Bozen, quo vadis?
Es ist der Montag nach den Wahlen, als der Bozner Bürgermeister zu einer Pressekonferenz lädt. “Wir haben die Wahlen nicht gewonnen. Aber niemand hat uns geschlagen”, so eröffnet Luigi Spagnolli nach der Wahlschlappe des PD seine Verteidigungsrede. Noch nie hat “Gigi”, wie ihn seine Anhänger mehr oder weniger liebevoll nennen, in die Stichwahl müssen. Es gibt eben für alles ein erstes Mal.
Stadt, Land, Schluss?
Im Laufe der Pressekonferenz macht Spagnolli auch gleich die Ursachen für das Wahlergebnis – verfehlte Wiederwahl, herbe Verluste des Koalitionspartners SVP und Erstarken der (extremen) italienischen Rechten – aus. Zum einen die gesunkene Wahlbeteiligung (in Bozen ging sie von 65,8 auf 57,8 Prozent im Vergleich zu 2010 zurück). Zum anderen die Provinz. Und an diesem Punkt geht Spagnolli von der Defensive in den Angriff über. Er beklagt die fehlende Unterstützung vonseiten des Landes, das dem Ersten Bozner Bürger und seinen Verbündeten während dem Wahlkampf Steine in den Weg gelegt hätte. “Insbesondere durch die Entscheidung, das Hotel Alpi für Flüchtlinge zu öffnen”, wettert Spagnolli. Damit hätte man den rechten Parteien in die Hände gespielt.
Wie steht es um das Verhältnis Stadt-Land? Foto: LPA
Und der Bozner Bürgermeister geht noch weiter: “So etwas hätte es unter Landeshauptmann Luis Durnwalder nie gegeben.” Hart geht er mit dem Land und insbesondere der Landesregierung ins Gericht. Diese habe sich nicht genug um Bozen gekümmert. Was gravierend sei, denn: “schließlich haben wir dieselbe politische Couleur”. Der Argumentation Spagnollis folgend ist also die mangelnde Aufmerksamkeit, die die Provinz seinem Eindruck nach der Stadt Bozen entgegen gebracht hat, mit Schuld an der ziemlich daneben geratenen und nach rechts gerutschten Wahl. “Die Provinz trägt eine große Verantwortung bei dem, was passiert ist. Jetzt ist sie an der Reihe, ihren Teil zu leisten.”
Wer macht Spagnolli wirklich nervös?
Kurz angebunden die Antwort von Landeshauptmann Arno Kompatscher auf Spagnollis Vorwürfe: “Die Zusammenarbeit zwischen Provinz und Gemeinde war immer da. Und die Provinz bemüht sich sehr wohl um die Stadt.” Doch auch auf den Seitenhienb, unter Durnwalder wäre die Causa Hotel Alpi nie passiert, antwortet der Landeshauptmann am Dienstag Mittag: “Durnwalder hätte so etwas nicht gemacht? Ich glaube nicht, dass Durnwalder die Leute auf der Straße gelassen hätte, nur weil Wahlen anstehen.” Doch zeigt er Verständnis für den Noch-Bürgermeister: “Ich verstehe seine Nervösität”, so Kompatscher zu Alto Adige online. Man kann vermuten, dass die Nerven angesichts der anstehenden Stichwahlen, der verzwickten Suche nach Koalitionspartnern und dem Vorpreschen der zum Teil extremen Rechten bei Gigi Spagnolli dieser Tage blank liegen.
Doch er will das Gegenteil beweisen. Die Aussagen Kompatschers veranlassen den Bozner Bürgermeister, wie so oft, seine Twitter-Maschine anzuwerfen. Umgehend antwortet er dem Landeshauptmann:
Ganz so gelassen, wie der sich auf Twitter gibt, dürfte Spangolli jedoch nicht sein. Einen Hinweis darauf liefert bereits der Hashtag, den er mit seiner Twitter-Antwort postet: #il24maggiononpassacasapound. CasaPound, der Angstgegner der liberalen und demokratischen Parteien, nicht nur in Bozen. Eine der gewagtesten Befürchtungen ist am 10. Mai wahr geworden: 2,4% der Stimmen und 309 Vorzugsstimmen für CasaPound-Listenführer Andrea Bonazza, der gleichzeitig in den Gemeinderat einzieht. In einem offenen Brief beschwört Spagnolli die Bürger seiner Stadt: “Il 24 maggio non solo e non tanto deve perdere Urzì, il 24 maggio soprattutto dobbiamo vincere noi.”
Gegen die Aufnahme von Flüchtlinge und das zivilgesellschaftliche Engagement stellt sich CasaPound ganz öffentlich auf Facebook.
Eine Treibjagd
Eine klare Ansage. Er werde die Stadt nicht Alessandro Urzì und CasaPound überlassen, so die Ankündigung Spagnollis. Gleichzeitig jedoch scheint es, als ob er sich gerade von den polarisierenden Parolen der Rechten vor sich hertreiben ließe: “Sulla sicurezza c’è da cambiare qualcosa, e appena eletto lo farò, ben consapevole che la sicurezza non è patrimonio esclusivo della destra, ma è diritto inalienabile di tutti. Non ho mai visto gente di sinistra tutta contenta se si sente insicura. Qualunque cosa servirà, quindi, la faremo. Se serviranno le telecamere le metteremo, se servirà illuminare di più illumineremo, se servirà battere i pugni per avere più uomini sul territorio, li batteremo.” Kurz und gut, wenn ihr euch Sorgen um eure Sicherheit macht, müsst ihr nicht rechts wählen. Ihr könnt genauso gut mich wählen. Ob dieser Appell reichen wird, um die Wähler zu überzeugen, wird man sehen.
Auf Kuschelkurs
Grund zur Sorge geben indes die sich häufenden Anzeichen dafür, dass sich auch in Bozen eine Allianz zwischen CasaPound und der Lega Nord anzubahnen scheint. Auf nationaler Ebene hat man sich bereits zusammengeschlossen, gemeinsam marschierte man Ende Februar durch Rom. Die CasaPound-Aktivisten sind nützlich für die Lega. Sie sind jene, die sich nicht zieren, ihre Hände schmutzig zu machen. Sie schüren die Angst vor dem Fremden, bereiten den Boden für den Hass auf alles und jeden, der anders ist. An diesem Punkt kommt dann die Lega ins Spiel. Sie holt die verunsicherten und aufgehetzten Wähler ab. Im Gegenzug garantiert sie CasaPound Sichtbarkeit und Akzeptanz auf politischer und gesellschaftlicher Ebene.
“Prima i bolzanini”, so ein Wahlslogan der Lega Nord.
Wer bei den Massenaufläufen beim Besuch von Lega-Führer Matteo Salvini sowie des CasaPound-Italia-Vizepräsidenten Simone Di Stefano vergangene Woche in Bozen dabei war, dem fällt auf, dass sich die beiden in Auftritt und Wortwahl nicht großartig zu unterscheiden scheinen. Auf beiden Seiten wird gegen die unaufhaltsame Masseneinwanderung, die Unterdrückung der einheimischen Bevölkerung (“Prima il cittadino, non il clandestino”, skandiert die Lega, “Prima gli italiani”, CasaPound), die Aufnahme von Flüchtlingen und den “degrado”, die heruntergekommene Stadt Bozen gepoltert. Mit banalen Parolen und Slogans versucht man, die Wähler auf die jeweilige Seite zu ziehen. Und der Wahlerfolg der beiden Parteien lässt erahnen, wie viele man damit erreicht hat.
Noch einmal gut gegangen?
In einem Medieninterview, das Di Stefano am Montag gibt, zeigt er sich äußerst erfreut über das “überraschende Resultat” in Bozen. Und doch bedauert er, dass es CasaPound in Bozen nicht geschafft hat, gemeinsam mit der Lega Nord anzutreten (“Purtroppo ci siamo presentati divisi”). Denn das hätte bedeutet, was sich wohl niemand zu träumen gewagt hätte: Nämlich, dass wohl einige der extremsten Ausprägungen der italienischen politischen Rechten am 24. Mai zur Stichwahl angetreten wäre. 19,5 Prozent der Stimmen haben die Liste Benussi, CasaPound und die Lega in Summe erhalten. Alessandro Urzì hingegen brachte es gerade mal auf 10,7 Prozent.
Simone Di Stefano am 8. Mai auf der Piazzetta Marcella Casagrande. Dort feierte Giovanni Benussi das Ende seines Wahlkampfs. Foto: Facebook/CasaPound Bolzano
Breites Bündnis nötig, nicht nur im Gemeinderat
“Diese vulgäre und aggressive Rechte hat mir nie Angst gemacht”, betont indes Luigi Spagnolli in seinem Schreiben. Doch Anlass zur Sorge, dass sich das Schreckszenario einer geeinten extremen Rechten (wenn es die moderateren Gruppierungen schon nicht schaffen) ist gegeben. In dem erwähnten Interview mit Di Stefano zeigt sich der CasaPound-Italia-Vizepräsident zuversichtlich. Das Wahlergebnis in Bozen sei eine “ottima base da cui ripartire”. Wenn der Kuschelkurs zwischen Lega Nord und CasaPound also weiter anhält (was zu befürchten ist) und es in Bozen, wirklich zu Neuwahlen kommen wird (vielerorts spekuliert man darauf), dann ist ein gemeinsames Auf- und Antreten der beiden extremen Rechtsparteien nicht mehr ausgeschlossen.
Die wirkliche Herausforderung, der sich Luigi Spagnolli in der nächsten Zeit stellen werden muss, scheint also weniger die Stichwahl am 24. Mai selbst zu sein. Sondern vielmehr, im Falle eines Sieges (der wahrscheinlich scheint), mit allen Mitteln dafür zu sorgen, dass sich im Gemeinderat – und darüber hinaus in der gesamten Bevölkerung selbst – ein solides Bündnis bildet. Eine politische und zivilgesellschaftliche Koalition, in der für Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Homophobie und faschistoides Gedankengut kein Platz ist.
Die Aussage, man müsse gegen
Die Aussage, man müsse gegen Rechts zusammenhalten ist nicht falsch. Das Problem bleibt die Glaubwürdigkeit dieses Bürgermeisters. Sich des Sieges sicher, hat Spagnoli in den letzten Wochen so viel ausgeteilt, dass ich eine Rettung in der Not – noch dazu am Pfingstwochenende - stark bezweifle.