Gesellschaft | Kommentare

„Divoratore di wurstel“

Als Journalist werde ich seit 50 Jahren beschimpft. Es braucht auf Salto aber eine Art Flurbereinigung. Warum ich für die Einführung von Klarnamen bin.
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Foto: upi
Es hat mich keineswegs erstaunt, dass der Beitrag von Christoph Franceschini über die Kommentierwut gewisser salto-Leser eine rekordverdächtige Flut von Stellungnahmen provoziert hat. 
Denn immer, wenn mich Freunde oder Bekannte auf salto ansprechen, steht dieses Thema im Vordergrund: "Warum legt ihr diesem Dutzend lästiger Dauerkommentatoren, die sich hinter Pseudonymen verstecken, nicht endlich das Handwerk?
Die seit einer Woche anhaltende Diskussion beweist die Aktualität des Problems. Aber über mögliche Lösungen gehen die Meinungen weit auseinander. Kann oder soll man die Pflicht zu Klarnamen einführen? In diesem Fall müsste sich jeder Kommentator mit seinem Ausweis registrieren.  Beeinträchtigt das Pluralismus und die Meinungsfreiheit? Oder verhindert es gehässige, frauenfeindliche, rassistische oder ganz einfach unangebrachte, oder überflüssige Kommentare? 
Persönlich hatte ich stets Mühe, den Zwang zur Anonymität zu begreifen. Ich habe immer offen für meine Überzeugungen gekämpft und die Folgen dafür in Kauf genommen.
Natürlich verfügt jedes Medium und jede Region über ihre eigene User-Szene mit lokalen Besonderheiten: jene von salto riecht in ihren Kommentaren oft nach Provinzialismus und Stammtisch-Mentalität, nach Mangel an Zivilcourage
und Hemdsärmeligkeit. Die Beiträge der selbsternannten Pflichtkommentatoren wirken häufig belanglos, künstlich erregt oder ganz einfach deplaziert. 
Persönlich hatte ich stets Mühe, den Zwang zur Anonymität zu begreifen. Ich habe immer offen für meine Überzeugungen gekämpft und die Folgen dafür in Kauf genommen. Schon als Vorstandsmitglied der Hochschülerschaft wurde ich in den 60-er und 70-er  Jahren von den Dolomiten immer wieder attackiert. Deren Chefredakteur Josef Rampold machte mich mehrmals zum Gegenstand seiner gehässigen Glossen.  Dafür genügte damals wenig - etwa die Forderung nach Errichtung einer Universität in Bozen. 
Auch als Journalist musste ich mich an massive Attacken gewöhnen. Als vor gut zehn Jahren das Wochenmagazin „internazionale“ beschloss, politische Kommentare von einiger Auslandskorrespondenten auf seine Webseite zu stellen, genügte ein kritischer Beitrag über Beppe Grillo, um in der damaligen M5S-Basis eine Flut gehässiger Kommentare auszulösen: vom „crucco di merda“ bis hin zum „divoratore di wurstel“. Die Redaktion hat damals die ärgsten Beschimpfungen gelöscht, ist jedoch wie viele andere Medien nach einigen Jahren dazu übergegangen, nur noch die drei gewohnten Ikonen anzubieten: befürworten, ablehnen, teilen. Nur selten werden zu gewissen Themen ausgewählte Stellungnahmen publiziert. 
Schon als Vorstandsmitglied der Hochschülerschaft wurde ich in den 60-er und 70-er  Jahren von den Dolomiten immer wieder attackiert. Deren Chefredakteur Josef Rampold machte mich mehrmals zum Gegenstand seiner gehässigen Glossen.  
Mittlerweile suchen viele Medien nach brauchbaren Lösungen. Etliche bemühen sich um eine Moderation der Kommentare - auch eine Frage der Kosten. Kaum eine Zeitung wird mit einer solchen Kommentarflut überhäuft wie der Wiener Standard, dessen Mitarbeiter ich seit seit fast 20 Jahren bin.
Ein Beispiel: meine (vom Thema her wohl kaum brisante) Doppelseite über das österreichische Angebot der Staatsbürgerschaft an die Südtiroler hat dort über 500 Stellungnahmen ausgelöst. Die Besonderheit dabei ist, dass sich unter den Standard-Lesern Gruppen von Kommentatoren gegenseitig in die Haare geraten. Kritiker definieren das Standard-Forum als "Spielwiese von Trollen und Neurotikern" und fordern von der Regierung eine Klarnamenpflicht und harte Strafen gegen Hasspostings und jene Online-Plattformen, die sie zulassen. Das Ausmass des Phänomens ist gewaltig: bis zu 40.000 Kommentare täglich. Fast 15 Millionen jährlich werden auf DER STANDARD, dem grössten Forum Österreichs gepostet.
Ohne Moderation wäre das undenkbar. Die Redaktion schildert den Aufwand: „13 Mitarbeiter kümmern sich beim Standard um Foren und blogs. Sie stellen interessate User-Beiträge nach vorn und sortieren nach einer speziell entwickelten Software unflätige Kommentare aus. 2018 lag die Löschquote bei fünf Prozent. Sind die postings nicht rechtswidrig, wird versucht, die Diskussion durch Moderation in eine konstruktive Richtung zu drehen. Strafrechtliches wie gefährliche Drohungen werden auf Wunsch der Betroffenen angezeigt. Wiederbestätigung oder hetzerische Postings an die Meldestellen weitergegeben."
Zentrale Themen sind dabei Rassismus und Ausländerfeindlichkeit. Motto der Aktion: DEM HASS IM NETZ KEINE CHANCE.
 
Die Zahl der unerwünschten und anonymen Postings ist bei salto vergleichsweise gering und auch rassistische Propaganda findet sich kaum. Das bedeutet freilich nicht, dass man deshalb unbesorgt zur Tagesordnung übergehen kann.
Natürlich ist die Zahl der unerwünschten und anonymen Postings bei salto vergleichsweise gering und auch rassistische Propaganda findet sich kaum. Das bedeutet freilich nicht, dass man deshalb unbesorgt zur Tagesordnung übergehen kann, denn die meisten Leser empfinden die anonymen Dauerpostings als überflüssig und ärgerlich. An eigenwilligen Stellungnahmen fehlte es in der Diskussion nicht.
Wenn "die Anonymität als Grundpfeiler des Internet und der Freiheit" gepriesen wird, können etwa Freunde der Kinderpornographie erleichtert aufatmen. Anonymität schütze auch vor einem möglichen Berufsverbot in Südtirol, so der Gründer der ehemaligen Piraten-Partei. Bizarre Thesen - denn wer ein Amt als Ressortchef in der Landesverwaltung anstrebt, sollte sich im eigenen Interesse wohl mit Kritik an der Regierungspartei zurückhalten. Das ist nicht nur in Südtirol so, sondern in jedem Land.
Christoph Franceschini hat die Lage in seinem Leitartikel treffend auf den Punkt gebracht: "Eine Gruppe von Fanatikern hat mit ihren inzestuösen, niveaulosen und zumeist auch völlig sinnlosen Diskussionen diesen Raum in Beschlag genommen. Ihre Lieblingsbeschäftigung: untereinander zu streiten. Dabei schaffen sie es schnell, jeden normalen Kommentator hinauszumobben."
Aus diesem Grund bin ich für die Einführung von Klarnamen. Sicher kein Allheilmittel. Aber zweifelsohne ein Schritt nach vorne, eine Art Flurbereinigung, die von vielen Lesern begrüsst wird.