Gesellschaft | Familie-Beruf

Das Märchen von der Vereinbarkeit

Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen, fällt immer mehr Eltern schwer. Allianz für Familie und Gleichstellungsrätin appellieren an Politik und Wirtschaft.
Vater mit Tochter
Foto: Pixabay

Nicht erst fünf vor, sondern schon zehn nach zwölf ist es, hört man sich die zahlreichen Stellungnahmen an diesem Vormittag im Haus der Jugend an. Ein gutes Dutzend Vertreter von Eltern- und Familienorganisationen, aber auch von Kinderbetreuungsstätten sitzen dort im Halbkreis. In ihrer Mitte, Christa Ladurner, Sprecherin der Allianz für Familie, und Gleichstellungsrätin Michela Morandini. Die sagt: “Die Versäumnisse der letzten Jahre und Jahrzehnte fliegen uns gerade um die Ohren.”
Es geht um die steigende Belastung berufstätiger Eltern, die fehlende Unterstützung von Politik und Wirtschaft, kurzum, “die Vereinbarkeitslüge”, so der bewusst provokant gewählte Titel der Pressekonferenz.

 

Beruf und Familie: geht fast nicht

 

“Ich kann es nicht mehr hören, wenn über den Fachkräftemangel geklagt wird, während man auf der anderen Seite Hochqualifizierte aus der Arbeitswelt gehen lässt.” Michela Morandini spricht von den 986 Müttern von Kleinkindern (bis zu 3 Jahren), die 2018 ihre Arbeit gekündigt haben. Die meisten, weil sie es nicht schaffen, Familie und Beruf zu vereinbaren, darunter viele hochqualifizierte Frauen. “Und es werden immer mehr.” Genau dieselbe Erfahrung hat Christa Ladurner gemacht, die als Koordinatorin in der Fachstelle Familie des Forum Prävention tätig ist. “Die Anzahl der Eltern, die sich bei uns gemeldet haben, weil sie Schwierigkeiten bei der Vereinbarkeit haben, ist massiv angestiegen. Nicht nur Mütter, sondern auch immer mehr Väter, die sich aktiv in die Familie einbringen wollen und auf dieselben Schwierigkeiten treffen wie die Frauen.”

Welche das sind, erläutern Ladurner und Morandini anhand von Erfahrungsberichten, stützen sich aber vor allem auf handfeste Daten.

Es geht vor allem um die schul- bzw. kindergartenfreie Zeit, in der sich Eltern, die arbeiten – und das sind immer mehr – schwer tun, ihren Nachwuchs unterzubringen. Was sich wiederum auf ihre Berufstätigkeit auswirkt. “Es geht nicht darum, die Kinder abzuschieben, denn natürlich tragen in erster Linie Eltern die Verantwortung für ihre Kinder”, schickt Ladurner voraus. “Aber sie brauchen Unterstützung.”

 

Löcher und Lösungen

 

Laut der letzten Familienstudie, die das ASTAT 2016 durchgeführt und Anfang 2018 veröffentlicht hat, wurden Eltern befragt, wann sie Schwierigkeiten haben, die Kinderbetreuung zu organisieren. Die meisten Schwierigkeiten gibt es in den Sommerferien, an schulfreien Tagen, beim Transport zur oder von der Schule, den Freizeitaktivitäten usw. und am Nachmittag nach Schul- oder Kindergartenende.

 

“Da ist die Verkäuferin, die am Nachmittag arbeiten muss und nicht weiß, wie sie ihr Kind unterbringen soll; die selbstständige Friseurin, die sagt, ihr Geschäft rentiert sich nicht mehr; die Lehrperson, die von Grundschulkindern erzählt, die nachmittags alleine zu Hause sind”, berichtet Ladurner. Vor allem am Land mangle es an Angeboten für die Nachmittagsbetreuung. Dazu kommt, dass in den deutschsprachigen Kindergärten und Schulen “schleichend die Öffnungszeiten reduziert werden”, wie es am Mittwoch Vormittag heißt. “Man will das Personal in Kindergarten und Schule entlasten und schließt die Einrichtungen früher”, zeigt Morandini Verständnis. “Daraus folgt aber, dass die Eltern mehr belastet werden – es beginnt ein Teufelskreis.”

“Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf funktioniert in Südtirol nicht.” (Michela Morandini)

Die Problematik ziehe sich durch alle Alters- und Berufsgruppen, betrifft sowohl Angestellte im öffentlichen Dienst als auch in der Privatwirtschaft und Freiberufler. So die übereinstimmende Beobachtung von Ladurner und Morandini.

Auch nach Verbesserungsvorschlägen hat das ASTAT in seiner Familienstudie gefragt. Mit folgendem Ergebnis:

- Möglichkeit des Wartestandes in den ersten drei Lebensjahren des Kindes ohne den Arbeitsplatz zu verlieren: 55,1% der Eltern stimmen “sehr” zu, 26,1% “ziemlich”
- flexiblere Arbeitszeiten: 33,8% stimmen “sehr” zu, 39,8% “ziemlich”
- Hilfe für die Betreuung von pflegebedürftigen Familienangehörigen zu Hause: 35,6% stimmen “sehr” zu, 35,4% “ziemlich”

Aber auch Betreuungseinrichtungen in der Wohngemeinde, verstärkte Betreuungsangebote während der Ferien und außerhalb der Schulzeiten sowie ein Mensaangebot in der Schule für alle – “denn viele Eltern müssen mittags daheim sein, um für die Kinder zu kochen”, erklärt Ladurner – finden breite Zustimmung.

 

Ernsthaft an einen Tisch setzen

 

Die ASTAT-Studie zeigt es: gefordert sind Politik und Arbeitgeber bzw. die Wirtschaft. “Es braucht neue Angebote und Konzepte, die den Eltern Planungssicherheit bei der Familiensituation garantieren”, so der Appell der Allianz für Familie. Gemeinsam mit der Gleichstellungsrätin fordert man neue, der Zeit und den Bedürfnissen der Eltern angepasste Bildungs-, Betreuungs- und Arbeitsmodelle – erarbeitet an einem gemeinsamen Tisch, an dem Politik, Wirtschaft, Schule, Gemeinden und Eltern sitzen.

“Nicht Löcher stopfen, wie es derzeit passiert, nicht schnelle Lösungen, sondern zukunftsträchtige, mutige und weitreichende Konzepte”, bringt Christa Ladurner die Anliegen auf den Punkt. Jüngst habe man die Gelegenheit gehabt, bei Bildungs- und Wirtschaftslandesrat Philipp Achammer und dem Südtiroler Wirtschaftsring vorzusprechen. Das Ergebnis? “Uns wurde gesagt, dass man darüber nachdenken wird, ob man die Sache weiter verfolgen und vertiefen will”, die ernüchternde Feststellung an diesem Vormittag.