Politik | Tollhaus Italien

Salvinis politisches Eigentor

Der Lega-Chef bietet Di Maio Versöhnung und das Amt des Premiers an
Dass Italiens Politik einem Tollhaus gleicht, ist sattsam bekannt. 65 Regierungen hat das Land seit Kriegsende verheizt. Die längste hielt knapp vier Jahre,  die kürzeste gerade mal 23 Tage. Doch was dieser Tage in Rom passiert, kennt in der jüngeren Geschichte der Halbinsel nichts Vergleichbares. Lega-Chef Salvini sagt sich von seinem Regierungspartner Fünf Sterne los und erzwingt im Senat ein Misstrauensvotum gegen jenen Regierungschef, als dessen Stellvertreter er amtiert.  Gleichzeitig kündigt er die Trennung vom Koalitionspartner an.  Auf positive Umfragen gestützt, peilt er Neuwahlen an.  Doch im Senat erleidet er eine  überraschende Niederlage durch eine bisher unvorstellbare Allianz der Erzfeinde von Partito Democratico und M5S. 
Italiens um originelle Formulierungen nie verlegene Journalisten halten für diese bizarre Rochade sofort eine Bezeichnung bereit: la fantacrisi di Ferragosto. In der Sackgasse, in die er sich selbst manövriert hat, zieht Salvini umgehend die Notbremse und vollzieht eine kühne Wende: er schlägt der Fünfsterne-Bewegung eine Neuauflage der soeben beerdigten Koalition vor - mit Luigi di Maio als Regierungschef. Der noch amtierende Premier Conte soll zum neuen EU-Kommissar in Brüssel ernannt werden. Eine Art politisches Monopoly: "Gehe zurück auf Los..." .  Das Angebot soll über Mittelsmänner erfogt sein. Di Maio dementiert direkte Kontakte : "In ogni caso io con Salvini non ci torno anche se mi offre la guida del governo." 
Der Lega-Chef hat sich seit  Bildung der unorthodoxen Koalition nie um seine Mehrheit gekümmert, hat sich als Solospieler profiliert - ob er vor TV-Kameras ins Pool einer beschlagnahmten Camora-Villa tauchte oder ein Foto ins Netz stellte, das ihn mit Maschinenpistole zeigte. Ob in Badehose oder mit Rosenkranz folgte er blindlings seinem populistischen Instinkt, den er für unfehlbar hielt.
Salvini hat versucht, seine Regierungszeit zu einem Film-Set umzugestalten. Es gab reichlich Zuschauer, Tausende selfies in Badehose,  unorthodoxe Auftritte, einen Wechsel der Hauptdarstellerinnen. Doch ein Neubeginn ohne Regisseur ist kaum vorstellbar.
Flavia Perina analysiert  in der Turiner Tageszeitung La Stampa treffend die gescheiterte Liebesgeschichte zwischen Salvini und Di Maio: "Giurarsi eterna fedeltà per poi tradire meglio, lasciandosi comunque una scappatoia: sembra essere questo il riassunto tematico del primo e forse ultimo anno di governo gialloverde, nel quale le regole della politica sono risultate sistematicamente soccombenti alla personalità dei  protagonisti, ai loro orgogli. Come una copia cinematografica dei tempi d'oro hanno trasformato ogni banale dissenso in spettacoli , scenate e in riavvicinamenti altrettanto straordinari....Certo, per chiudere una crisi così serve un atto di riparazione di assoluto valore come il famoso diamante di Burton al collo della Taylor. L'offerta del premierato a Di Maio potrebbe essere un gesto equivalente."
Zwar hat Salvini redlich versucht, seine Regierungszeit zu einem Filmset umzugestalten. Es gab reichlich Zuschauer, Zehntausende selfies in Badehose, zahllose unorthodoxe Auftritte, einen Wechsel der Hauptdarsteller/nnen. Doch ein Neubeginn ohne Regisseur ist kaum vorstellbar. Deshalb hat der 76-jährige Staatspräsident seinen Urlaubsort la Maddalena vorzeitig verlassen, um das Ruder zu übernehmen. Das von Salvini geschriebene und auf ihn allein zugeschnittene Drehbuch wird im wohl im Papierkorb landen.  
Auch das ist Italien: wo der politische Nachwuchs versagt, legt man das Schicksal des Landes in die Hände eines 76-jährigen Christdemokraten. Eines steht fest: dort ist es besser aufgehoben.