Sport | Spielanalyse

Die Offensive gewinnt Spiele!

Der FC Südtirol verliert gegen Venezia 0:3. Das deutliche Ergebnis täuscht: Defensiv stand der FCS gut, aber eigene Tore - Fehlanzeige.
Tait und Scaglia gegen Gytkjaer
Foto: Ufficio Stampa FCS - Foto Bordoni
  • "Ah! Venedig!" - eine Stadt im Wasser. Auf über 100 Inseln erbaut. Auf einer dieser 100 Inseln steht das Fußballstadion Pier Luigi Penzo. Man erreicht das Stadion zu Fuß, entlang der Kanäle, über die zahlreichen Brücken der Lagunenstadt, vorbei am Arsenale. Oder mit dem Boot - surreal, fabelhaft. Umso traumhafter, wenn man danach auch noch mit etwas in der Tasche nach Hause fahren kann. 3 Punkte zum Beispiel: Der FC Südtirol konnte nämlich in der Hinrunde 3 Punkte aus Venedig entführen. Der erste Sieg unter Trainer Federico Valente. 

    Die Vorzeichen waren also gut, umso mehr, als dass wieder etwas Ruhe eingekehrt ist beim FC Südtirol. Nach dem Auswärtssieg gegen Ascoli ließ auch der Druck auf Valente wieder etwas nach. 

  • Wie im Hinspiel zeigten sich beide Mannschaft ähnlich ein- und aufgestellt: Sowohl der FC Südtirol, als auch die Gäste formierten sich im 3-5-2 bzw. 5-3-2. Beide Mannschaften pressten beim gegnerischen Abstoß hoch und mannorientiert, ließen sich dann aber etwas zurückfallen und verteidigten dann - sobald das Pressing überspielt wurde - tiefer in der eigenen Hälfte. Tiefer und passiver.

  • Südtirol im Pressing: Den gegnerischen Abstoß stellten beide Mannschafen sehr hoch zu (hier Südtirol in weiß). So sollte das geordnete Spiel nach vorne unterbunden werden. Foto: SALTO
  • Zurückfallen in den 10er-Raum

    Venezia hatte grundsätzlich mehr Ballbesitzanteile, zirkulierte den Ball geduldig in den eigenen Reihen und wartete auf den richtigen Moment, um mit Zuspielen in den Zehnerraum die Angriffe auszulösen. Dem Stürmerstar der Gäste, Joel Pohjanpalo, kam dann die Aufgabe zu, sich in diesen Raum zurückfallen zu lassen, die Zuspiele dann abzulegen oder direkt den in die Tiefe startenden Mitspielern weiterzuleiten.

  • Pohjanpalo im Zehnerraum: Die Angriffe der Gäste (dunkle Trikots) liefen meistens nach demselben Muster ab: Vertikales Anspiel in den Zehnerraum auf Pohjanpalo, der sollte dann ablegen oder weiterleiten. Foto: SALTO
  • Dieser taktische Ansatz war vielversprechend: Die strategische Wichtigkeit des Zehnerraums (oder "Zwischenlinienraumes") ist den SALTO-Leser*innen ja hinlänglich bekannt. Die Bewegungen des Angriffpaares Pohjanpalo-Bjarkason (Letzterer stieß vom Mittelfeld in die Spitze vor) waren sehr gut aufeinander abgestimmt und sorgten vor allem in der ersten Halbzeit für große Gefahr.  

  • Timing ist alles!

    Das war eine Frage des Timings: Sowohl Zuspiele in diesen Raum (und die Folgebewegungen), zumal er dynamisch besetzt wird, müssen zum richtigen Zeitpunkt kommen, als auch die Abwehraktion der verteidigenden Mannschaft muss dieses Zuspiel vorwegnehmen - es antizipieren. Der FCS war auf diese Bewegungen und Angriffsmuster nämlich sehr wohl eingestellt, es mangelte den Innenverteidiger (primär Andrea Masiello) zu Beginn des Spiels allerdings am korrkten Timing. So verpasste er häufig den richtigen Zeitpunkt, Pohjanpalo in den Zehnerraum zu verfolgen, kam dann zu spät, um die Folgeaktion blocken zu können und öffnete zudem eine Lücke, in die Bjarkason stoßen konnte. Das wurde mit Ende der ersten Halbzeit besser, in der zweiten umso mehr: Der FCS musste dann nämlich mehr riskieren (0:1-Rückstand zur Pause) und so verfolgten auch die Innenverteidiger die Gegenspieler konsequenter.

  • Masiello verfolgt seinen Gegenspieler: In der zweiten Halbzeit riskierten die Südtiroler mehr, vor allem Masiello und Giorgini rückten mutiger heraus und verfolgten ihre direkten Gegenspieler bis weit in die gegnerische Hälfte. Foto: SALTO
  • Defensiv ok - Offensiv meh!

    Die defensiven Abläufe unter Federico Valente sind soweit ganz klar. 5-3-2/5-4-1, hohes Pressing bei gegnerischem Abstoß, danach zurückfallen in die eigene Hälfte, kompakt verschieben, Passwege schließen. Laufen. Arbeiten. Non mollare. Offensiv hingegen ist eine zu Ende gedachte Spielidee noch nicht sichtbar. Das heißt...in Ansätze schon, immer wieder ein bisschen, aber die Feinabstimmung fehlt.

  • Casiraghi im Zehnerraum: Der Topscorer der Südtiroler bewegte sich immer wieder in den Zwischenlinienraum, wurde aber nur selten angespielt. Foto: SALTO
  • Beweisstück A

    Es ist ein offenkundiges Ziel von Trainer Valente, seinen Topscorer, Daniele Casiraghi, so oft wie möglich ins Spiel zu bringen. Am besten sollte jeder Angriff über ihn laufen. Casiraghi startet meistens auf der linken Außenbahn und zieht dann mit Ball am Fuß nach innen, flankt oder sucht selbst den Abschluss. Diese Bewegung Casiraghis muss aber erst durch verschiedene Mechanismen ermöglicht werden. So muss zum Beispiel einer seiner Mitspieler - hinter oder vor ihm - eine Bewegung auf den linken Flügel machen, um Gegner zu binden oder Raum im linken Halbraum zu schaffen. Der gängiste Mechanismus ist in solchen Fällen ist das Hinterlaufen des Außenverteidigers. In diesem Fall war das Simone Davi. 

    Davi machte das schon auch, aber das war nicht so gut abgestimmt: Häufig wurde beispielsweise Davi an der Seitenauslinie angespielt, Casiraghi rückte dann ein, aber das Zeitfenster (Timing ist alles!) war zu, die Dynamik weg. Deshalb versuchte Casiraghi etwas Anderes: Er bewegte sich in den Zwischenlinienraum, schob oft sogar weit auf den rechten Flügel hinüber. Er wollte angespielt werden, am Spiel teilnehmen, dem Spiel seinen Stempel aufdrücken. Das gelang aber nicht so recht, weil die Folgeaktionen, die dieses Einrücken Casiraghis verursachten, ebenso wenig abgestimmt waren.

  • Casiraghi weicht auf rechts aus: Die Bewegungen des Südtiroler Spielmachers werden nicht gut eingebunden. Viele Südtiroler Spieler sind bis auf die letzte Linie aufgerückt, es fehlen die Anspielstationen, Ciervo bricht den Angriff ab und spielt zurück. Foto: SALTO
  • Beweisstück B

    Das Problem der mangelnden Abstimmung war auch in anderen Szenen zu bemerken. Mittelfeldspieler (etwa Tait und Casiraghi) rückten zeitgleich in dieselben Zonen, standen sich quasi im Weg. Oder die Sturmspitzen: Pecorino und Merkaj bewegten sich oft in die gleiche Richtung, ließen sich beide zurückfallen oder starteten beide in die Tiefe. 

  • Abstimmungsprobleme: Beide Stürmer des FCS starten in die Tiefe. Dadurch wäre bei Ballgewinn der Strafraum unbesetzt, das Toreschießen unmöglich. Foto: SALTO
  • Die Offensivabläufe sitzen also noch nicht. Das mag seine Gründe haben: Etwa dass viele Offensivspieler nicht ganz fit sind (etwa Raphael Odogwu), oder dass (verständlicherweise) zuerst die defensiven Mechanismen einstudiert wurden. Aber das Toreschießen bleibt das große Problem des FC Südtirol. Das wurde zuletzt noch einmal verdeutlicht, als ein Innenverteidiger das entscheidende Siegtor erzielte.