Gesellschaft | Religiöse Symbole

(So lasst uns denn gelassen bleiben)

"Der Trend heißt nicht religiöser Pluralismus, sondern Konfessionslosigkeit"
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Foto: www.teechip.com

Ja, ich weiß, sie hängt allen zum Hals raus, jene triste Diskussion darüber, ob Kreuze in den Klassenzimmern (staatlicher Schulen) überhaupt noch gerechtfertigt sind, in 2017, und ob sie ihren Zweck erfüllen, oder nicht. Ich hätte mich auch nicht weiter dazu äußern wollen, hätte man mir nicht einen Anlass geboten, gewissermaßen, den ich jetzt doch nutzen möchte, um ein paar Aspekte ein bisschen auszuleuchten, die, wie mir scheint, bisher weitestgehend im Dunkel blieben. Das Ganze am Beispiel des Sven Knoll, der a) als versierter Rhetoriker gehandelt wird und b) sich als einer der inbrünstig(st)en Prediger von "Tradition, Heimat, Kultur und Werte" geriert.

Wenn also, denke ich mir, selbst einer wie er nicht imstande ist, in einem Gespräch zwischen gepflegten Menschen stich- und nachhaltige Argumente zu liefern für seine Position, dann muss einiges im Argen liegen, zumindest an seiner Position, die er ja als "die richtige" verkaufen will. Ich finde sogar, an Sven Knoll an jenem Abend und in jener "Diskussion" zwischen Brigitte Froppa und ihm kann sehr schön abgelesen werden, wie solche und andere "Herzens-"Themen der Bevölkerung sehr gezielt angefacht und bewirtschaftet werden aus „Kreisen“, in denen „man“ sich politischen Gewinn davon verspricht, die gutgläubige Menschheit zu desinformieren, und auf falschen und schlecht ausgeleuchteten Wegen in eine "Zukunft" zu führen, von der ich lieber nicht wissen will, wie sie ausschauen könnte. Das scheint ja übrigens gut zu funktionieren, in unseren Tagen, in denen offenbar alles geht, und zwar umso besser, je weniger seriös, ehrlich und ernsthaft es ist.

Was also Sven Knoll an jenem Abend bot, war vor allem "schwarze Rhetorik" ohne Sinn und Verstand. Denn es lügt und führt die Bevölkerung auf Irrwege, wer wie Knoll und seinesgleichen behauptet oder auch nur insinuiert, die Frage nach den Kreuzen im Klassenzimmer werde gestellt und diese Debatte geführt "aus falsch verstandener Toleranz" gegenüber neuen Mitbürger_innen anderer Religionen. Wer so "argumentiert", dem geht es nicht um Kreuz-oder-nicht-Kreuz-in-den-Klassenzimmern, sondern einzig darum, gegen Andersgläubige und Anderskulturelle aufzubringen und zu hetzen. Gleichermaßen verlogen ist es übrigens, so zu tun, und sei es noch so unterschwellig (wie es auch Sven Knoll in jener Diskussion tut), als stünden sämtliche Kreuze und religiöse Symbole im öffentlichen Raum zur Diskussion, und als ginge es überhaupt um „unsere“ Religion als Ganzes. Das ist, es kann nicht oft genug gesagt werden, völlig falsch und (leider wohl bewusst) irreführend.

In Wahrheit ist, wenn schon, die schlichte und sehr berechtigte Frage einzig und allein, ob Kreuze in den Klassenzimmern (staatlicher) Schulen nötig und/oder sinnvoll sind - nicht mehr und nicht weniger. Wobei ja auch einmal gesagt werden muss – denn auch das wird in der Diskussion ständig unterschlagen – dass die heutigen Kreuze in den Klassenzimmern ja überhaupt nichts anderes sind als eher unreflektierte Überbleibsel aus jenen fernen Tagen, in denen das Lehrpersonal vor allem aus Kirchenkreisen stammte, und überhaupt Lehrtätigkeit weit überwiegend wenn nicht ausschließlich Kirchensache war. Seit jenen fernen Tagen hat sich zwar alles geändert - die Kreuze in den Klassenzimmern aber, die blieben (und dürfen, so schaut's aus, auf gar keinen Fall hinterfragt werden). Mit "Tradition", wie man uns alleweil weismachen will, oder "Kultur", hat das also erst Mal gar nichts zu tun, oder jedenfalls nur in sehr untergeordneter Hinsicht - dafür aber sehr viel mit Macht, und zwar der Macht einer bestimmten Elite. Jaja. Eventuell könnte es, in zweiter Instanz, auch noch um Politik gehen, oder was man darunter versteht, vielleicht aber auch nur um die nächste Wahl, und billig ergaunerte Wählerstimmen.

An welchem Punkte also geklärt sein sollte, dass die Frage, ob Kreuze bzw. die Macht, die dahinter steht, in einem laizistischen Staat bis in die Klassenzimmer hinein reichen darf, zu den kleinen und kleinsten, so aufnahmefähigen und formbaren Menschen, mehr als legitim ist und sogar verpflichtend diskutiert werden sollte. Bei klarem Verstand [betrachtet] ist es ja übrigens sowieso lachhaft, oder eigentlich sehr traurig, zu unterstellen, Religion und/oder die christlichen Werte unserer Kultur seien nicht vermittelbar und gingen verloren, wenn nicht in Klassenzimmern ein Kreuz hängt. Die Wahrheit ist vielmehr: Um Werte, Kultur und Glauben zu vermitteln, braucht es zwei Dinge: Erstens Menschen, und zweitens Menschen - ein Kreuz, wie übrigens auch alle anderen, religiösen und nicht-religiösen, Symbole, vermitteln erst Mal: Gar nichts. Es entfaltet seine Wirkung erst und nur jenen gegenüber, die die Werte, die es darstellt, schon verinnerlicht haben. Überdies ist m. E. die grundsätzliche Frage durchaus angebracht, wie schlecht es bestellt sein muss, um unseren Glauben und diesen Teil unserer Kultur, wenn er mit einem kleinen Kreuz (das eh kaum jemand wahrnimmt) in ein paar Klassenzimmern steht und/oder fällt. Traurig auch, dass gerade jemand wie Sven Knoll, (angeblicher) Kultur-Über-Mensch der Heimat von 500.000, diese doch so reiche und in ihrer Kleinheit so vielfältige Kultur auf nicht viel mehr als Kirche und Kreuz zusammenstreichen will. 

Was weiterhin Sven Knoll und seinesgleichen in dieser „Debatte“ ebenfalls tunlichst unterschlagen ist, dass keineswegs alle 500.000 Südtiroler_innen so sind und so denken wie er & seinesgleichen das tun, und dass sein & seinesgleichen Kulturverständnis keinesfalls von allen Südtiroler_innen geteilt wird - dass, um beim Thema des Tages zu bleiben, sogar sehr viele nur geringen bis überhaupt gar keinen und jedenfalls keinen gesteigerten Wert legen auf religiöse Symbole in den Klassenzimmern und überhaupt. Die aber trotzdem durch und durch leidenschaftliche Südtiroler_innen sind, und gute Christen dazu, und das alles, man höre und staune, völlig unabhängig von Migranten Toleranz und anderen neuzeitlichen Gegebenheiten. (Interessant übrigens, dass gerade Sven Knoll und seine direkten und indirekten Co-Patriot_innen, sonst stets hitzige Verfechter von "Volksbefragung", zu diesem Thema keine solche anregen. Man wird schon wissen, wieso.) Insofern ist es schon sehr vermessen, dass dieser (kleine) Teil der Südtiroler Politik so tut, als seien sein Maßstab und seine "Ideale" auch Maßstab und "Ideal" aller anderen Fünfhunderttausend. Dem ist nämlich, nachweislich, nicht so.  

Bei welcher Gelegenheit ich auch gleich an einem weiteren Trugbild rütteln möchte, das Sven Knoll & ähnliche (angebliche) Heimatmenschen der gutgläubigen Bevölkerung gern vorgaukeln, nämlich, dass die christliche Religion die einzige sei, die ihren Gläubigen „Werte“ vermittelt. Tatsache ist vielmehr: Auch andere Religionen haben und predigen Werte, und zwar ganz ähnliche wie die christliche Religion sie lehrt. Und jedenfalls ist sowieso auf dem Holzweg, wer da meint, (s)eine Religion sei besser als die andere. (Taliban lässt grüßen.)

Dass es übrigens mit den religiösen Gefühlen der allgemeinen Menschheit schon längst nicht mehr so einheitlich bestellt ist, wie Sven Knoll & seinesgleichen sich das offenbar wünschen, und der ihnen zuge-hörigen Bevölkerung weismachen wollen, und dass diese Tatsache mit den neuen und alten Muslimen unserer Gesellschaft oder gar Islamisierung überhaupt nichts zu tun hat, zeigt sehr schön ein Artikel der (konservativen!) NZZ aus der räumlich und ideell nahen Schweiz, der just dieser Tage (sehr willkommen!) auf meinen Bildschirm gerauscht kam - und er berichtet so:

„Von einer «Islamisierung» der Schweiz kann hingegen keine Rede sein: Die Muslime stellen mit fünf Prozent der Bevölkerung zwar die grösste nicht-christliche Gruppe. Die muslimische Gemeinschaft in der Schweiz ist aber jüngst nicht gewachsen. (...) Der Trend heisse nicht religiöser Pluralismus, sondern Konfessionslosigkeit. (...)"

So einfach und schlicht ist also nämlich die Antwort auf all die Fragen, von denen die Südtiroler Menschheit dieser Tage aufgescheucht wurde: Die Welt verändert sich, und mit ihre ihre Menschen (vielleicht ist's aber auch umgekehrt) - auch wenn einige das partout nicht wahrhaben wollen. So ist es also völlig unangemessen und zutiefst verlogen, wenn das Abflauen religiöser Inbrunst neuen und weniger neuen Bürger*innen anderer Religion(en) in die Schuhe geschoben werden soll, und/oder einer mehr oder weniger großen Anzahl an Kreuzen in Schulklassen (was wiederum gern jenen "Fremden" in die Schuhe geschoben würde). Wenn schon Schuldige namhaft gemacht werden müssen (wovon ich nicht überzeugt bin), für diesen Niedergang allen Religiösen hierzulande: "Die Anderen" sind es jedenfalls nicht. Das weiß, offenbar, auch Sven Knoll sehr gut. Schade bloß, dass er nicht dazu steht, und seiner gutgläubigen Gefolgschaft lieber ein schäbiges X für ein gutes U vormacht, indem er behaupt, der Kirchgänger-Drain liege daran, dass  „das eine persönliche Entscheidung ist und diese Leute das Kreuz (sic!) eben lieber in der eigenen Stube anbeten, statt in der Kirche“.

Die Erklärung aber, wozu er dann Kreuze in den Klassenzimmern verlangt, bleibt Sven Knoll schuldig.