Der vergessene Notausstieg

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Die Antwort auf die soziale Frage fällt uns heute so schwer, weil die Folgen der Migration die geltenden Normen unserer Gesellschaft auf radikale Weise prüfen. Es wird nicht nur unsere Hilfsbereitschaft für Geflüchtete auf den Prüfstand gestellt, sondern auch das theoretische Prinzip der Marktwirtschaft, Leistung und nicht Herkunft zu belohnen.
Wie Studien zeigen, ist der soziale Aufstieg für einen Arbeiter mit Eltern ohne akademischen Abschluss auch ohne Migrationshintergrund schwer. Wenn wir dieses Ergebnis für richtig halten, begegnet der Arbeiter ohne akademischen Abschluss damit in vielen Berufen auf dem Arbeitsmarkt Migranten, die bereit sind, für ein niedrigeres Gehalt zu arbeiten als er.
Das ist vor allem dann ein Problem, wenn wir uns daran erinnern, dass die Marktwirtschaft auf Leistung beruht.
Jetzt kommt allerdings eine weitere Entwicklung hinzu, die von etablierten, politischen Parteien ungern angesprochen wird. Denn die ökologische Krise hängt nicht nur mit der blinden Ausbeutung natürlicher Ressourcen zusammen, sondern auch mit der Überzeugung, dass uns die Wissensproduktion samt Forschung und Entwicklung retten kann. Diese Annahme ist nicht falsch, aber ich halte sie für unvollständig. Denn wenn ich weiß, wie ich einen Tisch baue, brauche ich auch Holz, Schrauben und Arbeitsgeräte, um diesen Tisch zu bauen. Und ich brauche auch eine Arbeitskraft dafür.
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SALTO change im Oktober
„Die Demokratie und die Gefahr von rechts“ lautet das Thema von SALTO change im Oktober:
Alle Artikel der Reihe SALTO change findet ihr unter www.salto.bz/change
Wenn ihr Ideen für weitere SALTO-change-Themen habt, schickt uns eure Vorschläge und Anregungen an [email protected].
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Diese Arbeitskraft wählt heute häufig rechts, aus nachvollziehbaren Gründen. Denn gegen das Lohn-Dumping wurden von der Politik vieler EU-Länder in den letzten Jahren, wenn, dann nur symbolische Maßnahmen gesetzt. Die Links-Wählerin zeigt sich von dem größer gewordenen Rechtsruck schockiert und sieht sich angesichts der Hetze gegen Migranten dazu veranlasst, auf die Straße zu gehen. Ändern wird das an der Meinung des Arbeiters vermutlich nicht viel – ernst genommen fühlt er sich allerdings auch nicht. Und die Klimakrise wird von einer konservativen Politik weiterhin nicht in dem Ausmaß behandelt, wie es eigentlich erforderlich wäre, um die Pariser Klimaziele einzuhalten.
Paradoxerweise liegt hier der Auslöser nicht beim Rechtsruck, sondern in der Bevorzugung der Wissensproduktion auf politischer und wirtschaftlicher Ebene. Körperliche Arbeit auf dem Bau, in der Pflege oder in der Landwirtschaft wird in unserem Bildungs- und Wertesystem weniger wertgeschätzt, weil sie vermeintlich jeder und jede ausführen kann. Dass diese Vermutung nicht der harten Wirklichkeit standhält, mag für Intellektuelle ein unangenehmes Eingeständnis sein, weil ihre Stellung in der Gesellschaft damit in Frage gestellt wird. Das ist vor allem dann ein Problem, wenn wir uns daran erinnern, dass die Marktwirtschaft auf Leistung beruht.
Heute haben so viele junge Menschen einen akademischen Abschluss wie noch nie.
Die Intellektuelle fragt sich angesichts des Fachkräftemangels in für sie wenig attraktiven Branchen, ob ihr Wissen denn nichts mehr wert sei und ihre Leistung der Wissens(re)produktion weniger gefragt ist. Denn die Demokratisierung der akademischen Welt, Studienbeihilfen und die Einrichtung öffentlicher Universitäten haben gewirkt. Heute haben so viele junge Menschen einen akademischen Abschluss wie noch nie. Es heißt dann, die jungen Generationen würden Jobs in der Pflege nicht mehr machen wollen. Dabei wird vergessen, dass das Bildungssystem uns dahingehend gefördert hat, ein Studium in einer Großstadt abzuschließen. Großstädte sind reizvoll und ihre Partys legendär, aber wie lange noch wollen wir Menschen akademisch ausbilden, obwohl der Markt der Wissensproduktion leider längst gesättigt ist? Sogar in Deutschland befindet sich die Arbeitslosigkeit bei unter 30-Jährigen mit akademischen Abschluss seit Jahren auf einem Allzeithoch.
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„start.klar. im UFO Bruneck“
Am 22.10. findet „start.klar. im UFO Bruneck“ statt. Das Thema lautet „Demokratie in Gefahr | Was macht den Rechtsextremismus so verführerisch?“. Zu Gast bei Moderator Markus Lobis sind die Wiener Politologin und Extremismusexpertin Natascha Strobl und der Sozialpädagoge und OstWestClub-Macher Thomas Kobler aus Meran. Der Livestream des start.klar.-Abends wird auf SALTO übertragen.
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Dabei ist auch die Wissenschaft Teil dieses Wirtschaftssystems, hängt an staatlichen Fördertöpfen und interessiert sich teilweise für Forschungsfragen, deren Beantwortung, wenn, dann auf sehr abstrakter, theoretischer Ebene dem Allgemeinwohl dient. Diese Fakten werden von Parteien gerne ausgelassen, weil die Eitelkeit von Wählerinnen und Wählern peinlich berührt werden könnte.
Doch zurück zu dem Protest der Lehrkräfte und der schwierigen sozialen Frage von heute: Selbstverständlich sollen Kinder eine gute Bildung erhalten und Lehrkräfte angemessen bezahlt werden. Doch eine gute Bildung bedeutet in erster Linie eben nicht nur Wissenserwerb und die Entwicklung sozialer Kompetenzen. Gute Bildung sollte heute Kompetenzen vermitteln, die auf dem Arbeitsmarkt gefragt sind und wirklich einen Mehrwert für Schülerinnen und Schüler, für Wirtschaft und Gesellschaft bieten.
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Aus der Redaktion
In unserem neuen Format „Aus der Redaktion / Dalla redazione“ kommentieren wir aus der SALTO Redaktion aktuelle Themen der Politik, Wirtschaft, Umwelt, Gesellschaft und Kultur.
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1) Die freie Marktwirtschaft…
1) Die freie Marktwirtschaft löst das Problem der Studienabschlüsse, nur eben nicht von einem Tag auf den anderen. Warum sollte ein Straßenkehrer nicht mehr verdienen können als ein Anwalt?
2) Forschung und Entwicklung sind die einzigen Möglichkeiten, die "ökologische Krise" zu dämmen. Solange es billiger oder effizienter ist, etwas auf umweltbelastende Weise zu produzieren, wird es irgendjemand in einem Schwellenland tun, um das Überleben seiner Familie zu sichern.
3) Sozialer Aufstieg ist durchaus möglich, nur waren die Europäer jahrzehntelang so verwöhnt, dass sie glaubten, dieser käme durch 8 Stunden Arbeit als Angestellter. Wer sich selbstständig macht und 12–15 Stunden am Tag arbeitet, hat auch heute noch alle Möglichkeiten zum Aufstieg.
4) Der Wohnungskauf wird für viele als Zeichen des sozialen Aufstiegs angesehen. Solange wir Klimahäuser erzwingen, was den Bau unbezahlbar macht, und das Bauen durch Kubaturbeschränkungen, Höhenbeschränkungen usw. einschränken, wird es sich in Südtirol niemand leisten können, eine Wohnung zu kaufen.
5) Studienabschluss ist nicht gleich ein Studienabschluss. Wenn Menschen Fächer wie Gender Studies oder Soziologie studieren, sollten sie sich nicht wundern, wenn sie keine Arbeit finden.
Vor Jahren gab es den …
Vor Jahren gab es den "Bildungsdialog", mit doch einigen interessanten Impulsen zu" wie ZukunftSchule gehen könnte| sollte". Vorgestellt von verschiedenen VordenkerInnen. Vielleicht ist ja jetzt die Zeit reif, daran anzuknüpfen?
Z.B.: "Schule im Aufbruch"- anbei:
https://salto.bz/de/article/22042018/margret-rasfeld-schule-im-aufbruch