Kultur | Bibliophile Fragen

„Bodenhaftung und Bescheidenheit“ 

Bettina Gartner hat vor kurzem das Buch "Nelken für den Mörder" veröffentlicht. Und sie hat "die immer gleichen Fragen" von SALTO beantwortet.
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Foto: Privat
  • SALTO: Welches Buch hat Sie in Ihrer Kindheit nachhaltiger geprägt, als Sie damals je geglaubt hätten?

    Bettina Gartner: Das war „Caius ist ein Dummkopf“ von Henry Winterfeld: Junge Buben im Alten Rom erleben spannende Geschichten. Fantastisch finde ich, wie der Autor das Alltagsleben der Römer in die Handlung hat einfließen lassen. Das Gleiche möchte ich selber einmal in einem Buch versuchen – mit Schauplatz im Alten Griechenland. 

    Welcher letzte Satz eines Romans ist und bleibt für Sie ganz großes Kopfkino?

    Oh je, ich habe mich einmal mit den besten ersten Sätzen eines Romans beschäftigt, aber nie mit den letzten. Ich kann nur den Schlusssatz des Romans einbringen, den ich als letztes gelesen habe: „Alibi“ von Agatha Christie. Dort heißt es: 
    „Aber ich wünschte, Hercule Poirot hätte sich niemals von seinem Beruf zurückgezogen und wäre nie hierhergekommen, um Kürbisse zu züchten.“ 
    Das hat mir gefallen, denn ich glaube, dass scheinbar harmlose Entscheidungen oft tatsächlich große Wirkung haben können. 
     

    Ich habe mich gezwungen, das Buch zu Ende zu lesen, weil ich dachte, vielleicht kommt ein ganz toller, überraschender Schluss. Aber auch hier: Fehlanzeige! 

  • Bettina Gartner, geboren 1978, Studium der Geschichte und Kommunikationswissenschaft in Salzburg und Verona, Berufserfahrungen in deutschen und amerikanischen Redaktionen, anschließend Rückkehr nach Südtirol. Hat für verschiedene Zeitschriften und Verlage, u. a. für „Bild der Wissenschaft“, „National Geographic“ und „Die Zeit“ gearbeitet. Unterrichtet Geschichte und Philosophie an einem Gymnasium in Bruneck. Ihr Buch "Nelken für den Mörder" ist bei Raetia erschienen. Es dreht sich um die Geschichte zu mutigen Frauen und über das Anderssein in einer zutiefst patriarchalen Gesellschaft – basierend auf einem wahren Fall. Foto: Raetia

    Reimen ist doof, Schleimen ist noch doofer… Auf welches – anscheinend gute – Buch konnten Sie sich nie wirklich einen Reim machen?

    Als ich einmal – wie schon erwähnt – über den „schönsten ersten Satz der deutschsprachigen Literatur“ gelesen habe, kam der Roman „Der Butt“ von Günter Grass ins Spiel. Er wurde nämlich als Gewinner gekürt. Also dachte ich mir, ich sollte das Buch lesen. Allerdings bin ich nicht recht weit gekommen. Für die 700 Seiten hat mir einfach das Sitzfleisch gefehlt. 
    Der preisgekrönte erste Satz des Romans lautet übrigens: „Ilsebill salzte nach.“

    Ein Fall für Commissario Vernatschio. Wie erklären Sie einem Außerirdischen die geheimnisvolle Banalität von Lokalkrimis?

    Menschen mögen Gewohnheiten. Und sie finden sich gerne in Dingen wieder, die sie kennen. Warum also nicht auch in einer Geschichte, die in einem vertrauten Umfeld spielt? Wenn im „Kleinen“ dann etwas „Großes“ passiert, sprengt das die eigene Begrenztheit. Man kommt sich wichtig vor.

    Gewichtig! Welchen Buch-Tipps schenken Sie noch uneingeschränkt Vertrauen?

    Von Freunden und guten Bekannten habe ich einige wirklich sehr gute Bücher geschenkt bekommen. Mein absoluter Favorit: „Ich. Darf. Nicht. Schlafen.“   

    Was für ein Fehlschlag! Welches Buch würden Sie auf einer einsamen Insel zurücklassen?

    Ganz schlimm fand ich das Buch „Fifty Shades of Grey“. Ich dachte irgendwann, „das musst du lesen“, weil ich begreifen wollte, warum es ein solch riesiger Erfolg geworden ist. Das Warum habe ich bis heute nicht verstanden: Der Handlungsablauf ist simpel und linear, dauernd wiederholen sich dieselben Sprachbilder und die Aufregung um die beschriebenen Sadomaso-Spielchen konnte ich auch nicht nachvollziehen. Ich habe mich gezwungen, das Buch zu Ende zu lesen, weil ich dachte, vielleicht kommt ein ganz toller, überraschender Schluss. Aber auch hier: Fehlanzeige! 
    Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Ich würde das Buch nicht auf einer einsamen Insel zurücklassen, denn ich würde es erst gar nicht mitnehmen!   
     

    Manchmal wusste ich nicht, ob ich lachen oder weinen soll: Wenn der tote Opa auf dem Bergbauernhof im Winter tiefgefroren wurde, weil der Weg hinunter auf den Friedhof im Tal versperrt war.


    Das Rauschen des Blätterns. Welches Buch würden Sie auf keinen Fall am E-Book-Reader lesen?

    Wer mich kennt, weiß: Ich habe noch nie ein Buch auf einem E-Book-Reader gelesen und werde es niemals tun.

    Welches Buch zu Südtirol oder eines/einer Autors/Autorin aus Südtirol würden Sie unbedingt weiterempfehlen?

    Die Reaktionen auf mein Buch „Als die Kinder aus den Krautköpfen kamen“ waren sehr positiv, ich glaube, viele Leser aus der Generation meiner Eltern haben sich darin wiedergefunden. Es handelt sich um eine Sammlung wahrer Geschichten aus Südtirol in den 1950er- und 60er-Jahren, die ich über Jahre hinweg aufgeschrieben und schließlich in einer Erzählung gebündelt habe. Manchmal wusste ich nicht, ob ich lachen oder weinen soll: Wenn der tote Opa auf dem Bergbauernhof im Winter tiefgefroren wurde, weil der Weg hinunter auf den Friedhof im Tal versperrt war. Wenn die Frauen nach der Geburt eines Kindes vor der Kirchentür warten mussten, um „ausgesegnet“ zu werden, damit sie das Gotteshaus wieder betreten durften. Oder wenn die Kinder Hunger gelitten haben, weil das Wenige, das es gab, an den Pfarrer verschenkt wurde. 
    Ich denke, es tut auch jungen Leuten gut zu erfahren, wie stark sich das Leben in Südtirol in nur einer Generation verändert hat. Vielleicht bringt uns das ein bisschen Bodenhaftung und Bescheidenheit zurück.