Umwelt | Artenvielfalt

Die Bitte der Ökolobby an Herrn Dorfmann

Am Dienstag scheiterte ein weitreichendes Naturschutzgesetz im Ausschuss des EU-Parlaments an der einfachen Mehrheit. Nicht ganz unschuldig war der SVP-Mann in Brüssel.
Herbert Dorfmann
Foto: Ute Schweigkofler
Es war eine Mischung aus Applaus und Johlen beim Umweltausschuss des Europäischen Parlaments zu hören, als das Nature Restoration Law (Gesetz zur Widerherstellung der Natur) diese Woche an der einfachen Mehrheit scheiterte. 44 Stimmen waren dagegen - 44 dafür. Dabei ist die größte Fraktion des EU-Parlaments, die Europäische Volkspartei (EVP), ein Gegner des Vorhabens, das von rund 3.300 Wissenschaftler*innen aus 26 Mitgliedsstaaten der EU in einer Umfrage gefordert wird. Es soll dafür sorgen, dass das Artensterben aufhört und Naturschutzgebiete in Europa wirklich respektiert werden. Dass Wälder, Moore und Feuchtwiesen als wertvolle CO2-Speicher gegen die Klimakrise geschützt werden. Es ist das erste Mal, dass der Umweltausschuss einen Teil des Europäischen Green Deal ablehnt. Auch die Ausschüsse für Landwirtschaft und Fischerei sind gegen das Naturschutzgesetz.
 
naturschutzgesetz_eu_parlament.jpg
Die Abstimmung im Umweltausschuss: Das Naturschutzgesetz zur Wiederherstellung der Artenvielfalt scheiterte an der einfachen Mehrheit. (Foto: EU-Parlament)
 
Nun soll der Gesetzesvorschlag der Europäischen Kommission im Juli im Europäischen Parlament behandelt werden. Die Ausschüsse empfehlen das gesamte Gesetz zu streichen, auch SVP-EU-Parlamentarier und EVP-Mitglied Herbert Dorfmann steht dem Nature Restoration Law skeptisch gegenüber. In Deutschland erklärt der EVP-Vorsitzende, Manfred Weber von der CSU, selbst den Grund für die ablehnende Haltung seiner Fraktion: Die EVP sei eine Bauernpartei, so Weber Anfang Mai bei einem Parteitreffen in München.
 

Die Positionen

 
Laut dem SVP-Parlamentarier in Brüssel sei das Naturschutzgesetz aus zwei Gründen abzulehnen: „Zum einen setzt sich Südtirol seit Jahren dafür ein, die Kompetenz für Landschaftsschutz nicht an Rom abzugeben. Deshalb wäre es absurd, dass die Kompetenz nun an Brüssel gehen soll. Zum anderen wird der Naturschutz bereits europaweit durch die Natura-2000-Gebiete abgedeckt, auch in der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) wird mit den Eco Schemes (Öko-Regelungen, Anmerkung d. R.) ein Fokus darauf gelegt. Wir brauchen deshalb kein zusätzliches Gesetz“, so Dorfmann. Mindestens 35 Prozent der GAP-Gelder zur ländlichen Entwicklung müssen die EU-Länder für Umwelt- und Tierschutzmaßnahmen ausgeben, das sind insgesamt betrachtet 20 Milliarden Euro pro Jahr.
 
Apfelwiese
Südtiroler Apfelwiesen: Herbert Dorfmann befürchtet, dass von der Wiederherstellung der Feuchtgebiete auch landwirtschaftliche Flächen hierzulande betroffen sein werden. (Foto: Südtirolfoto / Helmuth Rier)
 
Josef Oberhofer, Präsident des Dachverbands für Natur- und Umweltschutz, ist hingegen ein Verfechter der Gesetzesinitiative auf EU-Ebene: „Dieses von der EU-Kommission vorgeschlagene Gesetz ist ein Meilenstein und markiert einen Wendepunkt in den Bemühungen um den Schutz und die Erholung der bedrohten Ökosysteme des Kontinents.“ Europas Natur befinde sich in einem alarmierenden Zustand, mit 81 Prozent der geschützten Lebensräume in einem schlechten oder sehr schlechten Zustand - so sind beispielsweise jede fünfte Vogelart und jede dritte Bienen- und Schmetterlingsart in Europa stark rückläufig bzw. vom Aussterben bedroht.
„Auch in Südtirol besitzen weite Teile der Talniederungen nur einen geringen Naturwert, auch hier wären Maßnahmen dringend notwendig“, sagt Norbert Dejori, Präsident der Vereinigung Südtiroler Biolog*innen. Um diesen Trend umzukehren, sieht das EU-Naturschutzgesetz vor, dass bis 2030 mindestens 20 Prozent der Landflächen und 20 Prozent der Meeresgebiete der EU revitalisiert werden müssen. Bis zur Mitte des Jahrhunderts sollen alle Gebiete, die einer Revitalisierung bedürfen, in Angriff genommen werden. Gemäß dem vereinbarten Text müssen alle EU-Länder bis 2030 Wiederherstellungsmaßnahmen für mindestens 30 Prozent der bedrohten Lebensräume in terrestrischen, Küsten-, Süßwasser- und Meeresökosystemen umsetzen. Dieser Anteil wird bis 2040 auf 60 Prozent und bis 2050 auf 90 Prozent steigen.
Würde das Naturschutzgesetz der EU in Kraft treten, hätte das auch Folgen für die Landwirtschaft, so Dorfmann: „Der Gesetzesvorschlag enthält zum Teil absurde Dinge. Beispielsweise muss die Landschaft der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts widerhergestellt werden. Das würde in Südtirol bedeuten, dass ein paar Tausend Hektar Wald gerodet werden müssten. Auch die Widerherstellung der Feuchtgebiete wäre verpflichtend. Wenn bei uns jemand mit der Genehmigung der Gemeinde und Forstbehörde eine Wiese entwässert hat, wie kann er dann dazu gezwungen werden, die Drainagen wieder herauszureißen?“
 

Appell an Dorfmann

 
Die Zustimmung der EU-Umweltminister zu diesem Gesetz sei laut dem Dachverband für Natur- und Umweltschutz, der Vereinigung Südtiroler Biolog*innen und Scientists for Future South Tyrol ein starkes Signal an die internationale Gemeinschaft gewesen, dass die EU den Schutz der Biodiversität ernst nimmt und ihre internationalen Verpflichtungen erfüllen will. Sie kritisieren die ablehnende Haltung der EVP und auch jene von Herbert Dorfmann, der an dieser Abstimmung teilgenommen hat, obwohl er nicht in diesem Ausschuss sitzt.
 
feuchtgebiet.jpg
Feuchtgebiet in Hafling: Der Gesetzesvorschlag der EU-Kommission sieht vor, dass bis 2030 mindestens 20 Prozent der Landflächen und 20 Prozent der Meeresgebiete der EU revitalisiert werden müssen. (Foto: privat)
 
Deren Begründungen für die Ablehnung seien wissenschaftlich nicht stichhaltig, wie die Forderung von rund 3.300 Wissenschaftler*innen zum Ausdruck bringt, in einem wissenschaftlichen Artikel wird ihre Position dargelegt. Unter anderem das häufig von der Agrarlobby zitierte Argument, die Umweltmaßnahmen gefährden die Nahrungsversorgung Europas, entbehre jeder Grundlage: Schutz und Wiederherstellung der Natur sowie die Reduzierung von Agrochemikalien und Schadstoffen seien zentral für unsere Ernährungssicherheit.
„Am 12. Juli hat das gesamte Europäische Parlament nicht nur die Möglichkeit, das EU-Renaturierungsgesetz aufrecht zu erhalten, sondern auch der Welt ein Signal zu senden, dass die EU den Naturschutz und die Wahrung der eigenen Ökosysteme ernst nimmt. Da wird sich zeigen, ob sich die Ziele einer nachhaltigen und naturverträglicheren Landwirtschaft oder aber die Interessen der großen Agrarlobbys durchsetzen“, teilen die Südtiroler Umweltverbände mit. „Falls das EU-Parlament diesen entscheidenden Schritt nicht wagt, wird es in dieser Legislaturperiode zu keinem EU-Renaturierungsgesetz mehr kommen, trotz Zustimmung der Kommission und des Rates, und die Bemühungen auf europäischer Ebene zum Thema Naturschutz würden erstmals auf Eis gelegt werden.“ Die Südtiroler Umweltverbände fordern EU-Parlamentarier Herbert Dorfmann auf, bei der Abstimmung im EU-Parlament für das Naturschutzgesetz zu stimmen.