Chronik | Neuer Egoismus?

Die Entsolidarisierung der Eliten

Politiker sind nicht die einzigen, die ihre Privilegien verteidigen. Viele einkommensstarke Berufsgruppen kümmern sich ebenfalls erfolgreich um die eigenen Belange.
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Ungefähr die Hälfte der ehemaligen Regionalratsabgeordneten rekurriert gegen die gesetzliche Neuregelung ihrer Pensionen, die die eklatante Ungleichbehandlung zwischen der Politikerkaste und dem gemeinen Volk auf ein erträglicheres Maß zurückführen will.
Die Altmandatare folgen damit anderen, ebenfalls recht anständig entlohnten Berufsgruppen, die ihre Position auch angesichts einer drohenden Staatspleite kompromisslos verteidigen. Und denen die angerufenen Gerichte regelmäßig Schützenhilfe leisten. Dabei schreiben die Gerichte in Krisenzeiten eine Rechtsprechungspraxis fort, die in einer Ära entstand, in der ein endlos scheinendes Wohlstandswachstum durch verantwortungslose Staatsverschuldung erkauft wurde. Bis vor Kurzem hat der Staat Löhne gezahlt, die er sich nie hätte leisten dürfen und die zum Teil in krassem Missverhältnis zu den Gegenleistungen ihrer Bezieher standen. Aufgrund dieser Löhne und eines Rentensystems nach dem Umlageverfahren muss der Staat heute Pensionen zahlen, die nicht selten in keiner Relation zu den Beitrags- und Arbeitsleistungen der Rentenempfänger stehen. Was letztere heute als „erworbene“ Rechte betrachten, sind zu einem guten Teil fiktiv hochgeschraubte Zahlungserwartungen (siehe „contributi figurativi“), die mit dem Renteneintritt den juridischen Stempel „unantastbar bis in den Tod“ erhalten.
Dies musste kürzlich auch die Berufskammer der Wirtschafts- und Steuerberater erfahren, die versuchte den sich anbahnenden Engpässen in ihrer hochverschuldeten Pensionskasse gegenzuwirken und die eklatante Ungleichbehandlung zwischen aktuellen Rentenbeziehern und Beitragszahlern abzumildern. Das Kassationsgericht hat die (sogar nur für den nicht-beitragsbezogenen Teil) vorgesehene Kürzung der fürstlichen Pensionszahlungen für bereits pensionierten Steuerberater für unzulässig erklärt – allen finanzmathematischen Notwendigkeiten zum Trotz (sentenza 17892/2014). Die privilegierten Rentner bleiben ob ihrer erworbenen Rechte unantastbar, den jungen Freiberuflern droht eine Minirente und sollte die Pensionskasse zahlungsunfähig werden, dann, ja dann wird wohl der Steuerzahler einspringen müssen.
Die vom Staatsbankrott in die Ecke gedrängten Regierungen haben in den letzten Jahren mehrfach versucht von den goldenen Rentnern einen Solidaritätsbeitrag zur Sanierung der Staatsfinanzen einzuheben. Einen solchen hat die Regierung Berlusconi im Juli 2011 in der Höhe von 5 bzw. 10% eingeführt und zwar auf jene Teile der Renten, die 90.000 bzw. 150.000 Euro (pro Jahr) überschreiten. Einige der betroffenen Pensionäre rekurrierten sogleich gegen die Regelung und das Verfassungsgericht (sentenza 05.06.2013 n. 116) hat das entsprechende Dekret prompt für verfassungswidrig erklärt, weil es sich nicht auf alle theoretisch in Frage kommenden Steuerzahler bezieht.
Nicht besser war es derselben Regierung mit einem Dekret vom Mai 2010 ergangen, das das Gehalt der staatlichen Führungskräfte und der Richter für jenen Teil, der die 90.000 Euro per anno überschreitet, um 5% und jenen über 150.000 Euro um 10% kürzte. Viele Richter wandten sich über die Verwaltungsgerichte in eigener Sache an das Verfassungsgericht, um ihre stattlichen Gehälter zu verteidigen. Auch diese haushaltspolitisch notwendige und sozialpolitisch als gerecht erachtete Norm wurde für verfassungswidrig erklärt (sentenza 11.10.2012 n. 223), u.a. mit der Begründung, dass die Mehrbelastung nur einige spezifische Kategorien trifft.
Da Italien 2011 kurz vor dem Bankrott stand (für einjährige Staatspapiere mussten über 7% an Zinsen bezahlt werden), hat die Regierung Berlusconi im selben Dekret auch die Gehälter aller öffentlich Bediensteten eingefroren, Letta und Renzi haben diese Maßnahme verlängert. Das bedeutet, dass die gearbeiteten Jahre nicht für die Karriere zählen und jegliche Gehaltsvorrückung blockiert ist. Aber die Richter konnten das nicht akzeptieren und rekurrierten auch gegen diese Maßnahme des Haushaltspaketes. Das Verfassungsgericht erklärte im selben Urteil (sentenza 11.10.2012 n. 223) ihre Verfassungswidrigkeit, da die mangelnden Gehaltsvorrückungungen u.a. die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit beeinträchtigen würde.
Ob solcher Resultate, wollten es die Universitätsprofessoren diverser Regionen den Richtern gleichtun und erhoben ebenfalls Verfassungsklage gegen dieselbe Norm. Diesmal sahen es die Hermelin-Roben aber anders und wiesen die Klage nach ausführlicher wissenschaftlicher Argumentation ab (sentenza 17.12.2013 n. 310).
Zum Abschluss zurück nach Südtirol und zwar zu den Krankenhausärzten, denen das Husarenstück gelang, zuerst mit dem Land als Gegenleistung für den Verzicht auf freiberuflerische Nebentätigkeit ein höheres Gehalt gegenüber den Kollegen im restlichen Staatsgebiet auszuhandeln, um nachher vor dem Verfassungsgericht das Recht auf freiberuflerische Tätigkeit erfolgreich einzuklagen! Chi dice, che non si può avere la botte piena e la moglie ubriaca? La sentenza 23.02.2007 n. 50!
Bleibt nur noch die Frage, warum sich Otto-Normal-Bürger aus der Unter- und Mittelschicht angesichts eines solchen Egoismus der Eliten noch der gesellschaftlichen Solidarität verpflichtet fühlen sollte?