Wütende Proteste empfangen neuen Premier

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Die Amtsübergabe des am Montag abgewählten Premierministers Francois Bayrou an seinen Nachfolger vor laufenden TV-Kameras hätte freundlicher nicht sein können. Der 74-jährige Polit-Veteran bot dem 39-jährigen Sebastien Lecornu seine Hilfe an und wünschte ihm viel Glück, nachdem er selbst bei der Durchsetzung eines drastischen Sparbudgets kläglich gescheitert war.
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Sebastian Lecornu oder die Kontinuität in neuem Gewand
Lecornu hielt mit knappen drei Minuten die kürzeste Rede der Geschichte für derartige Anlässe. Er werde für eine „rupture“, einen Bruch, mit der bisherigen Art zu regieren vollziehen und zwar sowohl was die Methode betrifft, als auch die Inhalte. „Rupture“, das ist das magische Wort, mit dem in der französischen Politik immer wieder eine grundlegende Wende versprochen und angekündigt wird. Aus dem Munde von Sebastian Lecornu klingt es besonders fragwürdig. Denn er gilt als engster Vertrauter des Präsidenten, ist seit Macrons Amtsantritt 2017 mit verschiedensten Ämtern betraut, seit drei Jahren schwergewichtiger Verteidigungsminister und war bei Macrons Wiederwahl führend in der Wahlkampfgestaltung.
Aus dem Munde von Sebastian Lecornu klingt es besonders fragwürdig. Denn er gilt als engster Vertrauter des Präsidenten.
Begonnen hat Lecornu bei den neogaullistischen Konservativen, wurde unter Macrons Vorgänger Nicolas Sarkozy Landwirstschaftsminister und wechselte dann zur Wahlbewegung En Marche, die Macron vor acht Jahren zum Präsidenten machte. Uneitel, zurückhaltend, arbeitsam und pragmatisch wird Lecornu gelegentlich sogar zum privaten Diner des Präsidenten und dessen Gemahlin geladen. Neben absoluter Loyalität werden Lecornu die Fähigkeit des Zuhörens und sogar ein Gesprächsfaden zu Marine Le Pen nachgesagt. Über sein Privatleben wissen nicht einmal die Boulevardblätter etwas zu berichten.
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Die Linke ist brüskiert, die extreme Rechte abwartend
Während die konservativen und zentristischen Parteien des Blocks der Mitte Macrons Personalentscheidung wohlgesonnen aufnahmen, reagierten die vier als Wahlbündnis „Neue Volksfront“ NFP bei den Wahlen vor einem Jahr zur stärksten Fraktion in der Assemblée Nationale avancierten Linken und Grünen empört.
Marine Le Pen sprach spöttisch von den „letzten Kugeln“ die Macron verschieße.
„Eine Provokation“ nannte die Grünen-Chefin Marine Tondelier die Ernennung Lecornus. Man werde Gespräche nicht ablehnen, aber lediglich um die Anliegen der Franzosen zu präsentieren – an eine Regierungszusammenarbeit sei nicht zu denken. Ebenso verbittert klingen die Töne bei den Sozialdemokraten des PS, die von Macron noch vor zwei Tagen heftig umworben worden waren und die radikalen Linken (Unbeugsames Frankreich) von Jean-Luc Mélenchon haben schon einen Misstrauensantrag angekündigt.
Widersprüchlich die Reaktion der extremen Rechten: spontan sprach Marine Le Pen spöttisch von den „letzten Kugeln“ die Macron verschieße, aber die Nummer Zwei der Partei, Jordan Bardella, erklärte offiziell, man werde ja sehen: „gibt es keine „rupture“, dann eben ein Misstrauensvotum“.
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Landesweite Proteste
Seinen ersten Arbeitstag begann Sebastian Lecornu zwar mit ersten Telefonaten mit allen Parteien mit Ausnahme der „Unbeugsamen“, um sich dann aber in der Sicherheitszentrale des Innenministeriums über die Entwicklung der landesweiten Proteste ein Bild zu machen.
Begonnen hatten die Aktionen schon im Morgengrauen mit Ansammlungen rund um Lagerfeuer in den Kernen hunderter Kreisverkehre des Landes – eine Methode die vor sechs Jahren die monatelangen Proteste der Gelbwesten gekennzeichnet hatte. Dann kamen Schülerinnen, Schüler und Studierende, Arbeiterinnen und Arbeiter und Frauen mit Kinderwägen, Alt und Jung aus den unteren Volksschichten hinzu. Etliche Supermärkte und Geschäfte blieben geschlossen, in Paris brannten Mülltonen, Straßen wurden blockiert, Autos und Taxis steckten im Stau. Im Lauf des Tages zogen dann in den mittleren und großen Städten große, gut organisierte, friedliche Demonstrationen durch die Straßen, meist gewerkschaftlich organisiert.
Die mit achtzigtausend Frauen und Männern aufgebotene Polizei reagierte unverzüglich und martialisch.
„Lasst uns alles blockieren“ hatte im Internet und während der Vorbereitungsversammlungen die Losung gelautet. Blockiert wurde das Land nicht, obwohl laut Polizei 175tausend, laut den Veranstaltern 250tausend Menschen demonstriert haben. Denn sobald eine wichtige Verkehrsverbindung, eine Autobahn, ein Bahnhof oder der Zugang zu wichtigen öffentlichen Gebäuden blockiert wurden, intervenierte die mit achtzigtausend Frauen und Männern aufgebotene Polizei unverzüglich und martialisch: Stoßtrupps im Laufschritt, Schlagstöcke und massenhaft Tränengas und sofortige Festnahmen – 473 an der Zahl, darunter laut Auskunft des Innenministeriums „eine erstaunlich hohe Anzahl von Frauen“…
Auch ohne Lahmlegung des öffentlichen Lebens haben die Proteste an mehr als 600 Stellen des Landes trotzdem die enorme Unzufriedenheit der Leute über ihre Arbeits- und Lebensbedingungen, den Zorn über die sozialen Ungleichheiten, über die Politik und vor allem über den mittlerweile verhassten Präsidenten unmissverständlich offenbart. Und für den 18. des Monats haben die Gewerkschaften gemeinsam einen landesweiten Streik ausgerufen.
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Macron und Lecornu unter Druck
Der Präsident und sein neuer Premier stehen doppelt unter Druck. Bis zum 7. Oktober muss dem Parlament ein erster Budgetentwurf vorgelegt, bis Jahresende das Budget beschlossen werden. Aus dem Präsidentenpalast Elysèe hat man durchsickern lassen, dass die geplante Abschaffung zweier Feiertage – Maßnahme, die das Fass des Volkszorns zum Überlaufen brachte – zurückgenommen werde.
Macron wird einlenken müssen.
Auch über eine (sehr mäßige) Mehrbesteuerung der höchsten Vermögen könne neu verhandelt werden, über die Erhöhung des Selbstbehalts bei Arzt- und Sanitätsgebühren eventuell auch. Wie schon bei den Gelbwesten-Protesten wird Macron doch spürbar einlenken müssen, denn der dritte Premierminister innerhalb eines Jahres ist jetzt seine letzte Chance. Sonst heißt es Neuwahlen und die könnten 18 Monate vor Ende seiner Amtszeit Macron selbst ins Wanken bringen.
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