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Identifikationsfiguren...

Männliche Bundeskanzlerin vs il presidente donna: sprachliche Dilemmas?
Meloni, Giorgia
Foto: Facebook/Giorgia Meloni

Vor gerade mal zwei Jahren schrieb „Die Welt“, die deutschen Wähler der Zukunft seien sich einig: Ein Mann könne einfach nicht Kanzlerin werden, dafür seien die Geschlechterrollen in Deutschland zu starr. Leonie R. aus Herzogenaurach-Zweifelsheim glaubte nicht, dass den Vertretern des schwachen Geschlechts große Erfolgsaussichten beschieden seien: „Seit ich denken kann, haben wir eine Kanzlerin in Deutschland. Und da man sich hier bekanntermaßen sehr schwer damit tut, traditionelle Geschlechterrollen zu hinterfragen und neu zu definieren, glaube ich nicht an eine männliche Kanzlerin. Das kommt viel zu früh“. Julian B. aus Weibersbrunn schloss sich dieser Meinung an: „Das wäre einfach unverantwortlich. Schließlich weiß doch jeder, dass Männer viel zu viel trinken, rotes Fleisch essen und sowieso total ungesund leben. 16 Jahre oder länger würde der diesen Job doch gar nicht überleben!“

Da haben wir den Beweis & den Salat: Identifikationsfiguren formen so wie Sprache tatsächlich die Wirklichkeit!

Südlich der Alpen galt Sprache (vor allem gendergerechte Sprache) bis vor kurzem als absolut nebensächlich und musste Wichtigerem weichen. Vaderetro ə, Frauen seien doch mitgemeint und alle anderen sowieso!!!  Zumindest war es bis zur quasi ersten Amtsmitteilung der neuen Regierungschefin so. Die setzte sich gleich über alle Grammatik-Regeln hinweg (im Italienischen wird das Nomen „presidente“ ganz einfach durch den Artikel dekliniert, so wie z.B. bei „cantante“.) und beharrte zuerst einmal darauf, IL SIGNOR PRESIDENTE GIORGIA MELONI genannt zu werden, in einem zweiten Moment reduziert auf IL PRESIDENTE GIORGIA MELONI.

Im Gegensatz zu Deutschland, wo die Möglichkeit einer „männlichen Bundeskanzlerin“ diskutiert wurde, war in Italien bis praktisch gestern allein die Vorstellung einer „weiblichen Präsidentin“ geradezu bizarr. Diese nun „Il Presidente“ nennen zu dürfen ist das Nonplusultra von bizarr! In diesen schwarzen Zeiten freue ich mich doch über jeden Hauch Leichtigkeit … Wäre da nicht die Tatsache, dass uns Präsidentin Meloni damit mitteilt, sie sei auf keinen Fall die erste einer möglichen Reihe von Präsidentinnen (sozusagen ein Role Model), sondern sie wolle die absolute Ausnahme bleiben. Auch durch den Umgang mit den (wenigen) Ministerinnen ihrer Regierung unterstreicht sie ihre Ausnahmeposition als Frau in dieser Regierung. Im Gegensatz zu den männlichen Kollegen, die mit Vor- und Nachname von ihr aufgezählt wurden, hat Meloni die Ministerinnen (6 von insgesamt 25) bei ihrem „discorso per la fiducia“ letzthin schlicht auf ihre Vornamen reduziert. Alla faccia del Presidente Meloni: Hut ab, DAS nennt man „Politik machen“.

Sprache IST politisch und Melonis Sprache ist symptomatisch für ihren erzkonservativen Regierungsstil. Angefangen bei der Berufsbezeichnung, weiter über mehr oder weniger subtile Attacken gegen Zivilrechte bis hin zu … was den eigentlich? Ihr Credo scheint zu lauten: gläserne Decke durchbrechen, Leiter hochziehen und dann weiter mit den altbekannten patriarchalen Machtstrukturen, möglichst im Rückwärtsgang. Richtig wundern tut sich bei den Brüdern Italiens (und den verschwiegenen Schwestern) dabei niemand. Obwohl … bei genauerer Betrachtung scheint das Ganze selbst unserer Präsidentin nicht ganz geheuer zu sein. Hat sie doch auf ihrer ersten Brüssel-Reise die anwesenden Präsidentinnen auch als solche benannt: “la Presidente Roberta Metsola e la Presidente Ursula von der Leyen“. Das biologische Geschlecht scheint dann doch nicht so einfach von der formalen Bezeichnung zu trennen sein. Ich erlaube mir einen Vorschlag, wie wir aus diesem sprachlichen Dilemma kommen. Wie gefällt euch „ə Presidente Meloni“?