Politik | weiter wie bisher

Rote Zone – gelbe Karte

Die Landesregierung schaltet die Corona-Ampel zurück auf gelb. Rom interpretiere einige Daten “völlig falsch”, sagt Landesrat Widmann. Der Landeshauptmann schreibt Rom.
Maske
Foto: Kajetan Sumila on Unsplash

Rom schaltet die Corona-Ampel für Südtirol auf rot – und Südtirol zeigt Rom die gelbe Karte. “Überrascht”, “enttäuscht”, “verärgert” treten der Landeshauptmann und sein Gesundheitslandesrat am Freitag Abend vor die Kameras. Die Einstufung der Autonomen Provinz Bozen als “rote Zone” sei wie aus heiterem Himmel gekommen und könne keinesfalls hingenommen werden, so der Tenor. “Unser Gesundheitsbetrieb hat völlig andere Daten”, sagt Arno Kompatscher. Daher habe er, als ihn Gesundheitsminister Roberto Speranza am Vormittag telefonisch über die Einstufung informiert habe – für Südtirol soll ab Sonntag, 17. Jänner die Ampel von gelb direkt auf rot schalten, mit sämtlichen Schließungen für Gastronomie, Handel und Einschränkung der Bewegungsfreiheit – den Sanitätsbetrieb umgehend um eine Stellungnahme gebeten. Und die habe schließlich die Landesregierung, die am Nachmittag zu einer Krisensitzung zusammengekommen ist, dazu bewogen, den eingeschlagenen Weg weiter zu gehen: Südtirol soll gelb bleiben, bis auf weiteres wird sich nichts an den geltenden Corona-Regeln ändern.

Die Situation sei “nicht perfekt, aber relativ unter Kontrolle und sogar leicht besser als in den vorigen Wochen, als Südtirol immer gelbe Zone war”, berichtet Landesrat Thomas Widmann in Berufung auf die Analyse des Sanitätsbetriebs. Warum aber kommt das Gesundheitsministerium, das ja die Daten von ebendiesem Sanitätsbetrieb geliefert bekommt, zu völlig anderen Schlüssen?

Das “Hauptindiz” sieht Widmann in den 21 Faktoren, die das Ministerium zur Einstufung der Regionen und Autonomen Provinzen heranzieht. Vier davon würden in Rom “völlig falsch interpretiert”. Laut Widmann folgende:

  • die Positivrate: 37,1% der erstmals mittels PCR-Test Getesteten sind positiv; laut dem Gesundheitslandesrat deshalb, weil in Südtirol “massiv” Antigentests durchgeführt werden, auf die nach zehn Tagen ein PCR-Test folgen muss, um – bei negativem Ergebnis – aus der Quarantäne entlassen zu werden; “87% sind bei diesem PCR-Test noch positiv und scheinen als erstmals positiv getestet auf, was aber nicht so ist, weil sie bereits zuvor als Positive erfasst waren – ohne Antigentests wäre die Positivrate also deutlich niedriger”, meint Widmann; Rom erkenne das nicht an
  • die Inzidenz: mit 320 Infektionen pro 100.000 Einwohner in der Woche liege Südtirol “gleichauf mit anderen Regionen, die nicht ‘rot’ sind”, so Widmann; und es sei klar, dass mehr Positive gefunden werden, wenn – wie in Südtirol – mehr getestet werde
  • die Bettenauslastung: die Intensivbetten seien zu weniger als der kritischen Warnschwelle von 30% belegt; auf den Normalstationen, wo die Warnschwelle bei 40% festgelegt wurde, gebe es 538 medizinische Betten, die anderen Abteilungen zur Verfügung gestellt würden, aber jederzeit als Covid-Betten reaktivierbar seien – “und diese rechnet Rom nicht ein, sondern bestätigt uns eine Auslastung von 46%”, ärgert sich der Landesrat, “dabei lagen wir immer unter den 40%”
  • die Reproduktionszahl: vor zwei Wochen sei der R-Wert in Südtirol bei 0,76, vorige Woche bei 0,81 gelegen; jetzt beträgt er laut Gesundheitsministerium 1,5 und damit deutlich über dem Wert von 1,25, bei dem eine Region als “rot” eingestuft wird; Widmann berichtet, dass “ein Experte, der auch für das Istituto Superiore della Sanità (ISS) und das technisch-wissenschaftliche Komitee (Cts) arbeitet”, Südtirol einen “sinkenden” R-Wert bestätigt, der aktuell bei 1,2 liege – damit würde Südtirol “orange”; der Biostatistiker Markus Falk käme sogar auf einen aktuellen R-Wert von 0,81; die großen Diskrepanzen kann (sich) der Landesrat nicht erklären, “dazu müssen Sie die Techniker fragen”, antwortet er auf Nachfrage

All diese Punkte habe man auch in einem Schreiben an das Gesundheitsministerium, das ISS und das Cts festgehalten, in dem man die römischen Behörden auffordert, die Einstufung Südtirols als “rote Zone” zurückzunehmen, berichten Kompatscher und Widmann. “Laut Sanitätsbetrieb sind wir im Moment ‘gelb’ und können offen lassen”, meint der Gesundheitslandesrat. Das habe man sich vom Sanitätsbetrieb schriftlich bestätigen lassen. “In einem Schreiben an den Gesundheitslandesrat und den Unterfertigten ist festgehalten worden, dass es die derzeitige epidemiologische Lage erlaubt, die derzeit geltende Regelung aufrecht zu halten”, sagt der Landeshauptmann.

Aufgrund der Empfehlung des Sanitätsbetriebs werde er auch noch am Freitag eine Verordnung unterzeichnen, mit der er bestätigt, was er am Dienstag angekündigt hat: “Alles, was derzeit gilt, gilt bis auf weiteres auch weiter.” Mit zwei kleinen Verschärfungen: Bars dürfen nach 18 Uhr kein Take Away mehr anbieten und Skihütten müssen um 16 Uhr schließen sowie ein Ausschankverbot für Hochprozentiges und eine Reservierungspflicht einhalten. Zur Durchführung der Kontrollen werden die Forstbehörden die Ordnungskräfte unterstützen. Gegen 20 Uhr wird die Verordnung Nr. 2/2021 dann veröffentlicht.

In Rom wird man die Entscheidung der Südtiroler Landesregierung, die Corona-Ampel nicht umzuschalten, nicht stillschweigend hinnehmen. Auf die Frage, ob er davon ausgeht, dass die Regierung seine Verordnung anficht, antwortet der Landeshauptmann ausweichend. Minister Speranza habe sich “sehr höflich und bereit zur Auseinandersetzung mit den Daten” gezeigt, die auch schon begonnen habe. “Ich bin zuversichtlich, dass wir mit den Daten überzeugen können.” Er habe das Ampelsystem an sich und die Einstufung je nach Infektionslage nie in Frage gestellt und tue das auch weiterhin nicht, betont Kompatscher. “Aber es besteht eben das Risiko, dass Äpfel mit Birnen verglichen werden.”

Viel schärfer ist der Ton, den Gesundheitslandesrat wählt: Die Einstufung als “rote Zone” sei “nicht nur falsch, sondern absolut inakzeptabel”, damit könne man “nicht einverstanden” sein und für Widmann ist es “richtig, das nicht zu akzeptieren”, denn ansonsten würde Südtirol “unvorstellbarer Schaden” entstehen.