Politik | Landwirtschaft

„Wir bewegen uns auf eine Sackgasse zu“

Für Koen Hertoge, PAN-Europe-Präsident in Brüssel, ist die versenkte Pestizid-Verordnung der Europäischen Union eine verpasste Chance und ein Sieg der Industrielobby.
Koen Hertoge
Foto: privat
  • SALTO: Herr Hertoge, wie beurteilen Sie es, dass die Pestizid-Verordnung diese Woche im EU-Parlament abgelehnt wurde?

    Koen Hertoge: Das Ergebnis ist sehr enttäuschend, weil es für die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft in Europa und die Gesundheit der Bevölkerung große Fortschritte bedeutet hätte. Hinter der Verordnung steckt viel Arbeit und es gab viele Sitzungen mit allen Parteien, mit Vertretungen der Landwirtschaft und Bevölkerung. Zwei europäische Bürgerinitiativen forderten, dass zum einen Glyphosat verboten und zum anderen der gesamte Pestizideinsatz in Europa reduziert wird. Diese Stimmen aus der Bevölkerung hat man schlicht und einfach ignoriert, das ist ein politisches Versagen. Es ist eigentlich nichts mehr davon übrig, was von Ursula von der Leyen (Präsidentin der EU-Kommission, Anmerkung d. R.) vor einigen Jahren mit dem Green Deal angekündigt wurde. Auch die Pestizid-Verordnung wäre Teil des Green Deals. Es ist zu einem inhaltslosen Paket geworden. 

    Mit der Pestizid-Verordnung wurde befürchtet, dass den Bauern die Geschäftsgrundlage entzogen wird.

    Die Verordnung sieht zwar vor, dass Pestizide teilweise verboten und reduziert werden, aber stattdessen andere weniger gefährliche Pflanzenschutzmittel verwendet werden können. Diese kommen bereits in der biologischen Landwirtschaft zum Einsatz. Dass es funktioniert, zeigen viele Bio-Betriebe, auch in Südtirol. In Österreich werden bereits schon über 25 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Flächen biologisch bewirtschaftet. Die Politik traut sich nicht diesen Weg zu gehen, man fällt damit der biologischen Landwirtschaft eigentlich in den Rücken.

    Da muss man sich die Frage stellen, ob sie Beruf verfehlt haben. 

    Also war die Niederlage der Pestizid-Verordnung ein Sieg der Pestizidindustrie?

    Einige europäische Parlamentarier der Europäischen Volkspartei, wie Herbert Dorfmann, haben ein Nahverhältnis zur Pestizid- und Chemieindustrie und agieren entsprechend mit ihnen, sie möchten weitermachen wie bisher. Dieser Prozess wird durch Fehlinformationen und Angstmache vorangetrieben. Beispielsweise wurde behauptet, dass durch die Reduktion der Pflanzenschutzmittel die Ernährungssicherheit gefährdet sein könnte. Die Ernährungssicherheit ist definitiv gefährdet, wenn weiterhin die Böden verseucht werden. Zudem werden Spielplätze und Sportanlagen kontaminiert, wie unsere Studien auch in Südtirol gezeigt haben. Wir bewegen uns so auf eine Sackgasse zu. 

  • Bio-Landwirtschaft: Die Pestizid-Verordnung hätte dem ökologischen Sektor klare Vorteile gegeben. Foto: Salto.bz
  • Offenbar konnten die Argumente gegen die Pestizid-Verordnung überzeugen.

    Es werden so lange Unwahrheiten verbreitet, bis eine kritische Menge im EU-Parlament daran glaubt. Der Vorschlag der EU-Kommission zur Pestizid-Reduktion wurde mit vielen Parteien im Vorfeld besprochen, die ihre Zustimmung signalisierten. Bei der Abstimmung haben dann aber von 627 Anwesenden 207 Abgeordnete dafür und 299 dagegen gestimmt, 121 haben sich enthalten. Da muss man sich die Frage stellen, ob sie Beruf verfehlt haben. Denn Parlamentarier sollen ihre Stimme abgeben.

    Welche Folgen hätte es für die Landwirtschaft, wenn die Pestizid-Verordnung durchgegangen wäre?

    Das wäre eine richtungsweisende Entscheidung gewesen, um zu zeigen, dass die Landwirtschaft mit der Natur und nicht gegen die Natur arbeitet. Das ist der springende Punkt. Das Wort ‚Pestizid‘ bedeutet, dass das Mittel Organismen töten kann. Hier braucht es ein Umdenken, deshalb sieht die Pestizid-Verordnung eine Übergangsperiode bis 2030 vor, auch 2032 oder 2035 wäre denkbar. Hauptsache es geht in eine Richtung, bei der mit und nicht gegen die Natur gearbeitet wird. Vor der Entstehung von Pflanzenschutzmittel haben wir über Jahrzehnte, Jahrhunderte und Jahrtausende mit der Natur gearbeitet.

  • Schreckgespenst oder Vorreiter?: Die Pläne der EU-Kommission werden kontrovers diskutiert. Foto: Jai79

    Die Bio-Landwirtschaft hat allerdings weniger Erträge, dadurch sind die Preise für Bio-Lebensmittel teurer – sollen hier Verbraucherinnen und Verbraucher draufzahlen?

    Das ist natürlich ein wichtiger Teil der Diskussion. Es hängt davon ab, was man als Verbraucher und Verbraucherin unterstützen will und wie die Berechnung der Kosten erfolgt. Wenn wir nämlich die gesundheitlichen (es können Krankheiten wie zB. Krebs entstehen) und ökologischen Folgekosten durch den Einsatz von chemisch-synthetischen Pestiziden in den Preis der Lebensmittel einkalkulieren würden, dann müssten die konventionell hergestellten Lebensmittel teuer als Bio-Produkte sein. Leider wird diese Kalkulation nicht gemacht. Bei der Herstellung von biologischen Lebensmitteln kommen keine chemisch-synthetischen Pestizide zum Einsatz und dadurch gibt es die gesellschaftlichen Folgekosten nicht (oder in wesentlich geringerem Ausmaß). Erst dann wäre ein richtiger Vergleich zwischen konventionell und biologisch hergestellten Lebensmitteln möglich.

     In der Landwirtschaft hat man aber noch Hausaufgaben zu machen. 

  • Wie beurteilen Sie den Pestizidstreit in Mals?

    Die Initiative der pestizidfreien Gemeinde in Mals ist zu begrüßen und ich gehe davon aus, dass der Rekurs vor dem Staatsrat demnächst behandelt wird. Auch die Farm to Fork-Strategie der EU geht in diese Richtung, um lokale Kreisläufe und die ökologische Landwirtschaft zu stärken. Das, was der Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher mühlenartig zu Nachhaltigkeit predigt, liegt als Beispiel also direkt vor der Haustür. Kompatscher und Landwirtschaftslandesrat Arnold Schuler hätten das Projekt finanziell unterstützen können. Damit hätte Kompatscher, anstatt mit leeren Händen nach Brüssel zu fahren, ein Beispiel für Nachhaltigkeit vorstellen können. Aber wie auch bei der Pestizid-Verordnung will man solche Projekte um jeden Preis bremsen. Das ist schade. 

    Der kürzlich in Bozen vorgestellte OECD-Report für Südtirol zeigt, dass eine der Herausforderungen für Nachhaltigkeit die Auswirkungen der Landwirtschaft auf die Umwelt sind. 

    Das Ergebnis war zu erwarten. Südtirol ist in vielen Bereichen fortschrittlich unterwegs, beispielsweise die Elektrifizierung der Vinschger Bahn. In der Landwirtschaft hat man aber noch Hausaufgaben zu machen. Als Nicht-Südtiroler sage ich, dass Südtirol ein Land mit sehr vielen kompetenten Leuten ist, etwa bei der Eurac oder der Laimburg. Diese Leute muss man ins Boot holen, um die Forschung zu ökologischer Landwirtschaft zu erhöhen. Dann könnte man diese Nachhaltigkeitsziele sicher erreichen und der OECD-Report würde bezüglich Landwirtschaft anders ausschauen.