Wir sind es seit langem gewohnt: Beppe Grillo steigert sich fast täglich in der Beschimpfung seiner Widersacher und Gegner, der vermeintlichen und wahren Verantwortlichen für den desaströsen Zustand Italiens. Während der Anfänge der 5-Sterne-Bewegung konnte man seine Reden im Stil eines Volkstribuns mit Überfunktion der Schilddrüse noch als – gar nicht so unsympathische – Übertreibung eines Komikers empfinden: Er ist eben kein klassischer Politiker, konnte man sich sagen.
Doch nach dem großen Wahlerfolg der 5stelle und ihrem massiven Einzug ins Parlament hätte man sich doch einen etwas sachlicheren Ton in der politischen Auseinandersetzung erwarten können. Stattdessen folgten auf die ironisch-bissigen Redeschwaden zunehmend aggressive, grobe, entwürdigende und beleidigende „Sager“ des selbsternannten Vize-Gurus und Megaphon des Gurus Nr.1 Gianroberto Casaleggio. Kein Tag ohne Fäkalausdrücke, machistische und frauenverachtende Anzüglichkeiten, Todeswünsche und -drohungen gegen sämtliche Vertreter anderer Parteien oder der republikanischen Institutionen, Staatspräsident inklusive (siehe dazu den glänzenden Beitrag von Gerhard Mumelter, der wenn auch schon älter, nichts an Aktualität verloren hat).
Aber konnte man die inzwischen schon notorisch-provokant inszenierten Rundumschläge gegen Alles und Jeden noch als bewusst populistische Untergriffe auslegen, so hat Beppe Grillo jetzt die rote Linie überschritten.
Primo Levi gilt weltweit als einer der bedeutendsten Zeugen der Horrortaten der Nazis. Als jüdischer Widerstandskämpfer und Überlebender des KZs Auschwitz hat der Schriftsteller Levi 1947 mit seinem Werk „Se questo è un uomo?“ (Ist das ein Mensch?) die unsagbaren Greueltaten des Hitlerregimes und ihrer Kollaborateure bei der industriellen Ausrottung von mehr als 6 Millionen Juden, Homosexuellen, Roma und Sinti und politischen Widersachern literarisch beeindruckend festgehalten. Es ist nicht nur die Schilderung der unsagbaren Leiden der Opfer, es ist vor allem auch eine erschreckende Einsicht in den bisher grauenhaftesten Niedergang der westlichen Zivilisation mit ihrer totalen Entmenschlichung. Vergleichbares kennt man eigentlich nur von Elie Wiesel, George Semprun oder Claude Lanzmann mit seinem 9-stündigen Film "Shoah".
Nicht zu Unrecht gilt seit 1945 innerhalb unserer westlichen Zivilisation ein ungeschriebener, aber unumstößlicher Konsens: Nie wieder Auschwitz! Der Holocaust und seine Opfer dürfen nicht negiert, nicht relativiert und nicht verunglimpft werden. In den meisten demokratischen Staaten gibt es Gesetze, die einen Verstoß gegen diese Prinzipien unter Strafe stellen. Das ist fester Bestandtteil unserer moralischen Grundpfeiler, wie die Aufklärung und die Erklärung der Menschenrechte.
Diesen Grundsatz hat Beppe Grillo mit seiner „Umdichtung“ des Levi-Gedichts und der Retuschierung des KZ-Eingangsportals schandhaft verletzt – und damit sämtliche Opfer und Hinterbliebenen der größten Katastrophe unserer Zivilisation. Das kann und darf nicht toleriert werden, denn es gibt Tabus in unserer Gesellschaft, die einen fundamentalen Sinn haben, wenn wir eine Wiederholung des Unsagbaren verhindern wollen. Nach dem Wahlerfolg der 5-Sterne-Bewegung schrieben wir Journalisten in allen Medien achtungsvoll, dass 80 Prozent der 163 Grillini im Parlament einen höheren Studienabschluss (meist Universität) haben – also gebildete Leute aus der Mittelschicht. Wo bleibt der Aufschrei dieser „Volksvertreter“, für die es keine Entschuldigung für ein mögliches Nichtwissen über den Holocaust und seine Bedeutung geben kann. Und was sagt Herr Köllensperger dazu?