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Politik | Rechtspopulismus

Rote Linie: Ja oder Nein?

Die Frage nach dem Umgang mit rechtspopulistischen Parteien steht wieder zur Debatte. Was sagen die Daten?
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
JWA
Foto: Seehauserfoto
  • Die Frage nach dem Umgang mit Rechtspopulismus ist in Südtirol zum Dauerthema geworden. Nach den letzten Regierungsbildungen sind es nun die Geschehnisse um JWA, die die Diskussion ob die radikale Rechte eingebunden oder ausgegrenzt werden soll wieder ins Zentrum der Debatte stellen. An Brisanz gewonnen hat das Ganze noch durch die zwiespältige Herangehensweise der SVP, die einerseits Rechtspopulisten in die Regierung einbindet und bei JWA gleichzeitig für die Strategie der Roten Linie plädiert. 

    Natürlich ist aufgrund struktureller Voraussetzungen der Umgang mit der radikalen Rechten eine langfristige Herausforderung, wofür (wie hier richtig angesprochen) eine radikal veränderte Wirtschaftspolitik Abhilfe bringen könnte. Die Datenlage zum Verhältnis zwischen Austeritätspolitik, Polarisierung und dem Erstarken rechtspopulistischer Parteien ist erdrückend. Solange aber die großen wirtschaftspolitischen Schalthebel im Geflecht der europäischen Governance weit abgeschottet der nationalen und regionalen Parteipolitik liegen, müssen Parteien erstmals mit kurzfristigen Strategien zurechtkommen. Was ist die nun geforderte Strategie der Roten Linie und wozu dient sie? Ist sie erfolgreich?

    Der Verzicht auf die Zusammenarbeit mehrerer Parteien mit einem radikalen Wettbewerber wird im politischen Jargon als „Cordon Sanitaire“ (Sperrgürtel) bezeichnet. Diese Strategie beruht in der Überzeugung, dass die Isolierung radikaler politischer Akteure liberaldemokratische Institutionen vor Extremisten schützt, deren Werte und Handlungen die Demokratie selbst untergraben könnten. Ihre Wirksamkeit beruht auf einer Reihe von Mechanismen: Erstens dient sie als kartellartige Blockade zu Ressourcen und Einfluss des Staates. Zweitens signalisiert sie, dass die Positionen der ausgegrenzten Partei außerhalb der vereinbarten Standards der Akzeptanz liegen. Drittens soll sie der ausgegrenzten Partei schaden, indem sie sie für strategische WählerInnen weniger attraktiv macht. 

    Sowohl in der Geschichte als auch in der Gegenwart gibt es zahlreiche Episoden dieser Praktik. Paradebeispiele sind der (zeitweilige) Umgang mit den Schwedendemokraten, dem Vlaams Blok oder der Alternative für Deutschland. Trotz der häufigen Anwendung und der unbestrittenen theoretischen Vorteile, fällt der Sperrgürtel aber nicht nur in unserem Land eher durch seine Abwesenheit auf. Warum kommen Cordons Sanitaires nicht häufiger vor? 

    Einerseits kann ein Cordon Sanitaire aus theoretischer Sicht dazu beitragen, ein gewisses Opferimage radikaler Parteien zu fördern, was ihnen große Wahlgewinne bescheren kann. Aber auch aus empirischer Sicht gibt es gute Gründe an der absoluten Tauglichkeit von Cordons Sanitaires zu zweifeln. In einer Studie der renommierten Zeitschrift Party Politics untersuchen Pedro Riera (Universidad Carlos III de Madrid) und Marco Pastor (University of Oxford) mit Daten von 266 Parteien in 196 ost- und westeuropäischen Wahlen zwischen 1972 und 2017 die elektoralen Folgen des Verzichts auf Cordons Sanitaires und die Einbindung populistischer Parteien in Koalitionsregierungen auf nationaler Ebene. Nach ihren Erkenntnissen verlieren populistische Parteien, die mit anderen politischen Kräften als Juniorpartner in eine Regierung eintreten, bei den folgenden Wahlen im Durchschnitt 7 Prozentpunkte (4 Prozentpunkte mehr als nicht-populistische Juniorpartner). Eine beachtliche Zahl. Darüber hinaus zeigt die Studie, dass die sogenannten Kosten des Regierens bei Mehrheitsregierungen mit geringen intra-ideologischen Konflikten und bei ideologisch extremeren Parteien noch größer sind. 

    Die Forscher sehen insbesondere zwei Gründe als ursächlich an: die Unfähigkeit den Anti-Establishment-Diskurs aufrechtzuerhalten und die öffentliche Bloßstellung der mangelnden Kompetenz. Aus praktischer Sicht haben die Ergebnisse eine klare Konsequenz für etablierten Parteien: Populisten als Juniorpartner in Koalitionsregierungen einzuladen ist wirksamer als die Schaffung eines Cordon Sanitaire. Wenn die etablierten Parteien parlamentarisches Einvernehmen und Kabinettsdisziplin durchsetzen können, so die Autoren, ist diese Strategie wahrscheinlich sehr effektiv, insbesondere bei radikalen Juniorpartnern. Letztere sollten es sich hingegen zweimal überlegen bevor sie in eine Regierungskoalition eintreten. 

    Mit diesen Ergebnissen im Hinterkopf könnte zumindest aus strategischer Sicht die Einbindung von FdI, Lega und den Freiheitlichen als zielführend erscheinen und das aus weiteren zwei Gründen. Obwohl Ereignisse auf der nationalen Ebene nicht kontrolliert werden können, fallen die Kosten des Regierens für Juniorpartner einer Koalition auf regionaler Ebene noch stärker aus, vor allem wenn sie zugleich auf nationaler Ebene regieren. Zudem ist klar, dass bei Koalitionen zwischen regionalistischen und staatsweiten Parteien in der Regel vor allem letztere die Kosten tragen, da sie von den WählerInnen stärker nach sozioökonomischen Kriterien bewertet werden. Eine Rote Linie gegen das JWA erscheint hingegen weniger zielführend, auch weil sie die Effektivität von (ohnehin eher nutzlosen) programmatischen Anpassungsstrategien an die radikale Rechte zusätzlich abmindern kann.  

    Abschliesend muss natürlich gesagt werden, dass solche Daten wie immer mit Vorsicht zu genießen sind. Grundsätzlich lohnt es sich zu fragen, was ein kurzfristiger Stimmenverlust rechtspopulistischer Parteien nutzt, wenn es ihnen in der Zwischenzeit gelingt, den demokratischen Grundkonsens von der Regierung aus zu untergraben. Zudem ist auch nicht klar, ob die enttäuschten WählerInnen zu etablierten Parteien zurückkehren, sich für alternative populistische Parteien entscheiden oder sich der Stimme enthalten. Die Wählerwanderungen der als Juniorpartner abgestraften Lega (in Südtirol und Italien) deuten dabei eher auf die letzteren beiden Punkte hin. 

    Dennoch glaube ich, dass diese Daten eine interessante empirische Grundlage für die Diskussion zu diesem Thema bieten, woraus Parteien und WählerInnen ihre Schlüsse ziehen können. Vor allem den WählerInnen rechtspopulistischer Parteien sollte die empirische Realität der letzten 50 Jahre klarmachen, dass ihre Parteien in einer Regierungsposition sie mit sehr großer Wahrscheinlichkeit stark enttäuschen werden. Protest und Irrtum sind aber bekannterweise auch Wesensmerkmale demokratischer Politik.