Gesellschaft | Schul-Debatte

Problematischer Reichtum?

In einer komplexen Gesellschaft müssen Bedürfnisse unterschiedlich und auf menschlicher Ebene angegangen werden. Aber das gelingt nur wenn die Politik die Weichen stellt.
Scuola, Aula
Foto: (c) unsplash
Lieber Wolfgang,
 
ich kommentiere nur selten Artikel auf salto.bz und schreibe noch seltener Beiträge, da ich leider erfahren musste, dass meine Meinung häufig überbewertet wird und als Vorgabe der Blattlinie interpretiert wird. Aber in diesem Fall, lieber Wolfi, werde ich auf Deine Provokation eingehen, da ich glaube zu diesem Thema einen inhaltlichen Beitrag leisten zu können.
Ich bin in einem zweisprachigen Haushalt aufgewachsen. Meine Mutter Giovanna ist gebürtige italienischsprachige Südtirolerin, mein Vater Luis ist deutschsprachiger Südtiroler unzähliger Generationen. Beide waren Lehrer. Meine Mutter Italienischlehrerin in der deutschen Schule, mein Vater Deutsch- und Geschichtslehrer. Vielleicht ist es jetzt allen nachvollziehbar, weshalb dieses Thema, in meiner DNA verankert ist und mir unter den Nägeln brennt. Noch nicht genug. Ich habe eine Frau geheiratet, dessen „Muttersprachen“ aber nicht deutsch und italienisch sind, und habe mit ihr zwei Kinder gezeugt, die gerade im Schulalter sind.
Ich behaupte, dass die Südtiroler Schulen, beide, also italienische und deutsche, mir nicht helfen die Mehrsprachigkeit meiner Kinder zu fördern und zu wertschätzen.
Ich formuliere nun eine Behauptung, die ich im Laufe dieses Beitrags zu begründen versuche. Ich behaupte, dass die Südtiroler Schulen, beide, also italienische und deutsche, mir nicht helfen die Mehrsprachigkeit meiner Kinder zu fördern und zu wertschätzen, sondern unser Reichtum mitunter als problematisch empfunden wird.
Wen meine ich mit uns? „Uns“ das sind Kinder von zweisprachigen Südtiroler Familien (italienisch und deutsch), das sind Kinder von mehrsprachigen Ehen, wo ein Partner aus einem anderen Land dazugekommen ist (Frankreich, Spanien, Griechenland, Mali, Brasilien, usw.), oder Kinder aus Migrantenfamilien (Marokko, Pakistan, Rumänien, China, usw.). In Bozen sind das ganz schön viele, aber interessanterweise gibt es keine eindeutige Statistik dazu. Wir erfassen lediglich Daten zu im Ausland gebürtigen Kindern, oder Kinder mit einer anderen Staatsbürgerschaft, Kindern von Müttern einer anderen Staatsbürgerschaft oder Daten aus Sprachgruppenzugehörigkeitserklärungen.
 
 
 
Als ich in meinem Kommentar unter dem Artikel von Fabio Gobbato „von einem Sturm im Wasserglas“ sprach, wollte ich eigentlich genau darüber sprechen.
Wieviele Kinder in diesem Meer von Zahlen sind gerade erst angekommen und werden in die deutschsprachige dritte Mittelschule eingeschrieben und wohl unverschuldet ins kalte Wasser geworfen? Wieviele italienisch sozialisierte Kinder von zweisprachigen, italienischsprachigen oder Migrantenfamilie werden in die deutschsprachige Schule eingeschrieben, ohne vorher den deutschsprachigen Kindergarten besucht zu haben? Ich glaube sehr wenige. Ihr Sprachniveau ist wahrscheinlich nicht immer gut, häufig können sie sich nicht gut mündlich ausdrücken, aber deren Sprachverständnis ist meist sehr weit entwickelt. Die Elternhäuser haben sich bewusst für die deutsche Schule entschlossen und in den allermeisten Fällen alles denkbare versucht, um ihre Schützlinge auf diesem Weg so gut wie nur möglich zu fördern. Diese Eltern wünschen sich auf jeden Fall nicht ein Elterngespräch in dem der Teufel an die Wand gemalt wird und ihnen ernsthaft durch die Blume gesagt wird, was für unverantwortliche Ignoranten sie doch seien, ihr Kind zu einem zukünftigen schulischen Desaster zu verdammen.
Meine Kinder besuchen die deutschsprachige Schule. Ihr werdet euch jetzt denken, aha die Kinder vom mehrsprachigen Akademiker Benedikter, werden sicherlich keine Schwierigkeiten haben. Falsch gedacht. Denn nicht unsere Kinder haben Schwierigkeiten, sondern die Schule, das System und die Herkunftsfamilien haben Schwierigkeiten, bzw. unterschiedliche Bedürfnisse. Sehr häufig gibt es sogar unterschiedliche Bedürfnisse zwischen Kindern aus der selben Familie. Unterschiede und andere Dynamiken im Sprachgebrauch und -erwerb. In einer komplexen Gesellschaft müssen Bedürfnisse unterschiedlich angegangen und auf menschlicher Ebene behandelt werden. Aber das kann nur gelingen, wenn strukturelle organisatorische Weichen von der Politik gestellt werden. Ich bin der Meinung, dass eine zusätzliche zweisprachige Schule der richtige Weg wäre, aber ich möchte mich darauf nicht versteifen, denn sonst wird mir ein ideologischer Zugang vorgeworfen. Anderseits sind in den letzten 30 Jahren keine relevanten Verbesserungen in der gelebten Zweisprachigkeit erzielt worden. Wir treten gesellschaftlich im Leerlauf. Anscheinend fehlt den Entscheidungsträgern der Mut und die Ideen, weshalb sie jetzt vor den Wahlen mit aufgeblähter Brust einfallslose Slogans leiern.
 
 
Anscheinend fehlt den Entscheidungsträgern der Mut und die Ideen, weshalb sie jetzt vor den Wahlen mit aufgeblähter Brust einfallslose Slogans leiern.
Momentan gibt es in Südtirol keine wirklich Perspektive für uns mehrsprachige Eltern. Von Seiten der deutschsprachigen Schule werden immer abstruser und illegale Einstufungsmethoden und inkompetente Beratungen verpflichtend angeboten, um die Familien und die Kinder zu (be)werten, mit dem Ergebnis sie zu verunsichern. Ich behaupte nicht, dass dies gewollt und von den Lehrpersonen bewusst eingesetzt wird, es ist vielmehr ein trauriges Resultat der Hilflosigkeit. Es entstehen Hürden und Mauern, die es schon im Einstieg verhindern, dass Inklusion gelingt. Es sind am Ende eben solche bedauerliche Mitteilungen, wie jene die von Gobbato vielleicht etwas zu plakativ dargestellt wurde, die eine sorglose vertrauenswürdige Beziehung zwischen mehrsprachigen und anderssprachigen Eltern und den Lehrpersonen verhindern. Ich bedaure zutiefst, dass wegen dieser Zeilen sich viele gute Lehrpersonen und die Direktorin womöglich angegriffen fühlen (mein Sohn fühlt sich sehr wohl in der Stifter), aber ich schreibe diese Zeilen trotzdem, denn das politische System erschwert ihre Arbeit und gaukelt ihnen einfache Lösungen vor.
 
Max Benedikter ist Arzt, Vater von zwei schulpflichtigen Kindern und Präsident der Genossenschaft Demos 2.0, dem Herausgeber von Salto.bz.