiten – nicht diejenigen, die spekulieren. 

    Der Nationalkoordinator der Gewerkschaft FIOM CGIL Loris Scarpa erklärt: „Es ist absurd, dass bürokratische und administrative Fragen das Überleben eines Stahlunternehmens gefährden, das ein Grundpfeiler der Industrie unseres Landes ist. Ein weiteres Risiko: Während dieser Verhandlungen könnte das Unternehmen sich neu organisieren – ohne unsere Produktionsstandorte.”

    Nachdem die Gewerkschafter in das Landtagsgebäude einzogen wurde es auf dem Magnago Platz ruhiger. 

  • Foto: Seehauserfoto
  • Das ist erst der Anfang eines langen Kampfes

    Nach dem Treffen mit Vize-Landeshauptmann Marco Galateo im Landtag treten die Gewerkschaften ein letztes Mal vor die deutlich kleiner gewordene Schar von Protestierenden vor dem Landtag und erklären: „Das ist heute erst der Anfang eines langen Kampfes, der uns wenn es sein muss nach Rom führen wird!“