Wirtschaft | Salto Paper

Bauernwund

Die organisierte Bauernlobby hat in den letzten zehn Jahren überproportional an Arroganz, Macht und Einfluss zugenommen. Diese Entwicklung gefährdet den sozialen Frieden.
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Foto: Othmas Seehauser
Es ist rund 15 Jahre her. Der Autor dieser Zeilen leistete damals seinen „Zivildienst“ ab. Zehn Jahre lang als Mitglied einer grün-alternativen Liste im Gemeinderat Eppan. Auf einer Gemeinderatssitzung sagte ich damals einen Satz, der fast zum Tumult geführt hat. „Es gibt in Südtirol zwei Kategorien von Menschen: Normale Bürger und Bauern“, lautete die Aussage.
Es war offensichtlich eine Provokation, die in den vergangenen Jahren aber doch immer mehr auch der Realität entspricht.
Es bedarf vorweg einer Präzisierung: Ich habe nichts gegen den Bauernstand. Zu meinen engsten Freunden gehören einige Bauern und ich halte 90 Prozent der Südtiroler Bäuerinnen und Bauern und ihre Arbeit für einen Segen für dieses Land.
Es geht hier ausschließlich um die organisierte und mächtige Bauernlobby, allen voran den Südtiroler Bauernbund, die in diesem Land weit mehr zu sagen haben, als ihr Anteil am Südtiroler Bruttosozialprodukt und ihre verhältnismäßige numerische Stärke (ca. 6 Prozent) ausmacht.
Innerhalb der SVP gibt es keine Lobby, keine Organisation, keine Richtung, die mehr Einfluss hat als der Südtiroler Bauernbund. Dieser Zustand gehört zur politischen und sozialen Geschichte dieses Landes.
Diese nachhaltige Achsenverschiebung in der Politik rüttelt am Selbstverständnis der organisierten Bauernlobby.
Doch in den vergangenen zehn Jahren hat sich die Situation noch einmal deutlich zugespitzt. Zum einen sind die Arroganz und die Präpotenz der organisierten Bauernschaft immer zügelloser geworden und zum anderen schafft es die Politik immer weniger, den teilweise fast schon unmoralischen Forderungen dieser Interessengemeinschaft Einhalt zu gebieten.
Geht diese Entwicklung so weiter, könnte es schon bald zu einem gesellschaftlichen Verteilungskampf kommen, an dessen Ende vor allem Tausende rechtschaffene Bäuerinnen und Bauern die Leidtragenden sein könnten.
 
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Geht diese Entwicklung so weiter, könnte es schon bald zu einem gesellschaftlichen Verteilungskampf kommen, an dessen Ende vor allem Tausende rechtschaffene Bäuerinnen und Bauern die Leidtragenden sein könnten.
Es gibt in diesem Land kaum ein Gesetz, eine Bestimmung oder eine Verordnung, bei denen es für die Bauern nicht eine Ausnahme gibt. Nein, das ist nicht übertrieben. Schauen Sie sich einfach einmal das neue Raumordnungsgesetz an.
Ganz zu schweigen von den Steuern.
Bauern zahlen keine Steuern. Null, nichts, nada!
Hier muss man vorausschicken, dass diese Steuergesetzgebung vom Staat ausgeht. Doch das Land tut alles, um diese Erleichterungen in seinem Bereich zu rezipieren. Siehe GIS.
Allein den Satz, dass Bauern keine Steuern zahlen, darf man in diesem Land erst gar nicht in den Mund nehmen. Der Südtiroler Bauernbund fährt dann mit einer Mannschaft von Experten auf, die wortreich und mit Zahlen und Formel erklären, was ein Bauer an Mehrwertsteuer etc. abführen muss, weil er „die Mehrwertsteuer nicht absetzen kann“.
Doch das Ganze ist eine bewusste Augenauswischerei. Tatsache ist, dass die Steuerordnung es den Bauern erlaubt, an der Mehrwertsteuer sogar zu verdienen – in jedem Fall aber können sie, wie alle anderen Mehrwertsteuerzahlenden auch, die Neutralität der Steuer in Anspruch nehmen.
 
Vor allem aber zahlen Bauern keinen Cent an Einkommenssteuer. Das gilt – und dort dürfte es durchaus verständlich sein – für den kleinen Bergbauer, der im Jahr vielleicht 25.000 Euro verdient, genauso wie für den Großbauern im Tal, der Hunderttausende Euro an Gewinn erwirtschaftet.
In der Landwirtschaft ist brutto netto. Wie es in der Wirklichkeit ausschaut, zeigt mir ein Bekannter transparent auf. Er ist als Angestellter in einer leitenden Position tätig und bearbeitet als Nebenerwerbsbauer rund 10.000 Quadratmeter an Reben. In seinem Beruf verdient er knapp 70.000 Euro brutto im Jahr. Er arbeitet in seiner Freizeit mit Freude und viel Einsatz in seinem Weingut. In guten Jahren erzielt er aus seinen Einbringungen bzw. Verkäufen an die Genossenschaft einen Erlös von 35.000 Euro. Dazu kommen rund 10.000 Euro vom Stromverkauf aus einer Photovoltaikanlage, die er auf einem seiner Schuppen als sogenannte landwirtschaftliche Nebentätigkeit installiert hat. Macht mit Abzug der Kosten rund 40.000 Euro. „Völlig steuerfrei, deshalb ist es am Ende gleich viel, wie ich in meinem Beruf verdiene“, sagt er offen.
 
So läuft es.
 
Welche Perfektion und Perversion dieses System in Südtirol inzwischen erreicht hat, wird am sogenannten „Urlaub auf dem Bauernhof“ deutlich. Es ist eine Einrichtung, die vordergründig als sinnvoller finanzieller Ausgleich für einen Berufsstand gedacht war, der sich schwer tut, zu überleben. Bauern (ursprünglich vor allem Bergbauern) sollen durch einen Nebenerwerb als Tourismusdienstleister über die Runden kommen.
Unter dem Wohlwollen und der Anleitung des Bauernbundes hat man dieses System aber inzwischen völlig pervertiert. Unter dem Signum „Urlaub auf dem Bauernhof“ und dem Label „Roter Hahn“, das sinnigerweise dem Bauernbund gehört, sind Betriebe entstanden, die mit einem Bauernhof so viel zu tun haben wie ein Beichtstuhl mit einem Bordell.
Ich warte nur darauf, dass ein kritischer Geist auf die Idee kommt, in meiner Heimatgemeinde Eppan – vielleicht zusammen mit der Nachbargemeinde Kaltern – ähnlich der Burgen- oder See-Runde eine „Urlaub-auf-dem-Bauernhof-Runde“ anzubieten. Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern würde die Kinnlade herunterfallen, welche Luxustempel offiziell und völlig legal in diese Kategorie fallen.
Die internationale Breitenwirkung einer solchen Aktion käme der publizistischen Schlagkraft der Anti-Pestizid-Aktion des Münchner Umweltinstituts gleich. Und würde Millionen von IDM-Geldern nutzlos werden lassen, die für das authentische Südtirol ausgegeben werden.
„Beim Urlaub auf dem Bauernhof müssen die Bauern aber Steuern zahlen!“ – Ich höre schon den Einwand der Bauernlobby.
Es ist mehr als nur ein Symptom, dass es die mächtige Bauernlobby sogar geschafft hat, dieses perverse System selbst nach dem Bettenstopp aufrecht zu erhalten.
Aber auch das ist zum Großteil eine Chimäre. Beim „Urlaub auf dem Bauernhof“ gibt es für die Betreiber einen Pauschalsteuersatz: Als Einkommen gelten 25 Prozent des deklarierten Umsatzes, und darauf fallen dann die Einkommensteuern an. Wohlgemerkt: 25 Prozent des Umsatzes, den die Bauern selbst angeben.
Wie das in der Realität dann ausschaut, darf ich Ihnen an einem konkreten Beispiel aufzeigen. Ausländische Freunde von mir haben in der Nähe von Bozen „Urlaub auf dem Bauernhof“ gemacht. Sie suchten sich einen Hof aus, der das Bauernbund-Qualitätssiegel „Roter Hahn“ trägt. Am Ende wollten sie per Kreditkarte bezahlen. Ihnen wurde aber höflich und bestimmt erklärt, dass das nicht gehe. Man akzeptiere nur Barzahlungen. Meine Freunde verlangten daraufhin eine Rechnung. Diese wurde ausgestellt. Auf einem Getränkeblock.
 
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Offizielle Rechnung eines „Roten Hahn“-Betriebes: Bauern zahlen keine Steuern.
 
 
Genau das ist aber kein Einzelfall. Denn es gibt kaum Kontrollen in diesen Betrieben.
Dass diese Vorgangsweise zu einer himmelschreienden Ungleichbehandlung gegenüber den Hoteliers führt, weiß man nur zu gut. Aber auch diese – ansonsten fast gleich – mächtige Lobby schweigt dazu. Aus einem einfachen, utilitaristischen Grund: Zu viele Hoteliers „verkleiden“ sich inzwischen als Bauern, um über die „Urlaub auf dem Bauernhof“-Schiene noch einige Suiten oder Zimmer dazu bauen zu können.
 
Und die Landespolitik? Die SVP lässt diese Perversion nicht nur zu, sondern fördert sie auch noch stillschweigend. Auch das lässt sich an einem prominenten Beispiel festmachen.
Waltraud Deeg, Landeshauptmannstellvertreterin und SVP-Vizeobfrau und ihr Ehemann Wilfried Taschler (er ist der Besitzer) haben jahrelang in Niederdorf auf ihrem Hof „Urlaub auf dem Bauernhof“ angeboten. Alles völlig legal.
Sie Juristin und zweithöchste Politikerin in diesem Land, er Gemeindesekretär und öffentlicher Beamter, der vor vielen Jahren das genehmigte Projekt eines Bauernhofes gekauft und den Hof errichtet hat. Als Nebenerwerb des Nebenerwerbs hat man dort Jahre lang „Urlaub auf dem Bauernhof“ angeboten. Erst als SALTO diese Hintergründe öffentlich gemacht hat, hat Wilfried Taschler freiwillig die Lizenz zurückgegeben.
Man braucht kein Einstein zu sein, um zu merken, dass hier etwas nicht stimmt. Und allein dieser Fall macht deutlich, zu welch absurden Auswüchsen dieses System geführt hat.
Dass Waltraud Deeg Soziallandesrätin und eine Spitzenvertreterin der SVP-Arbeitnehmer ist und niemand innerhalb der SVP diese Situation bis heute zum Thema gemacht hat, ist nur ein Zeichen, wie weit die komplizenhafte Omertà in der Sammelpartei inzwischen gediehen ist.
Der Bauernbund ist längst außer Kontrolle geraten. Die Forderungen sind zügellos geworden. Was zählt, sind ausschließlich die eigenen finanziellen und politischen Interessen.
 
Der Bauernbund ist zu einer Partei in der Partei geworden, die Gift gegen alle Schädlinge verspritzt, die ihr im Wege stehen. So kann man es sich erlauben, mit zwei der wichtigsten Regierungsmitgliedern – Landwirtschaftslandesrat Arnold Schuler und Natur- und Raumordnungslandesrätin Maria Hochgruber Kuenzer –, die wohlgemerkt beide Bauern bzw. Bäuerinnen sind, erst gar nicht mehr zu reden und sie regelmäßig bei Versammlungen und in der Öffentlichkeit vorzuführen.
Diese Gangart hat in den Landtagsabgeordneten Franz Locher, Sepp Noggler und dem Bauernbund-Angestellten Manfred Vallazza in der SVP-Fraktion willige Erfüllungsgehilfen, die den Wunschzettel der Bauernlobby im Landtag in Gesetze, Bestimmungen und Ausnahmen gießen.
 
 
 
Es ist dabei in den vergangenen zehn Jahren in der Politik zu einem entscheidenden Paradigmenwechsel gekommen.
Luis Durnwalder stammt aus einer Bauernfamilie, er ist im Bauernbund politisch groß geworden und er kannte als ehemaliger Bauernbund-Direktor jeden Zentimeter des Stalles Südtirol. Durnwalder hat sich Zeit seines Lebens für die Südtiroler Bauern eingesetzt und vieles von dem, was zu den heutigen Missständen geführt hat, ist auf seinem Mist gewachsen.
Gleichzeitig hatte der Langzeitlandeshauptmann aber auch die soziale Kompetenz, die politische Autorität und das Hintergrundwissen, die Stiere des Bauernbundes im Zaum zu halten. Landeshauptmann Durnwalder hat es verstanden, die Forderungen der Bauernlobby still und beharrlich umzusetzen, was den Bauernbund zur glücklichen Vorfeldorganisation der Regierungspartei werden ließ.
 
Mit Arno Kompatscher geht plötzlich aber vieles nicht mehr. Sowohl Kompatscher als auch der amtierende Landesrat für Landwirtschaft Arnold Schuler sind gegen den erklärten Willen des Bauernbundes in ihre politischen Ämter gekommen. Beide lassen sich nicht zu Befehlsempfängern der mächtigen Bauernlobby degradieren. Das macht die Herrenbauern mehr als nur nervös.
Es gibt in diesem Land kaum ein Gesetz, eine Bestimmung oder eine Verordnung, bei denen es für die Bauern nicht eine Ausnahme gibt.
Diese nachhaltige Achsenverschiebung in der Politik rüttelt am Selbstverständnis der organisierten Bauernlobby. Längst schlägt der Bauernbund wie ein angeschossener Bär wild um sich. Das Klima auf den aktuellen Bauernbund-Versammlungen macht das deutlich: Hier wird die amtierende Landesregierung regelrecht hingerichtet, die Bauernschaft applaudiert dazu und die Bauernbundführung lacht sich in Fäustchen. Wissend, dass man in der Monopolpresse immer dann, wenn es gegen das Duo Kompatscher/Schuler geht, breitenwirksame Schützenhilfe zu erwarten hat.
Dabei schießen Siegfried Rinner & Co. mit ihren immer unverschämteren Forderungen so mächtig über das Ziel hinaus, dass die Kollateralschäden weit nachhaltiger sein werden, als heute angenommen. Das Schlimmste aber ist: Sie merken es nicht einmal.