Über die Ungleichheiten

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„Unsere Verfassung ist fast achtzig Jahre alt und noch immer so außergewöhnlich aktuell. Männer und Frauen, die aus Diktatur und Krieg hervorgingen, entwickelten eine Vorstellung von einer demokratischen Gesellschaft, in der alle Menschen in Würde und Rechten gleich geboren werden“, schreibt Claudio Bassetti in seinem Manifest zur heute im Alten Rathaus von Bozen eröffneten Veranstaltungsreihe. Bassetti erinnert in seinem einleitenden Text auch an den Ökonomen Lucas Chancel, der schreibt: „Ungleichheit ist immer eine politische Entscheidung.“
Ungleichheit entsteht nicht zufällig.
Ziel ist es, eine Kultur der Anerkennung, des Friedens und der Solidarität zu fördern.
Dass die Welt von Ungleichheiten geprägt ist, ist keine Neuigkeit – so grausam diese Wahrheit auch sein mag. Sie zeigt sich im ungerecht verteilten Besitz von Ressourcen, in ungleichen Lebenschancen, die zu Benachteiligungen führen. Zu ihrer 11. Ausgabe der Settimana dell’Accoglienza (Woche des Willkommens und der Gastfreundschaft) lädt die Vereinigung Coordinamento Nazionale Comunità Accoglienti (CNCA) – ein Netzwerk von Sozialgenossenschaften, Vereinen zur Förderung des sozialen Engagements, Freiwilligenverbänden und auch religiösen Einrichtungen. Der Verband entstand Anfang der 1980er-Jahre, als sich Menschen, die sich für Drogenabhängige, benachteiligte Jugendliche, Obdachlose und Menschen mit Behinderungen engagierten, zusammenschlossen. Sie wollten eine kulturelle Bewegung ins Leben rufen, die – ausgehend von den Themen Armut und Ausgrenzung – zu einem gerechteren Entwicklungsmodell beiträgt und politische Vorschläge wie auch Lebensstile entwirft, die den Herausforderungen der Gegenwart gewachsen sind. Im CNCA gibt es keine Diskriminierung; vielmehr setzt man auf kontinuierlichen Dialog. Seit jeher organisiert das Koordinationsteam Debatten, kulturelle Veranstaltungen, Feste und Bildungsangebote. Das nun vorgestellte Wochenprogramm (26. September bis 4. Oktober 2025) stellt die Bedeutung des Erkennens und Wahrnehmens von Unterschieden innerhalb von Gemeinschaften in den Mittelpunkt. Ziel ist es, eine Kultur der Anerkennung, des Friedens und der Solidarität zu fördern. -
Disuguaglianze: comunità in cammino per società più eque: So lautet der Titel der Veranstaltungswoche 2025 Foto: Volontarius
Zentrale Schwerpunkte sind die wachsende soziale und ökonomische Ungleichheit, die sich sowohl global als auch in Italien und der Region Trentino-Südtirol zeigt. Während weltweit ein Prozent der Bevölkerung mehr als die Hälfte des Reichtums besitzt, leben Millionen Menschen in Armut. In Italien sind rund sechs Millionen Menschen betroffen – nicht nur in ökonomischer Hinsicht, sondern auch durch Wohnungsnot, prekäre Arbeit, Energieknappheit oder eingeschränkten Zugang zur medizinischen Versorgung. Neben sozialer Gerechtigkeit werden auch Fragen der Generationengerechtigkeit behandelt, etwa im Zusammenhang mit den Folgen des Klimawandels.
Ein weiterer Fokus des Wochenprogramms liegt auf den Themen Krieg, Migration und Erinnerungskultur. Gedenkfeiern – etwa für die Opfer im Mittelmeer oder auf der Balkanroute – sowie historische Bezüge, wie zum Massaker von Marzabotto, sollen das Bewusstsein der Menschen schärfen und Brücken in die Gegenwart schlagen. Auch aktuelle Konflikte, wie jener in Palästina, werden nicht ausgeklammert.
So geht es in dieser für die Soziale Idee besonderen Woche mit ihrem reichhaltigen Programm vor allem um Wachstum – allerdings nicht um wirtschaftliches, sondern um jenes Wachstum, das soziale Ungleichheiten lindern soll. Denn diese sind eine Ursache für die Instabilität von Demokratien und der Hauptgrund, weshalb sich viele Menschen im Stich gelassen fühlen und am Ende nicht mehr zur Wahlurne gehen. Aber vielleicht ist es genau das, was manche Politikerinnen und Politiker in Kauf nehmen?
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