Kultur | Ex Libris

Wilde Jahre

Südtirols Weg zur Urlaubsdestination: Von mutigen Werbe-Coups über kulinarischen Wandel bis hin zum Massentourismus. Ein Rückblick auf die Erfindung einer Marke.
Wilde Jahre Tourismus in Südtirol, Rina und Rösch
Foto: Edition Raetia
  • Wenn „der Trenker“ und die Miss World übern Zaun schaun. Patrick Rina

    Ex libris

    Questo estratto dal libro di Patrick Rina e Paul Rösch fa parte del formato “Ex libris” su SALTO.

    Dieser Auszug aus dem Buch von Patrick Rina und Paul Rösch ist Teil des Formats "Ex libris" auf SALTO. 

    Wilfried Plangger war ein Touristiker mit Charme und Weitblick. In den späten 1950ern verfasste Südtirols oberster Fremdenverkehrsvermarkter höchstpersönlich die Texte für erste Plakate und Prospekte „des Landes“. In den 1960erJahren erkannte Plangger mehr und mehr die Macht der Bilder: Plakate mussten pfiffig und publikumswirksam sein, sie sollten „provozieren“, also im besten Wortsinn etwas beim Betrachter hervorrufen. Ihm war klar: Ohne popkulturelle Werbeikonen ging in den Swinging Sixties nichts mehr. 

     

    „Aso! Ja, nochr kimm i schun.“ 

     

    Models mussten her! Dank seiner guten Verbindungen zum Bayerischen Rundfunk gelang Direktor Plangger ein echter Coup: Petra Schürmann, Miss World 1956 und spätere Ansagerin des BR, kam nach Südtirol – um sich vor verschneiter Dolomitenkulisse wirkungsvoll die Skier anzuschnallen. Was fehlte noch? Ein kerniger Vertreter der Tiroler Heimat idylle! Plangger entschied sich für den legendären Grödner Bergfex Luis Trenker, der mit seinen Fernsehsendungen („Luis Trenker erzählt“) regel mäßig westdeutsche Familien in seinen Bann zog. „Horchen’s, täten Sie da net mit?“, fragte Plangger den angejahrten Märchenonkel, „da wär’ die Miss Welt! “ Die Antwort kam prompt im besten Trenker Sound: „Aso! Ja, nochr kimm i schun.“ 

  • Luis Trenker und Miss World 1956 Foto: Edition Reatia

      Sonne, Speck und Sehnsucht: 

    Südtirol stellt sich vor WestBerlin, 26. Januar 1972. Zwischen düsteren Schlagzeilen leuchtete in der „Morgenpost“ eine fröhliche Anzeige auf: Südtiroler Kinder warben für die Region, die sich auf der Agrarmesse „Grüne Woche“ von ihrer Schokoladenseite zeigen wollte. Obst und Wein gab es zur Verkostung – ein Hauch südlicher Lebenslust mitten im Berliner Wintergrau! Wer auf solchen Messen vertreten war, spielte in der Liga der ernst zu nehmenden Urlaubsdestinationen – so das Credo der Südtiroler Tourismustrommler. Vor allem die 1966 gegründete ITB (Internationale Tourismusbörse) in Berlin bot der aufstrebenden Region eine Bühne zur Selbstdarstellung. Dass diese „in Tracht“ erfolgen sollte, wurde sogar vom römischen ENIT forciert, das 1969 das regionale Tourismusassessorat in Trient aufforderte, costumi regionali nach Berlin zu schicken. Das 1976 gegründete Landesverkehrsamt in Bozen setzte sich ebenso für die Südtirolpräsenz bei Veranstaltungen ein. „Da sind wir dann jedes Jahr gemeinsam mit dem Amt auf Messen gefahren – nach Stuttgart, nach Berlin und zu vielen weiteren Reisezielen“, erinnert sich Hans Staffler (*1948), von 1975 bis 1980 Leiter des Verkehrsbüros Schlanders. Die Auftritte lebten vom Zusammenspiel von Menschen, Bildern und Emotionen.

  • Ab den 1960ern wurde Südtirol zum Tourismuslabor: Aus Bauern wurden Hoteliers und Skilehrer, stille Täler mutierten zu Bühnen einer neuen Erlebnisgesellschaft- bis die Spekulationsblase platzte. Foto: Privatarchiv
  • Vom Magenfüller zum Kulturfaktor. Paul Rösch

    Essen wie die Einheimischen: Gästepärchen bei der „Marende“, Senner mit Urlauberin. Foto: Edition Raetia

    „Unser Essen kannst du den Gästen nicht anbieten!“ Das Urteil der Mutter des Gastwirts und ehemaligen Politikers Hans Berger (*1947) aus Rein in Taufers war resolut. „Die Touristen sollten nicht einmal sehen, was wir aßen. Den Gästen unsere Küche anzubieten, hätten wir als Zumutung erachtet“, erzählt Berger. Als Credo galt: Touristen sollten sich wie zu Hause fühlen, also auch essen, was sie zu Hause aßen. „Wenn ich an Gerichte wie das HawaiiSchnitzel denke, mit einem Ananasring drauf, muss ich heute schmunzeln: Ein solches Gericht hat bei uns nichts zu suchen, aber diese Erkenntnis musste erst r e i f e n “, so Berger. 

     

     Wenn es „genauso schmeckt wie zu Hause, hilft das über die Fremde draußen vor der Wirtshaustür hinweg.

     

    Die Überlegung von Mutter Berger enthielt allemal einen wahren Kern, denn Urlauber bewegen sich zwischen Vertrautem und Fremdem – auch im kulinarischen Bereich. Wenn es „genauso schmeckt wie zu Hause, hilft das über die Fremde draußen vor der Wirtshaustür hinweg“, hebt etwa Ellen Friedl hervor. Essen ist mehr als eine reine Magen, sondern – wie es der Volkskundler Richard Weiß definiert – auch eine Lebensfrage, stiftet Identität und hat eine lange Tradition als Abgrenzungsmechanismus. Über die abgelehnten Speisen definieren wir Selbstbewusstsein und kulturelle Überlegenheit. Die anderen sind dann die krauts, mangiapatate, Katzenfresser, Makkaronis oder polentoni. Hier kommt der Tourismus ins Spiel: Er beseitigt kulinarische Scheuklappen und bahnt anderen Esskulturen den Weg. Die Küche in den traditionellen Tourismusorten in Südtirol war lange Zeit international geprägt. Der spätere Starkoch Andreas Hellrigl (1932–1993) arbeitete in der zweiten Hälfte der 1950erJahre etwa als Küchenchef im Hotel Mirabell in Meran mit internationalen, zum Teil auch aus Übersee kommenden Gästen. „Gefragt war damals die klassische Küche Frankreichs“,6 erinnert sich Oskar Asam, ein Schüler Hellrigls. Seit der Annexion Südtirols 1919 fanden sich auch Gerichte der mediterranen Küche auf den Speisekarten. Im Zuge des einset zenden Massentourismus war Südtirol daher mit zwei Tendenzen konfrontiert: jener der traditionellen Fremdenverkehrsorte mit ihrer internationalen,

  • Wilde Jahre, Tourismus in Südtirol 1961-1983 von Patrick Rina und Paul Rösch. Foto: Edition Raetia

    Österreichisch französisch italienischen Küche und jener der Orte und Betriebe, die sich das „Handwerk“ Tourismus und die damit verbundene Kulinarik erst aneignen mussten. Innerhalb weniger Jahrzehnte gelang es dem Tourismus in Südtirol, die Küche zu einem Aushängeschild des Landes zu machen – dank der Überwindung der „Zählebigkeit von Essgewohnheiten“ und einer Öffnung, wie es Hanna Perwanger in ihrem Kochbuch „Südtiroler Leibgerichte“ beschreibt: „Nord und Süd vereinigen sich bei uns. So entstand die glückliche Mischung: Vom Süden kam das Leichte, Natürliche der italienischen Küche, das gute Bodenständige der Tiroler Speisen bildet die Grundlage, und etwas Wiener Einschlag, besonders bei den Mehlspeisen, gibt noch das Tipfel [sic] auf dem i.“ 

     

    Der Tourismus hat die Essgewohnheiten der lokalen Bevölkerung positiv beeinflusst. 

     

     Das Einbeziehen der mediterranen Küche sowie ein starkes Engagement der Gastronomen und Verantwortlichen haben Südtirol eine renommierte eigenständige Küche beschert. Sie kommt nicht nur dem Tourismus zugute, sondern ist auch verbindendes Element zwischen den hier leben den Sprachgruppen. „Der Tourismus hat die Essgewohnheiten der lokalen Bevölkerung positiv beeinflusst und diese gastronomische Bereicherung wird Teil der heimischen Kultur“,8 meint etwa der Vinschger Gianni Bodini (*1948), ein interethnischer Brückenbauer. Die heutige Südtiroler Küche, die Reiseführer gern mit Schlagworten wie „Spaghetti und Speckknödel“ oder „zwischen Knödel und Carpaccio“ beschreiben, ist keine Selbstverständlichkeit, sondern Frucht einer spannenden Entwicklung und vieler Bemühungen.

  • Der Blick zurück zeigt, wie Südtirol mit einem als typisch gedachten Angebot an Souvenirs, Musik und Kulinarik zur Marke wurde. Gleichzeitig wusste auch die Bevölkerung die neu entstandenen Lifte, Freibäder und Diskos zu schätzen.

    Das Buch  „Wilde Jahre, Tourismus in Südtirol 1961-1983"  ist in der Edition Reatia erschienen.