Politik | Kommentar

Empörendes Schweigen

Das offizielle Erklärungskonstrukt für den Masken-Skandal erweist sich beim Lesen von „Das Geschäft mit der Angst“ als Kartenhaus. Doch statt Empörung herrscht Schweigen.
Das Geschäft mit der Angst
Foto: Privat

Südtirol kann eines ganz wunderbar: Empörung. Jeder Anlass ist recht zum Schimpfen, vor allem wenn Emotionen im Spiel sind oder bewusst ins Spiel gebracht werden. Vielleicht liegt hier die Erklärung dafür, dass sich die genuine Südtiroler Empörung nach dem jüngst erschienenen Buch, in dem die Journalisten Franceschini und Oberhofer „die Fakten und Hintergründe zum Masken-Skandal“ zutage fördern, in Grenzen hält.

Auf 600 Seiten finden sich minutiöse Details darüber, wie in den ersten Monaten der Corona-Pandemie ab März 2020 versucht wurde, Schutzmaterialien für sensible Einrichtungen wie Krankenhäuser und Seniorenwohnheime in Südtirol, aber auch für Kliniken und Rettungsorganisationen im Ausland zu ordern – und dabei massig Zeit und Energie investiert wurde, um ein privates Unternehmen ohne jegliche Erfahrung in der Beschaffung von medizinischer Ausrüstung, aber guten Drähten in viele Winkel des Politik- und Sanitätsbetriebs, aus einem selbst verschuldeten Verlustgeschäft mit Masken und Schutzanzügen zu manövrieren, die, so einer der unzähligen Gutachter, die die Materialien für untauglich erklärt haben, „Schrott“ sind. Ohne Zweifel, ohne Skrupel, ohne Gedanken an das Sanitätspersonal, das die ineffizienten Produkte verwenden würde – um sinngemäß aus den Ermittlungsakten zu zitieren.

Das Geschäft mit der Angst
Präsentation am Dienstag, 20. September: Wer nichts vom Buch wissen will, sollte auch die Reaktionen darauf nicht für bare Münze nehmen.

 

Welches Bild sich nach der Lektüre ergibt? Während die Menschen im Land – wohl zurecht – davon ausgehen durften, dass sich alle Anstrengungen zu Beginn der Pandemie darauf richteten, diese nie da gewesene Krise zu managen, haben öffentliche Verantwortungsträger einen massiven Aufwand betrieben, um:

  • sich mit einer privaten Firma zu beratschlagen und abzusprechen, um ihr nachweislich nutzlose Schutzausrüstung abzukaufen

  • zu vertuschen, dass es negative Gutachten gibt

  • eine weitere, weit größere Bestellung abzusegnen – obwohl bekannt war, dass die erste Bestellung nichts taugte

  • Abnehmer im Ausland zu täuschen

  • an ein irgendwie positives (Pseudo-)Gutachten für die mangelhaften Produkte zu kommen und dafür Kontakte bis auf die höchsten Ebenen auszunutzen versuchten

  • Beamtinnen, die auf die Unregelmäßigkeiten hinweisen und nicht mitspielen wollen, unter Druck zu setzen

  • Zeugen des U-Ausschusses zu manipulieren

  • öffentliche Ausschreibungen so hinzubiegen, dass die private Firma ihren „Schrott“ am Ende doch noch los wird (was wiederum an geflissentlichen Beamten scheiterte)

  • einen Journalisten, der darüber berichtet, zum Schweigen zu bringen (vergeblich)

Die Verwaltung wird zur Komplizin dieser Firma, indem man gemeinsam und mit vielen Tricks versucht, die Masken durch irgendeinen TÜV zu schleusen. Mit allen Mitteln, mit sauberen und mit weniger sauberen.
(aus dem NAS-Ermittlungsbericht)

Keine Zeit für 600 Seiten? Spoiler: Es reicht, eine x-beliebige Seite aufzuschlagen – jede einzelne birgt Empörungs-Potential. Der Schreibstil, die Autoren gefallen nicht? Spoiler: Es reicht, die zitierten Passagen aus dem Bericht der ermittelnden Beamten der Carabinieri-Einheit NAS und die abgehörten Telefongespräche zu lesen. Die Geschichte aus dem Buch ist genau das: Geschichte?
Argumente, keinen Blick in das Buch zu werfen, sind zuhauf laut geworden. Natürlich steht es jedem frei, es nicht zu lesen, nicht wissen zu wollen. Doch dann sollten in der Beurteilung auch die Reaktionen darauf nicht für bare Münze genommen werden.

Ex-Gesundheitslandesrat Thomas Widmann, Landeshauptmann Arno Kompatscher, Sabes-Spitze und OberAlp-Management wurden bislang nicht müde, zu untermauern: Es habe damals ein Ausnahmezustand geherrscht; es habe keine Alternative zu OberAlp gegeben, um an Masken und Schutzanzüge zu kommen; man habe einzig helfen wollen. Doch dieses Erklärungskonstrukt fällt bei der Lektüre in sich zusammen wie ein Kartenhaus: Es gab andere Kanäle und konkrete Angebote für Schutzmaterialien – die wurden vom Sanitätsbetrieb ignoriert. Hätte man tatsächlich helfen wollen, hätte man sich dann nicht darum bemüht, intakte, zertifizierte Masken und Schutzanzüge zu besorgen, anstatt händeringend Gutachten für die wertlosen Materialien, von denen der Handelspartner in China bei einigen sogar ausdrücklich darauf hinwies: „This is for ordinary people, not for the medical workers in hospital, please noted.“?

Schadenersatz oder die Rücknahme der nicht verwendbaren Utensilien haben weder der Sanitätsbetrieb noch die politisch Verantwortlichen von OberAlp gefordert. Auch eine Art Hilfe.

S. 443: „Die Verantwortlichen im Sanitätsbetrieb gehen (…) nicht gegen die Firma OberAlp vor, die ihnen schad- bzw. mangelhaftes Schutzmaterial geliefert hat, sondern die Verwaltung wird zur Komplizin dieser Firma, indem man gemeinsam und mit vielen Tricks versucht, die Masken durch irgendeinen TÜV zu schleusen. Mit allen Mitteln, mit sauberen und mit weniger sauberen.“ (aus dem NAS-Ermittlungsbericht)

Das Geschäft mit der Angst
Kein Anlass zur Empörung? Es reicht, eine x-beliebige Seite aufzuschlagen.

 

Selbst wenn manches von dem, was die Autoren nachzeichnen, keine strafrechtliche Relevanz haben mag – das Bild, das sich ergibt, ist beschämend. Zwischen all den zum Teil schwindelerregenden Vorgängen sucht man eine Komponente vergebens: Emotionen. In keiner Konversation, weder mündlich noch schriftlich, äußern die – vielen involvierten – Protagonisten aus Politik und Sanität Sorge, Zweifel oder Skrupel ob der Tatsache, dass wertlose Schutzausrüstung an die Menschen ausgegeben wird, die täglich um das Leben der Covid-Betroffenen kämpfen – unter größtem Risiko für das eigene: Ärztinnen, Pfleger, Heimpersonal. Gerade deshalb müsste die Empörung deutlich größer sein. Stattdessen brilliert Südtirol in diesen Tagen in einer weiteren seiner Paradedisziplinen: Schweigen.

Für das dominante Medienhaus Athesia ist das Buch bislang nicht erschienen. Und mit ihm schweigt die Südtiroler Volkspartei. Welche Konsequenzen folgen werden, bleibt abzuwarten. Sabes-Generaldirektor Florian Zerzer behauptet, „nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt“ zu haben. Eine Aussage, die sämtliche Alarmglocken schrillen lassen könnte: Ein öffentlicher Spitzenfunktionär, der meint, Vertuschungs-, Einschüchterungs- und abenteuerliche Ankaufmanöver zum Nachteil der öffentlichen Hand und Menschen seien Taten der Aufrichtigkeit, ist fehl am Platz. Doch die Landesregierung hält an Zerzer fest und beabsichtigt wohl, seinen Auftrag zu verlängern. Die Zeichen, dass der „Masken-Skandal“ überhaupt Folgen haben wird, stehen schlecht. Beim Wahlkampfauftakt der Volkspartei am Samstag in Völs hat Arno Kompatscher eine klare Losung ausgegeben: „Wir brauchen uns für nichts entschuldigen.“