Träum weiter!
-
„Michael Ende, nur du bist schuld daran / Dass aus uns nichts werden kann“, tönte es auf dem 1995 erschienen Album Nach der verlorenen Zeit der Band Tocotronic. Ihr Lied zur „Lage der Nation“, über die „Degeneration“ ihrer „Generation“ und zur „Unentschlossenheit der Jugend“ sucht nach einem Schuldigen und findet ihn im bekannten Kinderbuchautor. Michael Ende verstarb im selben Jahr, am 28. August 1995. Was er hinterlassen hat, kann sich sehen und lesen lassen. Aber auch erträumen. Die Bestseller Momo oder Die unendliche Geschichte entspringen der Fantasie eines Autors, der im November vor 95 Jahren geboren wurde und eigentlich gar kein Kinderbuchautor werden wollte. Also solcher hat man nämlich keinen leichten Stand. „Man darf von jeder Tür aus in den literarischen Salon treten, aus der Gefängnistür, aus der Irrenhaustür oder aus der Bordelltür. Nur aus einer Tür darf man nicht kommen, aus der Kinderzimmertür. Das vergibt einem die Kritik nicht“, meinte Ende einmal enttäuscht. Immer wieder wurde ihm der Vorwurf des Eskapismus (Flucht vor der Wirklichkeit) gemacht, da er als „Schreiberling für Kinder“ mit „seinen positiven Märchen“, diese nicht „auf das richtige Leben“ vorbereiten würde. Schnarch.
Schade, dass Kinder immer früher auf "Erwachsen" getrimmt werden, um dann so zu werden, wie sie – bei aller Fantasie – nie und nimmer sein möchten.
Die vernichtende Kritik war es dann auch gewesen, die Ende, Ende der 1960er Jahre, zur „Flucht“ aus Deutschland nach Italien anregte, wo er fortan weiterträumte. Er bezog mit seiner Frau eine alte Villa südöstlich von Rom. Das Paar tauft sie Villa Liocorno (Einhorn) und bewohnte sie mit zahlreichen Haustieren. „Im Gegensatz zu Deutschland“ kommentierte Michael Ende seinen Umzug, mache man in Italien „nicht die strenge Unterscheidung zwischen realistischer und fantastischer Literatur“, sondern man achte vor allem darauf, wie die „Qualität des Geschriebenen“ ankomme. In dieser neuen Umgebung stellte der Autor Momo fertig, indem er ein bestehendes Drehbuch (zuvor vom WDR abgelehnt) ausarbeitete und mit ihm den Durchbruch schaffte. Nur wenige Jahre nach Momo machte sich Michael Ende an die Bilderbuch-Geschichte Das Traumfresserchen. Es feierte bereits ein Jahr nach seinem Erscheinen (1978) auch in Südtirol Radio-Premiere. Und am vergangenen Samstag – in einer zeitnahen Inszenierung der VBB – in Bozen Bühnenpremiere! -
Zeitnah? Nicht immer. Wenn im Stück die Königin (Patrizia Pfeifer) mit raschem Getippse auf einer alten Schreibmaschine loslegt, können junge Theaterzuschauer*innen schon mal neugierig in den Raum flüstern: „Was ist denn das? Ein Taschenrechner?“ Mit der „Großmutter“ des modernen Tablets, haben Kinder doch einige Mühe sich mit Fantasie in frühere Jahre zurückzuversetzen. Auch wenn die Königin im weiteren Verlauf des Stückes Autostopp macht (um als Anhalterin nach Bruneck zu gelangen). Dieser menschlich soziale Akt scheint wie die Schreibmaschine zu sehr aus der Zeit gefallen – „Daumen hoch“ steht mittlerweile für etwas anderes. Der Rest vom Stück ist ein zeitloses Fest.
Das ist anarchisch, ursprünglich und sehr nah am Kindsein.
Mit viel Poesie berichtet die Kindererzählung über die Prinzessin Schlafittchen aus Schlummerland, die es nicht so mit dem Schlafen hat. Weshalb es wohl mit dem Schlaf nicht richtig klappen will? Kann da wer Abhilfe schaffen? Die Mutter Schlafittchens macht sich auf die Suche nach (Schlaf-)Hilfen für ihre Tochter, tanzend in der Mitte oder auch schon mal mit Yoga auf der Matte. Doch erst als sie dem Traumfresserchen begegnet, wendet sich das Blatt dem kuscheligen Bett zu. Die Boznerin Cecilia Kukua schlüpft nicht nur in die Rolle der Prinzessin, sondern meistert viele weitere kleine Rollen, auch bravourös jene des Traumfresserchens. Die Cellistin Anna Starzinger sorgt hingegen für den guten Ton, untermalt die Geschichte fantasiereich mit Instrumenten und legt einen bunten Klangteppich von der Bühne ins junge Publikum. Und direkt ins Schlafgemach der Hauptdarstellerin.
Die kleinen und großen Zuschauer*innen erfahren dann auch den Grund für Schlafittchens Schlaflosigkeit: nämlich eine zu vorgefertigte bzw. zurrechtgeschneiderte Zukunft. Das ist natürlich schlimm und lässt kaum Platz für neue Träume. Regisseurin Tanja Regele hat Endes Traumfresserchen als quirlig-polternde Fantasiefigur zum Leben erweckt, das richtig losbrüllen kann, wenn es mit einem "Traumfängerchen" verwechselt wird. Das freut dann die kleinen Zuschauer*innen im Saal, klar. Das ist anarchisch, ursprünglich und sehr nah am Kindsein.
„La fantasia è anche una forza anarchica e per questo tutti i sistemi totalitari la temono e la proibiscono come prima cosa“, meinte Michael Ende einmal im Schweizer Fernsehen (auf italienisch).
Und was sagt uns das Traumfresserchen hinter vorgehaltener Hand? Schade, dass Kinder immer früher auf "Erwachsen" getrimmt werden, um dann so zu werden, wie sie – bei aller Fantasie – nie und nimmer sein möchten. Ende.Weitere TermineDi 19.11.2024 10:00 Schulvorstellung UFO Jugend- und Kulturzentrum, Bruneck
Di 19.11.2024 16:30 Vorstellung UFO Jugend- und Kulturzentrum, Bruneck
Mi 20.11.2024 16:00 Vorstellung Forum Brixen
Do 21.11.2024 10:00 Schulvorstellung Forum Brixen
Mi 27.11.2024 10:00 Schulvorstellung Theatersaal Schlossweg 1, Naturns
Mi 27.11.2024 16:00 Vorstellung Theatersaal Schlossweg 1, Naturns
Do 28.11.2024 17:00 Vorstellung Kulturhaus Schluderns
Fr 29.11.2024 09:00 Schulvorstellung Kulturhaus Schluderns
Fr 29.11.2024 11:00 Schulvorstellung Kulturhaus Schluderns
Sa 30.11.2024 16:00 Vorstellung Studio (Bozen)
So 01.12.2024 16:00 Vorstellung Studio (Bozen)
Di 03.12.2024 10:00 Schulvorstellung Studio (Bozen)
Mi 04.12.2024 10:00 Schulvorstellung Studio (Bozen)
Do 05.12.2024 10:00 Schulvorstellung Studio (Bozen)
Fr 06.12.2024 10:00 Schulvorstellung Studio (Bozen)
Sa 07.12.2024 16:00 Vorstellung Studio (Bozen)
So 08.12.2024 16:00 Vorstellung Studio (Bozen)
Fr 13.12.2024 10:00 Schulvorstellung Studio (Bozen)
Sa 14.12.2024 16:00 Vorstellung Studio (Bozen)
So 15.12.2024 16:00 Dernière Studio (Bozen)
Weitere Artikel zum Thema
Culture | TheaterFlutende Vision
Culture | TheaterTrio der Berge
Culture | TheaterLiebe in den Kopf gestellt