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Das Fluide und Ausfransende

Sommerzeit ist in Feldthurns Schulzeit. Bei der Summer School geht’s seit gestern um das Themenfeld „Geschlechter“, in Vorträgen, Lesungen und Performances. Die Eröffnung. Was haben ein Bisexueller und eine 80-Jährige gemein?
Summer School Schloss Feldthurns
Foto: SALTO
  • „Die ganze Welt ist eine Bühne und alle Frauen und Männer bloße Spieler. Sie treten auf und gehen wieder ab, sein Leben lang spielt einer manche Rollen.“, so wusste schon Shakespeare in seiner Komödie „Wie es euch gefällt“ die Welt zu beschreiben. Dabei dürfte es nicht in erster Linie - sehr wohl aber unter anderem und im weiteren Sinne - um Geschlechterrollen gegangen sein, aber der Satz passt auch gut zur zehnten Ausgabe der Summer School Südtirol, die sich unter dem Motto „Geschlechter werden & wieder loswerden | Quale Genre? Generi in Camino“ gestern Abend auf den Weg gemacht hat. Entlang der Strecke beim ersten Teilabschnitt zeigt sich dabei auch, wieviel wir von anderen - auch gänzlich anderen - Lebensrealitäten lernen können.

    Auf dem Programm stand nach Grußworten von Leo Andergassen, Direktor von Schloss Velthurns (der zusicherte, dass auch das derzeit regenbogenfarben-dekorierte Schloss nächstes Jahr in die Initiative Museums x Pride, aufgenommen werden wird), der Vorsitzende im Bildungsausschuss Feldthurns, ebensolchen von Mariano Paris (inklusive „AI-Gedichten“ auf Deutsch und Italienisch), sowie Anna Heiss im Namen des Summerschool-Teams mit vielen Danksagungen, zuerst die Rede von Maxi Obexer.

    Die Eröffnungsrede der Theater- und Romanschriftstellerin, die künstlerische Leiterin und Gründerin der Summer School in einem ist, stellte Obexer unter den Titel: „Wohin zielt die Diffamierung des Queeren?“. Ausgehend von der Jugendzeit im Dorf, wo sie beim Hexensessel, einer natürlichen Formation auf Felsblöcken und Kiefern von Hexenversammlungen als Kind, als Jugendliche von der Hexenverschwörung des „Macbeth“ träumte, erinnerte sich Obexer an die einzige nicht mit den großen Kategorien „Männlich“ und „Weiblich“ zu fassende Person im Dorf. Mit „ Kordhosen mit Schlag mit Klappe vorne am Schritt“, kariertem Hemd, braunem Lockenkopf und einer Zigarette im Mund. Sie - als „Person“ von Maxi Obexer im grammatikalisch weiblichem Geschlecht gefasst - war ein Mann, sie verschwand eines Tages, ohne dass der Autorin der weitere Lebensweg oder Namen der Person bekannt wäre. „Den Jungs war sie zu sehr Frau, den Frauen war sie zu sehr Mann“, fasst Obexer zusammen, warum diese Person im Dorf totgeschwiegen wurde.

    Heute, wo ein Verständnis der Geschlechter mehr als Positionierung auf einem Spektrum, denn eine Zuschreibung zu einem von zwei statischen, altehrwürdigen Geschlechtspolen entgegentritt, wird diese Auffassung gerne auch zur Projektion von Ängsten missbraucht. Maxi Obexer sieht darin eher Chancen zu lernen und den eigenen Horizont zu erweitern. Etwa am Beispiel der Wissenschaftlerin Ursula LeBlanc, die sich fragt, ob nicht der Beutel - statt Feuer und Faustkeil - vielleicht die erste Erfindung der Menschheit war. Eine Vervollständigung des Kanons durch vermehrt auch weibliche Positionen wünscht sich die Autorin nicht nur auf dem Dorf und in der Menschheitsgeschichte, sondern gerade auch in der (Theater-)Literatur und erinnert daran, dass das „Canceln, noch bevor es zum Vorwurf an die Woken gemacht wurde“ bereits zur Unterdrückung weiblicher und marginalisierter Perspektiven gebraucht wurde. Etwa mit dem, vor allem jungen Mädchen angedrohten Satz: „Wenn du nicht aufhörst zu spinnen, dann kommst du nach Pergine.“

  • Maxi Obexer: Wohin zielt die Diffamierung von Queerem? Dieser Frage ging Maxi Obexer unter anderem in ihrer Eröffnungsrede nach. Foto: SALTO

    Auch greift die Autorin der Frage, was denn nun Tiere mit Geschlechter-Identitäten zu tun hätten, vorweg und weist darauf hin, dass das Studienfeld der Human Animal Studies seinen Ausgang bei den Gender Studies hatte und einen analogen Blick auf die Mensch-Tier-Beziehung wirft. Nachdem Maxi Obexer mit der sogenannten „Transvestigation“ und Online-Hasskampagne gegen die Algerische Goldolympionikin Imane Khelif aufgeräumt hatte, die obwohl sie bei ihrer Geburt dem weiblichen Geschlecht zugeordnet wurde, mit den Unterstellungen ein „biologischer Mann“ zu sein konfrontiert wurde. Den Tieren ist dies egal. Alexander Graeff nahm sich daher mit seiner Rede „Tentakel ausbilden. Ein Plädoyer für ein queeres Denken und Handeln“ tierische Vorbilder in Oktopus und Schwamm.

    Alexander Graeff, Schriftsteller und Philosoph sprach von seinen Erfahrungen der Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit in queeren Kreisen, etwa wenn er auf der Straße zusammen mit einer „weiblich gelesenen Person“ gesehen wird und das Gerücht der Heterosexualität und einer geheimen Familie samt Kindern im Umlauf ist. Graeff ist geoutet bisexuell und spricht, ausgehend vom Vorwurf, in seinen Ausführungen oft „zu schwammig zu sein“, darüber, wie Schwämme uns ein Vorbild sein können. In dieser aufgezwungenen Dualität zwischen der Inneren Sexualität, die Graeff nicht getrennt sondern als verbunden erlebt, die ihn zu Geschlechtern gleich und verschieden zum eigenen sieht und der Zuschreibung von außen, die ihn als hetero- oder homosexuell frankiert und selten als Bisexuellen wahrnehmbar sieht. Alexander Graeff fühlt sich zum „Fluiden und Ausfransenden“ hingezogen.

    Erica Fischer (als Vertretung für die erkrankte Sabine Scholl eingesprungen), Autorin und Schriftstellerin mit Wohnsitz in Barcelona, fragte sich zuerst, nachdem Summer School Stipendiatin Lena Simonetti ihren Landesmeister:innenschafts-Qualifikations-„Tuffo“ mit mehr Zeit und Französisch wiederholt hatte, was sie zum Thema Geschlechter beizutragen hätte. „Spät lieben gelernt. Mein Leben“ ist ein Geschenk der Autorin an sich selbst. Zum 80. Geburtstag 2023 erschien der Band mit autobiografischen Essays im Berlin Verlag („Eigentlich hätte es ja ‚Nicht lieben gelernt‘ heißen sollen, aber in Deutschland sind alle so harmoniebedürftig…“)

    Aus dem Vortrag heraus ergaben sich dann jedoch spannende Parallelen in den doch eher verschiedenen Leben von Fischer und Graeff. Gemeinsam ist ihnen nicht nur der Wunsch, gesehen zu werden sondern auch die Erkenntnis, dass man Geschlechter - etwa im Alter - auch wieder loswerden kann. Wie bei Graeff sind dabei die Sicht von außen und die eigene Lebenswirklichkeit ausgesprochen ungleich. Nicht nur die eigene, erlebte Unsichtbarwerdung nach den Wechseljahren kommentiert Fischer scharf, sondern auch etwa jene von Schauspielerinnen: Eine Studie an 2000 Filmen machte aus, dass die Redezeit weiblicher Schauspielerinnen ab 40 im Schnitt abnimmt und bei männlichen Schauspielern dagegen zunimmt. „Am liebsten wird Frauen also zugehört, wenn sie noch gar nicht so viel zu sagen haben.“, kritisiert Fischer scharf.

    Ausklingen ließ man den Abend anschließend im kühlen Freien, wo neben Gesprächen mit Pizza und Wein gelockt wurde.

  • Die Summerschool geht weiter, neben den Textwerkstätten auch heute wieder mit Vorträgen, diesmal rund um das Themenfeld der Intersektionailtät, der Überschneidung und Durchdringung von verschiedenen Studienfeldern. Der Eintritt ist frei, Voranmelden braucht man sich nicht.