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Politik | Klimapolitik

Ein Schritt vor, ein Schritt zurück

Die Weltwetterorganisation (WMO) hat soeben in ihrem Jahresbericht 2023 bestätigt: die vergangenen 10 Jahre waren die bisher heißesten seit Beginn der Industrialisierung. Fürs Weltklima gilt die Alarmstufe Rot.
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Waldrodung in Schreckbichl (Gemeinde Eppan) im März 2024
Foto: Thomas Benedikter
  • Die Weltwetterorganisation (WMO) hat soeben in ihrem Jahresbericht 2023 bestätigt: die vergangenen 10 Jahre waren die bisher heißesten seit Beginn der Industrialisierung. Fürs Weltklima gilt die Alarmstufe Rot. Die Klimakrise mit ihren potenziell katastrophalen Auswirkungen ist schon fast ermüdend in den Medien präsent, der Klimaschutz hat seinen Platz in der Landespolitik gefunden. Nicht umsonst gibt es eine Nachhaltigkeitsstrategie und einen Klimaplan, die laut Regierungsprogramm jetzt zügig umgesetzt werden sollen. Es gibt den ersten Klima-Bürgerrat und das Stakeholder-Forum, die eher im Stillen wirken. 

    Nach außen scheint die Klimakrise für alle dringenden Handlungsbedarf aufzuwerfen, doch wer die Erderhitzung als Argument gegen ein neues Erschließungsprojekt mit Waldrodungen und Flächenversiegelung ins Spiel springt, wird eher belächelt. Man fühlt sich in unseren Breiten anscheinend noch ziemlich sicher: der Anstieg des Meeresspiegels kann uns nichts anhaben, gegen Dürreperioden haben wir Wasser genug, gegen Schneemangel rüsten wir auf mit Schneekanonen, die Energiewende haben wir dank unserer Wasserkraft schon halb geschafft, Urlauber kommen laufend mehr, weil man in Zukunft nicht mehr so viel in die Ferne fliegt. Man fragt sich, inwiefern die Politik tatsächlich die nötigen Schritte zum Ausstieg aus der fossilen Energie setzt und Klimaschutz zügig umsetzt, oder ob sie nicht dem vielfachen Druck nachgibt, wie die EU, die das Renaturierungsgesetz vorläufig abgesagt und die Reduzierung des Pestizideinsatzes um 50% bis 2030 zurückgenommen hat. 

    Als eine seiner Hauptstrategien verlangt der Südtiroler Klimaplan die „Reduktion von Tätigkeiten und Verhaltensweisen, welche direkt und indirekt zur Emission von Treibhausgasen führen“ (Klimaplan 2040, S. 14).  Im politischen Alltag wird das nicht so eng interpretiert. Hier nur drei Beispiele. Der Klimaplan sieht beim Aktionsfeld „Resilienz und Anpassung“ vor: „Wichtig ist das Ziel, die Nettoneuversiegelung bis 2030 zu halbieren und bis 2040 auf null zu bringen“ (Klimaplan 2040, S.69). Doch muss erst geklärt werden, was als Neuversiegelung eingestuft und berechnet wird. D.h. Versiegelung kann eng oder weit ausgelegt werden. Bei einem asphaltierten Parkplatz gibt es keine großen Zweifel, doch ein neuer Parkplatz mit Natursplitt oder Schotterrasen wird dann als nicht versiegelt betrachtet, obwohl er keine klimatische Ausgleichsfunktion hat. Es gibt noch kein Programm zur Entsiegelung. Andererseits gewährt man den Hotelbetrieben mit bis zu 12.000 m3 Bestandskubatur weitere 300 m3 an Erweiterungsbauten.

    Im Aktionsfeld 5.13 „CO2-Senken“ ist der Ankauf von degradierten Flächen zur Revitalisierung und als „Ausgleichsmaßnahme“ vorgesehen, doch an vielen Standorten quer durchs Land plant man den Neubau von Speicherbecken, auch mitten im wertvollsten Wald wie in Altenburg und Montiggl oder in Antholz für die Beschneiung der Biathlon-Anlagen. Als Ausgleichmaßnahme für die Rodung von mindestens 10 Hektar Wald will die Gemeinde Kaltern ein Stück Wald in Tramin kaufen. Ein Ankauf degradierter Flächen? In der Gemeinde Eppan sollen 0,5 Hektar Wald einem Stocksportzentrum weichen. Wo bleibt die Ausgleichsmaßnahme? Geht Stockschießen vor Wald- und Klimaschutz?

    Weiteres Beispiel: der motorisierte Individualverkehr soll als Oberziel im Aktionsfeld 5.3 „Personenverkehr“ bis 2037 um insgesamt 30% reduziert werden. Anders und genauer gesagt: die gefahrenen Personenkilometer müssen in 14 Jahren um fast ein Drittel sinken. Dennoch plant das Land eine ganze Reihe von überdimensionierten Ausfahrten, neue Tunnels (dritter Virgl-Tunnel) und Kreisverkehre (Beispiel Olang, Rasen-Antholz, Innichen, MeBo-Ausfahrt Eppan), um den Verkehr zu verflüssigen, was nachfolgend wieder neuen Verkehr anzieht. Zum einen pumpt das Land über die IDM viele Millionen in die Tourismuswerbung, bewirbt gezielt die touristischen Nebensaisonen, befeuert die Gästeankünfte (bisher zu über 90% mit eigenem Fahrzeug), zum anderen vergibt dasselbe IDM Nachhaltigkeitslabels. Der geplante Doppel-Kreisverkehr bei der MeBo-Einfahrt Eppan, aus Gründen der Sicherheit notwendig, versiegelt viel Kulturgrund, erfordert aufwändige Bauarbeiten und verschlingt viel Geld. Gleichzeitig plant SkyAlps mit seinem erweiterten Angebot 2024 die Marke 100.000 Fluggäste am Bozner Flughafen zu knacken. Was Einheimische an Fahrten durch Umstieg auf ÖPNV, Fahrrad und E-Auto einsparen, wird dann durch zusätzlichen Touristenverkehr, Schwerlastverkehr auf der A22 und Flugverkehr mindestens wettgemacht.

    Viele weitere Beispiele dieser Art lassen sich aus dem Alltag der Südtiroler Politik zitieren. An vielen kleinen und mittelgroßen Baustellen wird auf diese Art weitergearbeitet, planiert, gerodet, erschlossen, ausgebaut, als gäbe es keinen Klimaplan mit dem klaren Ziel „Klimaneutralität bis 2040“ und weniger Neuversiegelung. Gleich ob Speicherbecken, Almzufahrten, Straßenausbau, Grün-Grün-Umwidmung für Weiden für zusätzliche Rinder, Pistenerweiterung mit Skiliftpotenzierung, Großevents als Touristenmagnet. So fördert die eine Hand den Klimaschutz, die andere zusätzliche Treibhausgasemissionen.