"Alles und das Gegenteil von allem"
Es ist ein Treffen mit Symbolcharakter. Um 10 Uhr werden sich die beiden Landeshauptleute von Südtirol und dem Trentino am heutigen Montag mit dem Präsidenten der Region Lombardei auf dem Stilfserjoch treffen. Auf der Tagung “Lo Stelvio al centro delle Alpi” soll über die künftige Führung des Nationalparks, über Maßnahmen zur Aufwertung des Stilfserjochs, den Grenzgemeindenfonds und die Autonomie als Entwicklungsfaktor diskutiert werden. Im Anschluss daran setzen Landeshauptmann Arno Kompatscher und der lombardische Präsident Roberto Maroni eine Unterschrift. Und zwar unter jenes Einvernehmensprotkoll, das letzthin für einigen Wirbel in Südtirol gesorgt hat. Bis zuletzt weiß niemand so recht, was schlussendlich genau drin steht. Ob die Landesregierung den Plänen Maronis, einen Straßentunnel unter dem Stilfserjoch hindurch zu bauen, zustimmt. Oder ob sie ihn einbremst, Wort hält und – falls es überhaupt so weit kommen sollte – auf eine Eisenbahnverbindung beharrt.
Lombardische Ambitionen
Am vergangenen Freitag Vormittag versendet das Landespresseamt die Ankündigung der Tagung und der Unterzeichnung der Vereinbarung. Zwar informiert man, dass am Montag, 27. Juli, nach einem Fußmarsch gegen 12 Uhr auf der Hütte Rifugio Garibaldi das “Einvernehmensprotokoll zwischen dem Land Südtirol und der Region Lombardei zur Aufwertung des Gebiets am Stilfser Joch” unterzeichnet werden soll. Um welche konkreten Maßnahmen es allerdings geht, darüber verliert man kein Wort. Im Anhang des Beschlusses fehlt der Text des Einvernehmensprotokolls.
Rifugio Garibaldi: Hier werden Arno Kompatscher und Roberto Maroni das Einvernehmensprotokoll unterschreiben.
Nichtsdestotrotz sorgt dieses Protokoll nun seit gut zehn Tagen in Südtirol für Wirbel. Nachzulesen ist der Wortlaut des Dokuments nämlich in einem Beschluss der Regionalregierung der Lombardei. Diese befähigte am 21. Mai ihren Präsidenten, Roberto Maroni, zur Unterzeichnung des Protokolls. Was nun in Südtirol, aber auch in der Lombardei für Alarmstimmung sorgt, ist, dass in dem besagten Protokoll die Rede von der Durchführung einer Machbarkeitsstudie für die Untertunnelung des Stilfserjochs ist. Auf drei Jahre ist die Studie angelegt, finanziert werden soll sie aus dem Grenzgemeindenfonds, angedacht ist ein “traforo di tipo stradale”, ein Straßentunnel. Dies geht aus den technischen Unterlagen hervor, die dem Protokoll beigefügt sind. Sowohl die Grünen als auch die Umweltschützer im Vinschgau und südtirolweit haben mittlerweile Druck auf die Landesregierung ausgeübt. Auf jeden Fall will man einen solchen Straßentunnel verhindern.
Es fehle an Information, Transparenz und vor allem an guten Gründen für solch ein Bauprojekt, so die Kritik der Gegner. Von der Umweltverträglichkeit ganz zu schweigen. “Ich schließe ein Straßenprojekt kategorisch aus”, versuchte Umweltlandesrat Richard Theiner zu beruhigen. Für ihn und die gesamte Landesregierung käme wenn, dann nur eine Eisenbahnverbindung in Frage. Das hat man nun auch schriftlich festgehalten.
Gebremste Straße
Länger als gewöhnlich musste man auf den Beschluss Nr. 849, den die Landesregierung am 21. Juli genehmigte, warten. Mit diesem befähigte sie ihrerseits Landeshauptmann Arno Kompatscher zur Unterzeichnung des Einvernehmensprotokolls am heutigen 27. Juli. Erst Ende der vergangenen Woche wurde der Beschluss zugänglich gemacht. Die offizielle Begründung: Man habe den ursprünglichen Wortlaut überarbeiten müssen. Und tatsächlich, im einleitenden Teil des Beschlusses ist an einer Stelle eine Zusatzklausel eingefügt worden: bei der angedachten Verbindung zwischen den Alpentälern “sollte” es sich “um eine Eisenbahnverbindung und nicht um eine Straßenverbindung handeln”.
Aus dem Beschluss Nr. 849/21.07.2015.
Die genauere Festlegung der im Einvernehmensprotokoll vorgesehenen Tätigkeiten und Maßnahmen – und somit auch die Durchführung der Machbarkeitsstudie für einen Straßentunnel – sollen mit getrennten Verwaltungsmaßnahmen vorgenommen werden. Soweit der Beschluss der Landesregierung. Was heißt das aber nun konkret? “Etwas anderes als eine Eisenbahnverbindung kommt für uns absolut nicht in Frage”, hatte Umweltlandesrat Richard Theiner seit Bekanntwerden der Pläne immer wieder beteuert. Daher auch die Zusatzklausel. Außerdem ist sich die Landesregierung einig: Alle eventuellen aus dem Einvernehmensprotokoll hervorgehenden Maßnahmen und Initiativen – auch jene im Rahmen der Machbarkeitsstudie – sollen zu einer weiteren Verbesserung der Umweltqualität des Gebiets um das Stilfserjoch führen. Inwiefern ein Tunnel, egal ob Straßen- oder Eisenbahn-, für mehr Umweltqualität sorgen soll, ist wohl mehr als fraglich.
Welche Garantie birgt die Zusatzklausel?
Können sich die Gegner einer (Straßen-)Untertunnelung des Stilfserjochs nun also getrost zurücklehnen? Riccardo Dello Sbarba befindet sich zur Zeit im Urlaub. Wie entspannt er diesen erlebt, weiß man nicht. Dem Grünen Landtagsabgeordneten geht die besagte Zusatzklausel im Beschluss der Landesregierung nämlich nicht weit genug: “In ihrem klassischen Stil, alles und das Gegenteil von allem zu sagen, hat die aktuelle Landesregierung im einleitenden Teil des Beschlusses den Abschnitt ‘es sollte sich um eine Eisenbahnverbindung handeln’ eingefügt – die Formulierung ist wohlgemerkt in der Möglichkeitsform gehalten”, so Dello Sbarba.
Außerdem sei nicht bekannt, auf welches Einvernehmensprotokoll beziehungsweise welchen Wortlaut sich der Beschluss der Landesregierung bezieht. Denn dieses ist wie erwähnt dem Beschluss Nr. 849 nicht angehängt. Es darf jedoch davon ausgegangen werden, dass es Wort für Wort jenem entspricht, das die lombardische Regionalregierung am 21. Mai ihrem Beschluss beifügt. Und aus dem klar hervorgeht, dass man in der Lombardei an einen Straßentunnel (“traforo di tipo stradale”) denkt. Der folgende Abschnitt im Beschluss der Südtiroler Landesregierung weist darauf hin: “(...) Festgestellt, dass in der Sitzung vom 19. Mai 2015 die Landesregierung den Entwurf (des Einvernehmensprotokolls, Anm. d. Red.) bereits grundsätzlich begutachtet und befürwortet hat sowie den Landeshauptmann und den Landesrat Theiner mit weiteren Verhandlungen beauftragt hat; (...).”
Man wird wohl heute Mittag abwarten müssen, um zu erfahren, “was denn da nun genau unterschrieben wird” (Zitat Hartwig Tschenett, Bürgermeister der Gemeinde Stilfs). Denn die viel gepriesene Transparenz, der immer wieder propagierte Dialog und die aus dem politischen Wortschatz nicht mehr wegzudenkende Partizipation haben in diesem Falle wohl allesamt kläglich versagt. Und wer weiß für wie realistisch man die Pläne Roberto Maronis in Südtirol überhaupt hält? In ihrem Beschluss von Ende Mai bekräftigt die lombardische Regionalregierung, das Projekt der Untertunnelung sei “fester und wesentlicher Bestandteil” des vorliegenden Protokolls (“parte integrante e sostanziale del presente protocollo”). Auf diesen Zusatz hat man in Bozen verzichtet. Denn so wichtig scheint der Tunnel hierzulande nun auch wieder nicht zu sein?!
Nun, es ist nicht so, die
Nun, es ist nicht so, die Verfügungsgewalt der Provinz BZ würde bis zum Zentrum des Erdballs reichen, einmal abgesehen davon, dass die Zuständigkeit für Überlandstrassen weder bei der Provinz noch bei der Region, sondern beim Staat liegt. Damit soll nicht gesagt sein, das dem Staate nachgeordnete Einrichtungen sich nicht für ein Projekt einsetzen oder dagegen zur Wehr setzen dürfen. Nur: die letzte Entscheidung liegt eben beim Staat und bei der EU, was eine eventuelle Mitfinanzierung angeht.