Wandernder Influencer

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Ein österreichischer Beamter war der allererste „Tagger“ der Geschichte? In der Graffiti-Szene bezeichnet man als Tagger jene Künstler, die ihren Namen, ein Kürzel oder ein Symbol – ein sogenanntes Tag – an Wände, Züge oder Schilder schreiben oder sprayen – meist illegal. Lange vor Cornbread und TAKI 183 soll es laut der Forschung der Wiener Joseph Kyselak gewesen sein? „Ja“, ist Gabriele Gofriller überzeugt. Sie betreut seit vielen Jahren das Kyselak-Projekt, hat eine sehenswerte Filmdokumentation realisiert und Buchveröffentlichungen zur historischen Persönlichkeit vorangetrieben.
Acht heiße Stunden von Sterzing bis ins eigentliche Passei hinab erzwangen den Wunsch nach Labung.
Mit Kyselak war da! Graffiti anno 1825 war Gabriele Gofriller bereits vor sechzehn Jahren auf den Spuren von Kyselak in Südtirol. Sie zeigte die Filmdoku in Bozen und in Moos in Passeier und berichtete im Rahmen eines Graffiti-Workshops in der Festung Franzensfeste vom Kult um den frühen Tagger. Aus gutem Grund reist Gofriller auch im Jahr 2025 wieder nach Südtirol – denn hierher führte die Fußreise des Wiener Hofbeamten, die am heutigen 12. August vor 200 Jahren ihren Anfang nahm. Seine fast vier Monate dauernde Wanderung führte Kyselak an zahlreiche Orte, an denen sich der Tagger an Wänden und auf Steinen verewigte. Einige seiner Inschriften haben zwei Jahrhunderte überdauert, doch leider sind auch zahlreiche Kyselak-Schriften Fälschungen. Zudem ranken sich um seine Persönlichkeit unzählige Legenden. Kyselak kam immer wieder in Mode oder blieb abenteuerliches Gesprächsthema. Auch der Südtiroler Autor Herbert Rosendorfer (1934-2012) schrieb im Jahr 1970 eine kurze Erzählung mit dem Titel Keine Spur von Kyselack. -
Im Land der mutigsten Mädchen und Frauen: Joseph Kyselak eilte durch das Pfitscher Tal. Hatte er Angst vor den Frauen? „Wenn fremde oder räuberische Gestalten ins Tal kamen, ließen sie mitunter sogar Steinregen auf sie niedergehen", schrieb er in sein Tagebuch. Foto: Tourismusgenossenschaft Sterzing-Pfitsch-Freienfeld
Geboren 1798 in Wien, wurde der Wanderer vor allem durch seine nach seinem frühen Tod (1831) erschienene Reisebeschreibung bekannt: Fußreise durch Oesterreich, Steiermark, Kärnthen, Berchtesgaden, Tirol und Baiern nach Wien – nebst einer romantisch pittoresken Darstellung mehrerer Ritterburgen und ihrer Volkssagen, Gebirgsgegenden und Eisglätscher auf dieser Wanderung, unternommen im Jahre 1825. So lang der Titel auch ist, umso kürzer ist das „Kyselak“, mit dem sich Joseph in die Landschaft schrieb – und damit zu einem gewichtigen Vorläufer der Graffiti-Kultur wurde. In der aktuellen Graffiti-Ausstellung im Bozner Museion findet sich aber nichts zu ihm. Schade.
„Anfang des 19. Jahrhunderts erlangte Josef Kyselak dadurch Berühmtheit, dass er auf den unmöglichsten Plätzen seine Signatur hinterließ. Er schrieb seinen Namen nicht einfach auf, sondern benutzte dafür eine Schablone und schwarze Ölfarbe. Dabei erreichte er auch den Sandwirt in Passeier und sprach mit der Witwe von Andreas Hofer“, erzählt Gabriele Gofriller und beschreibt Kyselaks Route durch Südtirol: „Er ging von Strassberg entlang des Pfitschertales nach Sterzing, von dort über den Jaufen zum Sandwirt und weiter übers Timmelsjoch ins Ötztal.“
Ich widmete den Nachmittag meinen zu notierenden Bemerkungen und den melancholischen Ufern des Sees...
Im hintersten Pfitscher Tal beginnen Kyselaks Aufzeichnungen zu Südtirol. Er beschreibt etwa, dass er nun ins Land der mutigsten Mädchen und Frauen komme, da er wusste, dass diese sich in Abwesenheit der Männer – während des Krieges – selbst zu verteidigen wussten. Wenn fremde oder räuberische Gestalten ins Tal kamen, ließen sie mitunter sogar Steinregen auf sie niedergehen. Musste sich der Wiener Schreiberling deshalb beeilen? Gemäß seinen Aufzeichnungen eilte er in schnellem Schritt nach Sterzing.Kyselak in der Wachau: Über seinen Namen und die Verbreitung verselbständigten sich Geschichten und wurden zu Legenden. Foto: WikipediaUnd wohin führte in dann sein Weg, nachdem Steiermark, Slowenien, Kärnten, das Salzachtal, der Königssee, das Steinerne Meer, Pfitsch und Sterzing bereits hinter ihm lagen? Laut Aufzeichnungen machte er sich auf nach St. Leonhard in Passeier, wo er den Sandwirt besuchte und mit der Witwe von Andreas Hofer ins Gespräch kam.
Was Kyselak im Passeiertal vor zwei Jahrhunderten sonst noch erlebte, kann im Rahmen der Veranstaltung Wo war Kyselak? Am Timmelsjoch! am 16. und 17. August im Detail erfahren werden. Das geführte Wanderprojekt wird begleitet von Lesungen aus Texten von und über Joseph Kyselak und führt von Rabenstein auf das Timmelsjoch.Skizzen einer Fußreise durch Österreich: Herausgegeben von Gabriele Goffriller, Vorwort von Gabriele Goffriller und Chico Klein. Erschienen bei Jung und Jung Verlag. Heute vor 200 Jahren startete Joseph Kyselaks Fußreise. Foto: Jung und Jung„Merkwürdig bleibt diese Alpenhöhe vor hundert anderen dadurch, weil sie aus ihrem Schneevorrat zwei sich ganz entgegenwirkende Flüsse erzeugt.“
In einer Mai-Ausgabe der Alpenzeitung aus dem Jahr 1928 – also rund 100 Jahre nach Veröffentlichung der Fußreise wird Kyselak häufig als Vater der Reklame bezeichnet. Sein Name sei in Prag ebenso bekannt wie in Salzburg oder in Triest, hieß es. „Er hatte nichts weiter zu tun brauchen als seinen Namen überallhin zu schreiben, wo dies nur technisch möglich war; und tausend Konflikte mit der Polizei sorgten für die Propagierung des Namens Kyselak.“
Von einem Kyselak-Schriftzug im Passeiertal (oder einer zeitgenössischen Fälschung am Museion) ist bislang noch nichts bekannt. Auch nicht in Pfitsch oder Sterzing. Vielleicht taucht einer bei den demnächst stattfindenden Wanderungen auf – und hoffentlich ein Original.Weitere Artikel zum Thema
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