„E allora? Come ti sentivi?“
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Jacopo Schiesaro und Salvatore Cutrì gehen in einer durchaus wichtigen Sache auf die Bühne. Von Francesco Ferrara bekommen sie ihr Skript mit auf den Weg, dem sie mit Abweichungen und Ausflügen folgen. Ferrara, dem eine Premiere in der Woche nicht zu genügen scheint, hat wiederum zwei Texte als Quellen zu nennen: „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ von (Vera) Christiane F(elscherinow) und die in Blogform veröffentlichten Berichte aus der Suchtvergangenheit des in die Aufführung direkt eingebundenen Schiesaro. Von dort leiht sich das Stück auch seinen Titel. In etwa 50 Minuten werden beide Texte verknüpft, kritisch durchleuchtet und thematische Überschneidungen ausgemacht und besprochen. Bühne und Requisiten (abgesehen von einer Akustikgitarre) gibt es keine, Schiesaro und Cutrì bewegen sich zwischen den Stühlen, auf welchen das Publikum Platz findet. Das Gefühl eines offenen Dialogs, bei welchem man aufstehen und von eigenen Erfahrungen berichten könnte. Getraut hat sich das freilich niemand, der eigene Konsum von legalen und illegalen Suchtmitteln wurde aber sicherlich auf einigen Stühlen reflektiert.
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Das Textmaterial wird auf der Bühne verwoben zu einer halb-wahren und gänzlich wahrhaften Geschichte und wie bei der Produktion im Centro Trevi, bei dem Ferrara Regie führte, werden biografische Details mit Fiktion durchmischt. Ein faktenbasiertes Stück wäre ohnehin an eine Grenze gestoßen: Wie spricht man über den ersten Tripp? Die Rede ist von LSD, Schiesaro zeigt sich hier kurz ratlos. Wie soll es gewesen sein? Natürlich war es eine positive Erfahrung, aber das lässt sich in einem zum Drogenkonsum kritischen Stück nicht sagen, besonders wenn das Stück auch an Schulen zur Aufführung kommen soll. In der Folge dann ein seltsam komischer Bericht bei dem Inhalt und gewählte Adjektive gewollt unstimmig zueinander sind. Auf der Gegenseite werden aber auch unappetitliche Details nicht ausgeklammert. Während man glaubt alles zu können, erfolgt durch Muskelentspannung etwa auch der Kontrollverlust über den Schließmuskel. Man bemüht sich und findet zu einem verknappten, aber doch zu beiden (der subjektiven und der objektiven) Realitäten nahen Dialog über Drogen, der nicht schönt und nicht über die Maßen dämonisiert und moralisiert. Man versucht zu verstehen und Verständnis zu schaffen.
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Spannungen hält das Stück auch in Bezug auf seinen zweiten Quellentext, den Zookindern von Christiane F. aus, die als abgegriffenes Exemplar einer italienischen Ausgabe aus den 80ern im Raum sind und bereits durch den dramatischen Untertitel anecken: „Come si cade nella tragica spirale della droga, come è possibile uscirne in un racconto-verità“. Die Frage nach der Sinnhaftigkeit den Begriff „Wahrheit“ zu bemühen, wenn wir uns im Reich der bewusstseinsverändernden Substanzen bewegen, wird ebenso ausgehandelt, wie das Gefühl, dass dieses Buch an manchen Stellen irgendwie „zu viel“ sei. Das Gefühl, das auf der Bühne von den beiden Schauspielern ausgemacht wird, setzen diese schließlich auch mit einem gänzlich anderen Begriff der Normalität in Zusammenhang: Wer, wie Christiane F., vernachlässigt und ohne elterliche Fürsorge aufwächst, sieht darin seine eigene, persönliche Normalität und wird sich auf die Suche nach einer Ersatzfamilie machen.
Die Drogensucht - und hier wird Alkohol korrekterweise und differenziert mitthematisiert (in besonderer Weise geht das Thema auf der Bühne an Cutrì), nicht bloß mitgemeint - nimmt ihren Ausgang oft bei dem Wunsch nach Zugehörigkeit. Sowohl aus Christianes, wie auch aus Jacopos Berichten geht das eindrücklich hervor. Man fragt sich auch, Bezug nehmend auf eine Szene in welcher Christianes Freundin Cassie von der Mutter bewusstlos auf einer Parkbank vorgefunden und geohrfeigt wird, wie man als Außenstehender mit der Drogensucht von Angehörigen oder Freunden umzugehen hat. Wie Cassie, die nach dieser Episode aus der Erzählung verschwindet, auf die körperliche Maßregelung reagiert und ob diese ihr hilft oder die Beziehung zur Mutter weiter verschlechtert, wissen wir nicht.
Ein weiteres zentrales Thema ist die große Kluft, welche sich oft zwischen Erwartung und Realität auftut, besonders wenn ein direkter Bezug zur Realität nicht mehr gegeben ist. Wie aber kommt man zurück? Mit Hilfe, die man entweder selbst in Anspruch nehmen muss, oder - hoffend und wünschend - mit Glück von einem Außenstehenden erhält. Ein Problem totzuschweigen hilft jedenfalls niemandem. „Tra Droghe e sentimenti“ bringt schmerzliche Erfahrungen ungeschönt auf die Bühne und interessiert sich dabei weniger für die Frage nach Wahrheit und Fiktion, da man ein weiteres Kriterium als wichtiger eingestuft hat: Wahrhaftigkeit. Dazu gehört eben auch, dass ein Drogentripp aus der eingeschränkten Sicht auf den gegenwärtigen Moment schön und, vorübergehend, hilfreich sein kann. Welche Erfahrungen dabei wer gemacht hat ist hier weniger wichtig, als dass diese glaubhaft sind. Der intime Stückrahmen als Stuhlkreis, der eine Begegnung auf Augenhöhe erlaubt, nützt der Sache dabei sicherlich auch. Im Anschluss wurde noch ungezwungen über das Thema gesprochen und sich ausgetauscht, denn Schweigen ist keine Option.