Film | Minderheiten

Der Lubo und die Jenischen

Der Spielfilm "Lubo" - zur Geschichte der Jenischen - wurde unter anderem in Südtirol gedreht. Er war zwar bereits im Kino zu sehen, doch hat es den Anschein, als würde er immer wieder mal vorbeischauen. Ein trauriger Glücksfall.
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Foto: Francesca Scorzini
  • Sie leben in Frankreich, der Schweiz, Deutschland, Österreich, Holland, Belgien – eigentlich in ganz Europa: die Jenischen. Anerkannt als (kulturelle) Minderheit sind sie bislang nur in der Schweiz. Doch die Anerkennung täuscht, denn dass die Jenischen in der Schweiz zeitweise mehr verfolgt wurden als anderswo, wird im Spielfilm Lubo in rund drei Stunden eindrucksvoll auf die Leinwand gebannt. Lubo (Regie: Giorgio Diritti) war auch für wenige Termine Anfang November in den lokalen Kinos zu sehen, hatte etwas Pech mit dem hiesigen Kinostart, da er zeitgleich mit dem Kinoknüller von Paola Cortellesi C’è ancora domani in die Säle kam. Lubo, die tragische Geschichte eines Vaters, dem die Kinder abhanden kommen, wollte kaum jemand sehen. 

  • Das Ziehharmonikaspiel: Tasten und fantasievolle Töne (oder Luft) für die Erinnerung an glücklichere Zeiten. Foto: Francesca Sorzoni

    Wählte nur eine überschaubare Minderheit den Weg zu Lubo ins Bozner Kino, geht es im Film auch um eine Minderheit. Es geht um die Jenischen, die auch in Südtirol nicht unbekannt waren, vielmehr waren sie hier einst bekannt unter der etwas abwertenden Bezeichnung Korrner. Dem Poeten Luis Stefan Stecher gelang es zwar die Bezeichnung Korrner mit seiner Buchveröffentlichung Korrnrliadr literarisch zu verklären, doch ist es mittlerweile auch hier - abgesehen von Kunst und Literatur - wissenschaftlicher und zeitgemäßer von den Jenischen und nicht von den Korrnern zu sprechen. Die Jenischen gehörten über Jahrhunderte auch zur Tiroler Geschichte. Sie zogen vom Vinschgau aus ins Inntal, nach Osttirol, an den Gardasee, den Bodensee und immer wieder zurück. Und wieder weiter. 

  • Lubos Handeln mag pure Verzweiflung sein, auch Rache. Egal.


    Irgendwann vor und nach dem 2. Weltkrieg wurden die Jenischen in Südtirol assimiliert, ließen sich assimilieren, zu schwach war ihr Standing, zu wenig Rückhalt hatten die Fahrenden von der sesshaften Mehrheit erfahren. Wo die Minderheit der Jenischen ihre Ursprünge hat, ist über viele verschiedene Annahmen und Mutmaßungen überliefert. Diese frühen an diverse Anfänge aber meistens auch zu Unklarheiten.

  • Unterwegs im Wohnwagen: Jenesien und die Jenischen. Wortverwandtschaften spielerisch mit Minderheitengeschichte verknüpft. Foto: Francesca Scorzoni

    Jenesien? Ursprung der Jenischen? Die Literatur macht es möglich. Die österreichische Autorin Simone Schönett umging dieses Dilemma mit der Veröffentlichung ihres Romans re:mondo vor wenigen Jahren, als sie den (fiktiven) Ort Jenesien wortverspielt zum Zentrum des Jenischen literarisch neu erfand – und mitunter das reale Dorf Jenesien für ihre Recherche und eine Lesung aufsuchte. 
    Im ebenfalls vor wenigen Jahren erschienen Buch Fahrend? Um die Ötztaler Alpen (Hrsg. Michael Haupt und Edith Hessenberger) werden viele Aspekte jenischer Kultur aufgezeigt und aus verschiedenen Sichtweisen betrachtet, auch welchen wichtigen Teil die Jenischen im Vinschgau spielten und in der öffentlichen Wahrnehmung darstellten. Ihre Geschichte ist (nicht nur) in Südtirol in Vergessenheit geraten. 

  • Nun aber in aller Kürze zum langen und intensiven Film Lubo. Er besticht durch die atemberaubende Präsenz des Schauspielers Franz Rogowski. Gleich mit den ersten Filmminuten, als der jenische Kleinkünstler als Frau verkleidet aus dem Bauch eines Bärenkostüms steigt, zieht man eigentlich gern mit Lubo durch die Welt, auch wenn sie sich ein ums andere Mal tragisch, traurig und immer wieder hoffnungslos darstellt. Sein starker Glaube an das Gute, an seine Kinder, treibt die Geschichte weiter. Und immer wieder ins Leere.
     

    Mit seinen drei Stunden ist der Film Lubo natürlich etwas sperrig in seiner Gesamtlänge, aber die Zeit mit jenischer (Film-)Geschichte zu verbringen ist uneingeschränkt kostbar. 

  • Leben und lieben: Der fantasievolle Lubo (Franz Rogowski), bevor ihm sein geliebter jenisches Alltagsleben plötzlich abhanden kommt. Foto: Francesca Scorzoni

    Der Film – er orientiert sich an der fiktiven Geschichte des Buches Il Seminatore von Mario Cavatore – ist stets sehr nah am Hauptdarsteller, während der Wirren des Krieges oder später als reicher Händler unter falschem Namen. Man erfährt, wie es den Jenischen an den Kragen ging, wie Kinder verschwinden, Frauen ermordet werden, um (unter Vorwand) letztendlich eine unerwünschte Kultur auszulöschen. Der Film zeigt aber auch, wie Lubo sich gegen die Ungerechtigkeit wehrt und sich an einer Gesellschaft rächt, die ihrerseits keinen Umgang mit den Fahrenden und ihrem Lebensstil findet. Nationalistische Kleingeister können halt nicht kapieren, sie treten lieber auf immer dieselbe Stelle und benutzen im besten Fall die immer gleichen Trampelpfade. 

  • Dreharbeiten in Südtirol: Franz Rogowski bei den Dreharbeiten auf der Fane Alm im November 2022. Foto: IDM

    Lubos Handeln mag pure Verzweiflung sein, auch Rache. Egal. Das Leben beschert ihm ein Dutzend wohlhabender Jahre in bester Schweizer Gesellschaft, später ist er im Knast. Glücklich wird Lubo eigentlich nie. Hoffnungsvoll stolpert er dennoch weiter.
    Im November vergangenen Jahres wurde mit Unterstützung der IDM-Filmförderung auch in Südtirol gedreht. Seitdem zieht es das erzählte Schicksal der jenischen Familie von Lubo Moser immer wieder nach Südtirol. Auch am vergangenen Montag erlebte Lubo im Rahmen eines Abends der Vereinigung Geschichte und Region/storia e regione eine erneute, leider einmalige Aufführung – und so zog es den Film wieder in die einstige Karrnergasse (heute Streitergasse) nach Bozen. Mit seinen drei Stunden ist der Film natürlich etwas sperrig in seiner Gesamtlänge, aber die Zeit mit jenischer (Film-)Geschichte zu verbringen ist uneingeschränkt kostbar. 

  • Und noch eine cineastische Fußnote. Eine wichtige Filmarbeit zur jenischen Geschichte gelang 2017 der Filmemacherin Valentina Pedicini (1978-2020). Inspiriert von der wahren Geschichte der Poetin Mariella Mehr (1947-2022) drehte sie Dove cadono le ombre, ihren ersten Spielfilm. Er ist – wie Lubo – ein Film der Anklage und richtet sich gegen die Vereinigung Pro Juventute, die unter dem Vorwand jenischen Kindern zu helfen, mehr Unheil anrichtete und unfassbare Leidensgeschichten von Kindern und Eltern bis Anfang der 1970er Jahre unter den Teppich kehrte. Die beiden Filme zur jenischen Geschichte schafften es beide auf die Biennale in Venedig. Vielleicht zieht es die hochwertigen Produktionen – wie einst die Jenischen in Südtirol – in regelmäßigem Abständen nach und durch Südtirol und lassen die Geschichte der Randgruppe – von Gemeinde zu Gemeinde, von Kulturhaus zu Kulturhaus – erzählend weiterziehen. Damit die Jenischen nicht in Vergessenheit geraten.

  • (c) Filmclub