Die Theorie von Allem
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Schon Alfred Hitchcock´s Der Mann, der zu viel wusste (1934) beginnt inmitten der Schweizer Alpen. Eine elegante Gesellschaft versammelt sich, ein Mord geschieht, die Suspense darf sich nach Lust und Laune ausbreiten. Ähnlich steigt auch Timm Kröger in seinem zweiten Spielfilm „Die Theorie von Allem“ ein. Zwar stellt er der Handlung einen Prolog in Farbe voran, und siedelt ihn Anfang der 1970er an, während der Großteil der restlichen Geschichte in den 60ern spielt. Der Doktorand Johannes Leinert fährt mit seinem Doktorvater in die Schweiz, anlässlich eines Physikerkongresses, bei dem, so ist angekündigt, ein iranischer Wissenschaftler über die titelgebende „Theorie von Allem“, auch als „Weltformel“ bezeichnet, referieren soll.
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Letztes Jahr in Marienbad
Angekommen in einem luxuriösen Hotel findet sich Johannes inmitten renommierter Physiker wieder. Und da ist auch eine Frau, Karin ihr Name, sie ist Pianistin der Jazzband, die jeden Abend im Speisesaal spielt. Seltsamerweise scheint sie Johannes zu kennen, weiß gut gehütete Geheimnisse seiner Kindheit und Jugend zu erzählen. Wie schon in Alain Resnais „Letztes Jahr in Marienbad“ treffen also eine Frau und ein Mann vor eleganter Kulisse aufeinander, während die eine den anderen scheinbar kennt, der Film dem Publikum aber eine Erklärung dafür schuldig bleibt. Zunächst, muss man sagen, denn die seltsame Begegnung ist nur ein erstes Glied in einer Kette höchst mysteriöser Vorkommnisse. Ein Wissenschaftler verschwindet, wird tot aufgefunden, erwacht zum Leben. Die Wolkenformationen über dem Hotel nehmen abstruse Formen an. Finstere Gestalten in langen Mänteln tauchen im Hotel auf. Hat man den Film Noir aufgrund der schwarz-weißen Bildgestaltung noch nicht als solchen identifiziert, lässt der Regisseur Kröger spätestens ab Mitte der Handlung keinen Zweifel übrig, dass es sich hier nicht nur, aber auch, um eine tiefe Verbeugung handelt.
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Archetypen
Der Mord an jenem Wissenschaftler ruft Ermittler auf den Plan. Ob sie tatsächlich zur Schweizer Polizei gehören, wird nicht ganz klar. Sicher ist nur, dass sie ein weiteres Puzzle-Stück sind, um „Die Theorie von Allem“ als modernen, wenngleich nicht zeitgenössischen Film Noir klassifizieren. Die Detektive sind ebenso Teil des Figurenrepertoires wie der verwirrt durch die Handlung stolpernde Johannes, die mysteriöse Karin als Femme Fatale, die bösen, zumeist gesichtslosen Hintermänner. Die kontrastreichen Bilder samt der manchmal doch sehr aufdringlichen Musik tun ihr Übriges, um zu sagen: Das hier ist eine Hommage. Das mag Timm Kröger vielleicht nicht so gerne hören, im Grunde ist es für das Seherlebnis auch nicht wichtig, die zahlreichen Referenzen an vergangene Werke zu verstehen. Auch so erzählt der Film über knapp zwei Stunden eine spannende Geschichte, und bietet einen anderen Blick auf das vom Blockbuster-Kino zuletzt so gern bespielte Thema der Multiversen.
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Was hier ist, ist anderswo nicht
Ausgehend von der Annahme, dass es verschiedene, parallel verlaufende Universen gibt, solche, in denen sich zwei Menschen bereits kennen, und andere, in denen das nicht der Fall ist, eröffnen sich natürlich mannigfaltige, erzählerische Möglichkeiten. Johannes wird sich im Universum, welches wir im Film zu Gesicht bekommen, auf die Suche nach dem Ursprung einer Verschwörung machen. Er wird dabei mit Dingen konfrontiert, die er nicht versteht, ebenso das Publikum, das spätestens im letzten Drittel des Films auf allerlei Fragezeichen stoßen wird. Entlassen wird man grübelnd, nicht der schlechteste Zustand nach dem Sehen eines Films. Um abseits seiner beeindruckenden Schauwerte, des überzeugenden Spiels von Hauptdarsteller Jan Bülow (und einiger toller Gastauftritte wie dem von David Bennent), und der dichten Atmosphäre aber langfristig zu überzeugen, fehlt dem Film einiges an Eigenständigkeit. Er verlässt sich zu sehr auf Ästhetik, zu sehr auf Stimmung und Nostalgie, und das Aufrufen kollektiver, cineastischer Erinnerung. Timm Kröger ist ein guter Regisseur, etwas mehr Originäres hätte es aber dennoch sein können. So bleibt am Ende der Eindruck, dass hier Potential verschwendet wurde. „Die Theorie von Allem“ beeindruckt beim ersten Sehen, ob viel davonbleibt, wird sich erst zeigen müssen. Als filmisches Rätsel funktioniert er nur bedingt, gibt er dem Publikum doch zu wenig Hinweise, um dieses zu lösen. Als Film über das Multiversum bietet er einen frischen Blick, übt sich dabei aber in Zurückhaltung und nutzt zur konsequenten Vorführung des Prinzips den Konjunktiv. Johannes würde, heißt es dann, und die Frage bleibt, wie sich dieser Film in einem anderen Universum gestaltet.
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(c) Timm Kröger
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