Politik | Autonomiekonvent

Ideensammlung mit Rechtsdrall

Rege Beteiligung an der ersten Open-Space-Veranstaltung des Autonomiekonvents. Besonders partizipativ unterwegs war eine Gruppe - die Selbstbestimmungsbefürworter.

Für Verfassungsrechtler Francesco Palermo ist es ein Schritt in Richtung Zukunft: „Entweder wir haben in 20 Jahren eine Diktatur oder Politik wird auf diese Art gemacht werden“, prophezeite der Senator nach der ersten von neun Open-Space-Veranstaltungen des Autonomiekonvents in der Bozner Eurac.  Dort konnte am Samstag eine Form von partizipativer Demokratie erlebt werden, die in Südtirol noch Neuland ist. Bürgerinnen und Bürger bestimmen ergebnisoffen, welche Wünsche und Fragen bei der Reform der Südtiroler Autonomie behandelt werden sollten – und diskutieren  dann darüber in selbst moderierten Gruppen. Das ist der erste Schritt des langen Weges zu einem überarbeiteten Autonomiestatut. Mit mehr als 200 Teilnehmenden übertraf die Beteiligung am ersten Open-Space-Forum am Samstag die Erwartungen der Organisatoren. Angesichts des großen Interesses fanden letztendlich zwei Themenvorschläge keinen Platz – 35 wurden dagegen über den Tag verteilt in fünf Diskussionsrunden in sieben verschiedenen Räumlichkeiten der Eurac behandelt.

Ältere und jüngere Menschen, Männer und Frauen, bekannte und unbekannte Gesichter: Zumindest auf den ersten Blick regierte am Samstag in der Eurac tatsächlich die Vielfalt. Vor allem was die politische Ausrichtung betrifft, hatte jedoch vor allem eine Gruppe Überhand. Das zeigte bereits die Thementafel im Eingangsbereich der Veranstaltung.  Selbstbestimmung, Ortsnamensgebung, Schutz der deutschen und ladinischen Volksgruppen, Autodeterminazione, Sportautonomie für Südtirol: Vor allem in der ersten Diskussionsrunde war unübersehbar, dass Schützenkommandant Elmar Thaler und seine Gesinnungsgenossen mit von der Partie waren. „Die Selbstbestimmungs-Gruppe war extrem gut organisiert und vorbereitet“, hieß es da mehr oder weniger irritiert von anderen Teilnehmenden. Sehr irritiert Landtagsabgeordneter Alessandro Urzì, der die Lage am frühen Nachmittag in einer Pressemitteilung folgendermaßen beschrieb:

„Elmar Thaler, il comandante degli Schuetzen insediatosi al tavolo sul tema “Selbstbestimmung” (autodeterminazione, che fa rima con secessione), Efrem Oberlechner, responsabile comunicazione degli Schuetzen, mattatore al tavolo sulla scuola plurilingue (per respingere con vemenza ogni ipotesi di orientamento in questo senso), Otto Mahlknecht, che recentemente ha tenuto a Bolzano i festeggiamenti ufficiali della festa nazionale austriaca dell’Indipendenza, a proporre il tavolo sulla polizia provinciale… Qua e là, scientificamente, ad ogni tavolo un presidio Svp ed uno dei secessionisti, in incognito. Si fingevano cittadini comuni ma avevano il compito di influenzare i lavori.“

„Wir wollen, dass die politischen Vertreter den Menschen näher bringen, warum wir eine Autonomie haben: Weil wir eine österreichische Minderheit in einem fremden Staat sind“, hieß es da beispielsweise in einer Arbeitsgruppe zum Thema Vollautonomie. In den Abschlussstatements wurde bedauert, dass „die deutsche Volksgruppe die Grundpfeiler der Autonomie wie den muttersprachlichen Unterricht oder die Ansässigkeitsklausel viel stärker schätzt als die italienische“.

Ottimale Convivenza

Doch in den vielen Arbeitsgruppen waren auch ganz andere Themen und Töne zu hören. „Eliminare le gabbie etniche“, hieß da zum Beispiel, „Identität und Vielfalt“, „Südtirols Brückenfunktion stärken“ oder „Ottimale Convivenza“. „Lassen wir uns nicht nur auf die drei Sprachgruppen beschränken, halten wir auch fest, dass wir angesichts der Zuwanderung noch mehr ethnische Vielfalt haben“, forderte eine Teilnehmerin in einer Arbeitsgruppe, die sich mit der Erarbeitung einer Präambel zum Autonomiestatut beschäftigte. Was und wie viel soll am Beginn eines überarbeiteten Statutes stehen, wie kann die Essenz, die Südtirols Autonomie begründet und ausmacht, in Worte gefasst werden, wurde da gefragt. Und: Dürfen wir unsere heutigen Interpretationen überhaupt für kommende Generationen festschreiben? Sollen wir uns dabei mehr auf die Vergangenheit beziehen oder in die Zukunft blicken?

Die gemeinsamen Stunden in der Eurac boten Raum für vielen Fragen und Meinungen. Und sie ermöglichten Positionen aufeinanderzutreffen, die im Normalfall nur selten an einem gemeinsamen Tisch versammelt sind. „Ich nehme teils sehr konträre Meinungen mit nach Hause“, erklärte da beispielsweise Elmar Thaler in der Schlussrunde. „Ich werde über die Argumente der anderen nachdenken und an meinen eigenen Positionen feilen.“ Reichlich Lob gab es in der Abschlussrunde für die Methodik und das Team, das die Veranstaltung begleitete und zu einer guten Diskussionskultur beigetragen hatte, wie unterstrichen wurde. Eines der Themen, das am Ende des gemeinsamen Tages auftauchte, war auch die verhältnismäßig geringe Teilnahme italienischsprachiger BürgerInnen an der Veranstaltung. „Warum beteiligen sich die Italiener nicht im Verhältnis zu ihrem Anteil an der Bevölkerung an dieser Veranstaltung, während die deutsche Sprachgruppe massiv vertreten ist“, fragte ein Teilnehmer.  „Ich würde versuchen, bei solch einer Veranstaltung so wenig wie möglich nach Sprachgruppen zu trennen“, reagierte Senator Francesco Palermo auf solche Einwürfe. Weit wichtiger seien die Inhalte, die von den Teilnehmenden unabhängig von der gesprochenen Sprache eingebracht würden. Dass darunter vielfach Positionen der Selbstbestimmungs-Befürworter zu finden waren, schien auch den Verfassungsrechtler nicht ganz zu gefallen. Alle Positionen, die geäußert werden, seien natürlich legitim, meinte Palermo. „Doch man sollte nicht aus den Augen verlieren, dass am Ende dieses Prozesses eine Statutenreform steht“, warf er ein. Und was bringt Bürgerbeteiligung, wenn die stärksten Botschaften, die an die gewählten politischen Vertreter gehen, nicht umsetzbar sein sollten? Eine Frage, die an die Teilnehmenden der kommenden Open-Space-Veranstaltungen weitergereicht werden kann. Vielleicht hilft es in einigen Fällen auch schon vorab an den eigenen Positionen zu feilen.