Umwelt | Wissenschaft

Die Sprache des Waldes

Eine Dokumentation erzählt die Geschichte zweier Forscher auf der Suche nach der Sprache der Bäume. Was dabei herauskommt und was Vaia damit zu tun hat.
Il codice del bosco
Foto: Film „Il codice del bosco“
  • Am Montag, dem 28. Oktober 2018, fegt ein Orkan über die Region Trentino, Südtirol und hinterlässt eine Spur der Verwüstung. In den darauffolgenden Jahren wird sich sein Name  in das Gedächtnis der Einheimischen einbrennen: Vaia. Drei Jahre – im Sommer 2021 – später sind zwei Wissenschaftler in einem von besagtem Sturm und anschließend vom Borkenkäfer geschädigten Fichtenwaldstück im Fleimstal im Trentino unterwegs. Einer von ihnen ist dabei, eine spezielle Sensorik an einigen der Bäume anzubringen. Dabei wird der Frage auf den Grund gegangen: Besitzen Pflanzen eine Art Intelligenz und sind sie in der Lage, miteinander zu kommunizieren? Während die beiden eifrig ihrer Arbeit nachgehen, werden sie beobachtet – sie sind nicht allein. Ein Filmteam rund um die beiden Regisseure Alessandro Bernard und Paolo Ceretto begleitet sie, um live dabei zu sein, wenn die Wissenschaftler den Code des Waldes knacken. „Il codice del bosco“ – diesen Namen trägt die Dokumentation, für die das Filmteam zwei Jahre lang die Suche nach einer Antwort begleitet hat.

  • Wissenschaftler Alessandro Chiolerio: Beim Anbringen der Technik. Foto: Film „Il codice del bosco“
  • Der Beginn eines Abenteuers

    „Wir waren auf der Suche nach einer neuen Story“, erinnert sich Bernard. „Dabei sind wir ein bisschen durch Eigeninteresse, aber auch ein bisschen aufgrund des kleinen Hypes in der Welt der Wissenschaft um das Thema Pflanzenintelligenz auf die Geschichte gestoßen.“ Über einen Mittelsmann sind die beiden Regisseure schließlich auf die beiden ambitionierten Protagonisten ihres zukünftigen Werkes gestoßen: den Physiker Alessandro Chiolerio und die Ökologin Monica Gagliano. Die Filmcrew stürzte sich daraufhin in eine zweijährige Arbeitsphase, die Bernard im Nachhinein als ein wahres Abenteuer beschreibt: „Wir sind damals gestartet, ohne zu wissen, wo uns das Ganze überhaupt hinführen und was bei dem Projekt herauskommen wird“, so der Regisseur. Der Entstehungsprozess des Films sei wie eine Art Reise gewesen, anfänglich voller Ungewissheit, aber allmählich habe sich Bernard als Teil eines wissenschaftlichen Prozesses gefühlt. Er habe verstanden, dass auch ein Scheitern ein Erfolg sein kann. Denn die meiste Zeit sah es so aus, als befinde man sich wortwörtlich auf dem Holzweg. Die Dokumentation zeigt keine Interviews, sondern konzentriert sich darauf, „echte“ Interaktionen und Momente zu zeigen. Ein Mittel, das gezielt gewählt wurde, um den Versuch der Kontaktaufnahme so authentisch wie möglich darzustellen.

  • Die Protagonisten: Alessandro Chiolerio und Monica Gagliano. Foto: Film „Il codice del bosco“
  • Das Hören des Nichts

    Die Wissenschaftler – und mit ihnen die Dokumentation – versuchen, die Sprache der Bäume zu entschlüsseln. Hierfür haben sich die Experten einen ganz besonderen Ort ausgesucht: ein vom Sturm Vaia und anschließend vom Borkenkäfer gezeichnetes Waldstück im Fleimstal im Trentino. Ein Ort, an dem sie sich erhoffen, die Sprache, mit der die eigentlich so ruhig scheinenden Giganten kommunizieren, gut wahrnehmen zu können. Die Grundfrage, die sich dabei stellt, ist, wie sich die Bäume untereinander verständigen – denn eine verbale Sprache wie die unsere besitzen sie offensichtlich nicht. Um die Kommunikation der Holzriesen offenzulegen, hat Chiolerio zusammen mit einem Startup sogenannte „Cybertree“-Geräte entwickelt, die bioelektrische Signale von Bäumen aufzeichnen. Diese Aktivitäten sollen auf eine Art von Kommunikation zwischen den Pflanzen hindeuten – so die Idee, von der zu diesem Zeitpunkt noch keiner sagen kann, ob sie der Wahrheit entspricht. Tatsächlich tut sich über einen Zeitraum von über einem Jahr nichts, Chiolerios Geräte zeigen nicht den geringsten Hinweis, der die Hypothese bestätigt. „Unser Film erzählt nicht einfach, dass Pflanzen intelligent sind. Er zeigt den Prozess eines Experiments voller Höhen und Tiefen. Er erzählt die Geschichte eines Waldes, in dem jeder seinen Platz hat – egal ob Pilz, Pflanze, Baum oder wir – und den Versuch, Kontakt zu dieser Entität aufzunehmen“, erklärt Bernard gefasst und doch etwas schwärmend. 

     

    „Alles, was im Wald lebt, tauscht sich aus – chemisch, elektrisch, physisch.“

     

    „Alles, was im Wald lebt, tauscht sich aus – chemisch, elektrisch, physisch“, so die Theorie der beiden Forscher. Was ihnen fehlt, ist der Beweis dieser Kommunikation sowie die anschließende Deutung. Sie hoffen nicht nur auf den Kontakt mit einer einzelnen Pflanze, sondern mit dem gesamten System Wald. Die ersten Tests beginnen. Chiolerio hat alles angeschlossen und beginnt die Kontaktaufnahme. Tatsächlich zeigt sich bald ein erstes Ergebnis. Im Laufe des Tages zeichnet das Gerät ein stabiles Muster auf, nach Einsetzen der Abenddämmerung steigt das Signal. Als am nächsten Tag die Sonne wieder aufgeht, zeigt die Sensorik einen großen Anschlag in der Kurve: Der Baum reagiert auf etwas. Dass das Gerät in der Lage ist, den Tagesrhythmus des Baums zu messen, steht somit fest. Beweis für eine Interaktion der starren Waldbewohner ist es jedoch noch nicht.

    Um die Kommunikation zu beweisen, haben die Wissenschaftler deshalb den Ton eines Borkenkäfers, der sich durch ein Stück Holz frisst, aufgenommen. Diesen wollen sie nun einem Baum vorspielen, um zu sehen, ob er die Information „Achtung Gefahr“ an andere Bäume in der Nähe weitergibt. Alles ist bereit, die Technik platziert, die Aufnahme wird abgespielt und … Nichts. Der Versuch bleibt ohne Erfolg. Zwar zeigt Cybertree Signale an, diese stammen jedoch nicht von den Sonaren, die die Borkenkäferaufnahmen abspielen. Ein Rückschlag. Gibt es eventuell gar keine Sprache der Bäume? Eine berechtigte Frage angesichts des Misserfolgs. Doch aufgeben ist für Gagliano und Chiolerio keine Option. Mehr als ein ganzes Jahr dauert der Prozess, bis zum 25. Oktober 2022. Für diesen Tag ist eine partielle Sonnenfinsternis von etwa 20 Prozent vorhergesagt. Rund 14 Stunden vor dem Ereignis kommt es zum großen Moment, auf den alle Beteiligten gewartet haben: Als wären sie synchronisiert, senden alle verkabelten Bäume plötzlich dasselbe bioelektrische Signal aus, das sofort von den Geräten aufgezeichnet wird. Nach langem Zuhören ist nun tatsächlich etwas passiert. Chiolerio ist überrascht, jedoch nicht wirklich außer sich – Gagliano ist zu diesem Zeitpunkt nicht im Wald anwesend. Regisseur Bernard beschreibt den Moment hingegen als „sehr emotional“, menschlich und  professionell gesehen.

  • Himmelsschauspiel: Chiolerio betrachtet die partielle Sonnenfinsertnis. Foto: Film „Il codice del bosco“
  • Die Studie

    Auf Basis des Ergebnisses während der Sonnenfinsternis veröffentlichen die beiden Wissenschaftler ihre Studie in der Fachzeitschrift Royal Society Open Science mit der Aussage, dass die Bäume im Zuge des Ereignisses ihr individuelles bioelektrisches Verhalten synchronisieren und so auf eine von außen kommende Veränderung oder Störung antworten. Sie spürten also, dass etwas Außergewöhnliches passieren würde. Das Experiment weiße somit darauf hin, dass der Wald als ein vereintes, lebendiges System funktioniert – fähig zur Koordination seiner Reaktionen auf äußere Ereignisse. Sonnenfinsternisse wie jene während der Forschungsarbeit kommen zyklisch alle 18 Jahre vor. Einige der Baumexemplare haben somit bereits mehrere davon erlebt. Gagliano stellt deshalb die These auf, dass die Bäume das Phänomen nicht nur ausmachen, sondern es auch erkennen und sich daran erinnern.

  • (c) Film „Il codice del bosco“

  • Und die Antwort?

    Wie eingangs erwähnt startet das Forschungsprojekt auf Basis der Ausgangsfrage, ob Pflanzen intelligent sind und miteinander kommunizieren. Die Antwort auf diese Frage will Bernard nicht definitiv geben. „Ich bin der Meinung, dass der Zuschauer selbst für sich entscheiden sollte, wie er diese Frage beantwortet.“ Denn noch sei die These nicht bewiesen, es brauche noch weitere Tests, Experimente und Nachforschungen, um mit Sicherheit sagen zu können, dass Pflanzen tatsächlich ihre eigene Sprache besitzen und sich untereinander austauschen. Der Film zeige eine Episode eines Forschungsprozesses, der weitergeht. Er sei jedoch noch mehr, nicht lediglich eine Dokumentation über Pflanzen. In einer Welt, in der niemand mehr zuhöre, wollte man zeigen, wie man wieder ins Lauschen kommt – gegenüber der Natur und sich selbst, so der Filmemacher.

    Trotzdem hat er auch eine persönliche Meinung zur Sprache der Bäume: „Ich muss zugeben, dass ich anfangs der Meinung war, dass es unmöglich ist, dass Pflanzen zueinander sprechen. Doch im Laufe des Projektes habe ich viel gesehen und gelernt, sodass ich mittlerweile doch ein bisschen daran glaube.“ Die beiden Wissenschaftler sind sich jedenfalls einig: Der Wald hat ein Gedächtnis, denn er sei zu komplex, um keines zu haben. Und sie wollen herausfinden, was er zu erzählen hat.