37 Millionen Frauen Opfer von Gewalt
Jede dritte Frau in der Europäischen Union zwischen 18 und 74 Jahren hat seit ihrem 15. Lebensjahr körperliche und/oder sexuelle Gewalt erfahren. Dieses düstere Bild, zeichnet die bisher weltweit umfangreichsten Studie zum Thema geschlechtsspezifische Gewalt, die von der in Wien angesiedelten Grundrechtsagentur der Europäischen Union (FRA) durchgeführt wurde. Dazu wurden insgesamt 42.000 Frauen in allen 28 Mitgliedsstaaten in je50-minütigen persönlichen Interviews nach Erfahrungen mit körperlicher, sexueller und psychischer Gewalt befragt. Thematisiert wurden auch die Phänomene Stalking, sexuelle Belästigung sowie die Rolle der neuen Technologien bei diesen Formen von Gewalt.
Das Ergebnis bestätigt einmal mehr, dass Gewalt gegen Frauen auch in Europa alles andere als ein Nischenthema ist, betonte FRA-Direktor Morten Kjaerum bei der Vorstellung der Daten. Immerhin hätten demnach 37 Millionen Frauen Gewalt erlitten; also mehr Frauen als in Italien leben, verdeutlichte Kjaerum die Größenordnung. Neun Millionen von ihnen oder fünf Prozent aller erwachsenen Frauen wurden Opfer einer oder mehrerer Vergewaltigungen. Die Gewalterfahrungen fingen für ein Drittel der Befragten bereits in der Kindheit an; dort berichteten zwölf Prozent von ausschließlich sexuellen Übergriffen.
Insgesamt erfährt laut der Studie jede vierte Frau in Europa Gewalt durch einen Partner oder Ex-Partner; besonders hoch sind die Prozentsätze bei psychischer Gewalt in der Partnerschaft, die 43 Prozent der Befragten erlebten. Mehr als die Hälfte aller Frauen haben bereits sexuelle Belästigung erlebt; davon 75 Prozent der Frauen in leitenden Managementpositionen. Knapp jede fünfte Frau wurde dagegen bereits einmal gestalkt. Von unangemessenen Annäherungsversuchen in den Sozialen Medien erzählten elf Prozent der Befragten.
Interessantes Detail der Studie: Wie auch die vom österreichischen Standard erstellte Grafik zeigt, liegen hier die skandinavischen Länder im Gegensatz zu anderen frauenspezifischen Themen schlechter als südeuropäische Staaten wie Italien. Ein Ergebnis, das eine der Studienautorinnen im Mittagsmagazin von RAI Südtirol vor allem mit einer stärkeren Tradition im Norden Europas begründete, Gewalt zu thematisieren. Im südlichen Europa werde Gewalt an Frauen dagegen noch viel stärker als Tabu gehandhabt; entsprechend höher seien hier die Dunkelziffern.
Diese Statistik wird in der aktuellen Ausgabe
des Spiegels 2014/11 S. 138 stark in Frage gestellt.
Sie meinen den Text
mit dem Titel "Werden Frauen im Norden Europas (...)? Haben sie den Artikel denn gelesen? Denn er stellt keineswegs "dieses Statistik" in Frage.
Gut, aber Tribus
ist nicht "Der Spiegel". Der sagt nämlich: "An der Grundaussage der Studie (...) zweifeln Experten jedoch nicht." Und: "Rechnet man (...) heraus, hat ebenfalls jede vierte körperliche Gewalt erfahren". Und es ist, um auf deinen Kommentar einzugehen, keineswegs so, dass ich dir deine persönlichen Gewalterfahrungen missgönnen würde ;-) sie ändern aber nichts daran, dass Frauen als gesellschaftliche Gruppe deutlich mehr und jedenfalls überproportional viel Gewalt erfahren. Das muss nicht sein, das darf nicht sein, das kann nicht sein - aber natürlich hat keine Form von Gewalt an welcher Gesellschaftsgruppe auch keine und keinste Berechtigung.
Was nicht zuletzt ein Mensch als Gewalt definiert, liegt allein in seinem persönlichen Ermessen. Und dieses persönliche Ermessen/Empfinden hat ! bedingungslos ! respektiert zu werden. Der Artikel sagt ja übrigens auch, dass das Gewaltempfinden vom Kulturkreis bedingt und vom Grad der weiblichen Gleichberechtigung beeinflusst wird: "Je gleichberechtigter die Frau (...), desto größer dürfte die Wahrscheinlichkeit sein, dass sie Gewalttaten hinterfragt (...)" "(...) Frauen in unterschiedlichen Kulturkreisen (...) unterschiedlich definieren, was sie unter Gewalt verstehen (...).
So hat der Kampf um weibliche Gleichberechtigung noch eine Berechtigung mehr: Eine neue und verfeinerte Definition von Gewalt, und damit einhergehend ihre Eindämmung. Schönen Tag noch!
Der Artikel stellt diese Statistik
schon allein dadadurch in Frage, dass die Menge der Befragten als zu gering angesehen wird. Alles andere ist dann mit Zahlen herumzuwerfen.
Die Nobelpreißträgerin
Die Nobelpreißträgerin Elfriede Jelinek hat zu diesem Thema eine nicht besonders tröstliche, dennoch durchaus plausible Meinung, die sie im Roman Lust auch wiedergibt. Bei Jelinek zieht sich das Thema der Hegelschen Herr-Knecht-Verhältnisse wie ein roter Faden durch ihre Werke hindurch. Die Herrschaft und Knechtschaft bezieht sie zum einen auf Mann und Frau, zum anderen auf sozial Privilegierte und Unterlegene. Jelinek zufolge übt die Herrschaft inmitten solcher Verhältnisse nicht nur Macht über bzw. Gewalt gegen die Knechtschaft aus, vielmehr wird die Gewalt zugleich dermaßen rationalisiert und ritualisiert, dass sie de facto Legitimität oder sogar Legalität erringt. Da solche Gewalt immer strukturell motiviert bzw. bedingt ist, ist sie in Wirklichkeit mit der sogenannten strukturellen Gewalt konform. Mithin kann sie im (alltäglichen) Leben der Unterlegenen gewissermaßen schicksalhafte, in extremen Fällen sogar fatale Auswirkung zur Folge haben. Aus dieser Sicht handelt es sich hier im weitesten Sinne um eine moralisch sanktionierte und staatlich institutionalisierte Vernichtungsgewalt. Obwohl Jelinek hie und da unterstreicht, sie wage nicht mehr so optimistisch, wie sie einst in den sechziger und siebziger Jahren war, zu glauben, literarisch oder politisch die soziopolitische und kulturelle Misslage der Herrschaft- Knechtschaft-Relation (ver-)ändern zu können, bezweckt sie nichtsdestotrotz mit künstlerischen Gewaltdarlegungen, eine politische Denunziation ebenso wie eine Aufklärung zu erzielen. Für Jelinek sind Frauen, Juden und die sozial Unterlegenen im bestehenden System vornehmlich aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Rasse oder ihres niedrigen sozialen Ranges mehr oder minder entrechtet, Ansprüche auf ihre Subjektivität, Besonderheit und (Menschen-)Rechte zu erheben. Die individuellen Eigenschaften werden ihnen in vieler Hinsicht aberkannt. Mit den Einzelnen von ihnen sind zumeist die Kollektive gemeint. Während sie gemeinsam als Andere oder gar als Fremde von ihren Gegengruppen ausgegrenzt und ausgeschlossen werden, soll ihre Andersartigkeit pointiert betont werden, damit sich die gänzliche Suprematie und die individuellen Selbstwertgefühle der Gegengruppen hierdurch immer wieder bestätigen sowie etablieren können. D.h., sie haben schlechterdings die Aufgabe, den Gegengruppen Anerkennung zu gewährleisten. In Anbetracht dessen sind die Gegengruppen ebenfalls abhängig von ihnen, welche logischerweise eine „Xenophobie“, aufgrund derer die Herrschaft Gefahr bzw. Androhung zu sehen glaubt, entfachen. Frauen, Juden und die sozial Unterlegenen gehören eben nicht zum „Wir“, das sich hermetisch zu einer absoluten Herrschaft bildet. Trotzdem haben sie sich ohne weiteres den Wertenormen der Herrschaft, deren Universalität außer Frage stehen soll, zu unterwerfen. Nach der Ansicht Jelineks existiert das weibliche Subjekt weder auf dem intellektuellen Gebiet noch auf der sexuellen sowie pornographischen Ebene, solange die Machtverhältnisse von Herrschaft und Knechtschaft weiter bestehen. Ihr zufolge basiert die Existenz der Frau ausschließlich auf dem gänzlichen Verzicht auf ihr Selbst. Es steht für Jelinek außer Frage, dass die Selbstauslöschungstendenz der Frau völlig frei und willig von ihr selbst ausgeht. Im Roman Lust stellt Jelinek beispielsweise dar, dass unter Gewalt keine weibliche Artikulation zustande kommen kann. Zumal das weibliche Subjekt innerhalb sexueller Machtverhältnisse gezwungenerweise verschwinden muss, ist es für die Protagonistin allerdings unmöglich, ihre sexuellen Erfahrungen aus eigener Sicht zum Ausdruck zu bringen. Hier geht es hauptsächlich um die Definitionsmacht (vor allem im Bereich der Sexualität), die teils scheinbare Natürlichkeit und Unschuld der Sexualität evoziert, teils die Artikulationsformen, insbesondere die Symbole der Sexualität festlegt. Indem die Sexualität mit menschlichem Trieb und Bedürfnis gleichgesetzt wird und mithin an Natürlichkeit und Unschuld gewinnt, soll sie zugleich das sexuelle Zeichensystem als arbiträr, somit natürlich vortäuschen. In Lust thematisiert Jelinek vorwiegend, dass die Frau kein Recht hat, Nein zu sagen bzw. ihre weibliche Begierde und Bedürfnisse dem Mann gegenüber zu behaupten. Deshalb wird die Frau in einen Gegenstand männlicher Lust und männlichen Begehrens eingezwängt. Indem er seinen eigenen Wünschen und Bedürfnissen nachgeht, übergeht er bewusst oder unbewusst jene der Frau. Aus diesem Grund manifestiert die Protagonistin keine direkte Widerrede und keine offene psychische Entwicklung. Der Leser kann zwar ihre Gewalterfahrungen verfolgen, erfährt aber äußerst wenig von ihrem Empfingungskonstrukt. Festgestellt sei im Roman eine überspitzt geschilderte Auflösung des Weiblichen.
....sorry, Tippfehler
....sorry, Tippfehler Nobelpreis...