Politik | Europawahl

Der Green Deal jetzt auf der Kippe?

Die EU ist Vorreiterin im Kampf gegen den Klimawandel, der erste Wirtschaftsblock, der sich zur Klimaneutralität 2050 verpflichtet hat.Wird der Green Deal jetzt abgebaut?
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Endergebnisse der EU-Parlamentswahl 2024
Foto: BpB
  • Nicht nur das: mit dem Green Deal von 2019 und dem Klimagesetz von 2021 hat die EU ein schlüssiges Programm aufgelegt, um die Wirtschaft und Gesellschaft zu dekarbonisieren, hat eine Fülle von Planungswerken und Regulierungen aufgelegt, vom CO2-Emissionsrechtehandel für die großen Verschmutzer über das Aus für die Verbrennermotor-Fahrzeuge 2035 bis hin zur Energieeffizienzrichtlinie bei den Gebäuden. Die EU ist mit milliardenschweren Förderungsprogramen für die Energiewende eingestiegen, hat die CO2-Reduktion mit dem Ziel -55% bis 2030 betrieben, und könnte das schaffen, wenn alle Mitgliedsländer wirklich das mittragen. Sie ist als solche zu einem der wichtigsten klimapolitischen Akteure geworden. Wird das alles nach dieser EU-Parlamentswahl aufs Spiel gesetzt, gar rückgebaut?

    Könnte man meinen mit Blick auf die Sitzverteilung, auf die Verluste der Grünen und der Liberalen, die den Green Deal und die Klimapolitik wesentlich mitgetragen haben, mit Blick auf die Verschiebung der politischen Vertretung nach rechts, auch auf die Manöver der EVP, die Rechte zum Teil einzubinden. Dabei sind Teile der EVP bereits seit einem Jahr in verschiedenen Bereichen des Green Deals (EU-Agrarpolitik, Schutz der Artenvielfalt, Renaturierungsgesetz usw.) vor den Rechtspopulisten und rabiaten Bauernprotesten eingeknickt. 

    In den meisten EU-Ländern haben die Grünen gar nicht so viel verloren, sondern nur in Deutschland und Frankreich. In Italien haben sie zugelegt und in Schweden sind die Grünen zur drittgrößten Partei vor den rechten Schwedendemokraten geworden. Die Hauptverantwortung für eine konsequente Klimapolitik lag und liegt auch nicht bei den Grünen, sondern an der bisherigen Koalition auf EU-Ebene. Klimaneutralität bis 2050 ist eine von der UN und der EU gesetzte Pflicht und es liegt ganz im Interesse der EU, die Energiewende zu schaffen, von Energieimporten und Rohstoffen unabhängiger zu werden, die Wirtschaft ökologisch umzubauen. Jede Verzögerung beim Klimaschutz wird auf Europa zurückschlagen, weil der Klimawandel gerade Europa besonders trifft.

    Diese zentrale Botschaft war 2019 für den Erfolg der Grünen ausschlaggebend gewesen, hatte eine „grüne Welle“ ausgelöst, ist aber bei Millionen EU-Bürgern und Bürgerinnen als Notwendigkeit noch nicht wirklich angekommen. Für einen großen Teil der Wählerschaft ist das Hemd näher als der Rock, sie sieht die stagnierenden Einkommen und Löhne, befürchtet steigende Energiekosten und Abstriche am Lebensstandard, betrachtet Klimaschutz als einen Luxus, den man verschieben kann.

    Wegen einer noch zu wenig greifbaren Bedrohung und einem abstrakten Klimazielen auf viele gewohnte Annehmlichkeiten zu verzichten, wird als Zumutung empfunden: etwa auf den Verbrenner zu niedrigen Benzin- und Dieselpreisen, auf Fernreisen in alle Welt, auf zwei Mal Fleisch am Tag, auf billigen Strom. Dazu kam die Sorge, ob das in relativ kurzer Zeit finanziell zu stemmen sei. Eine berechtigte Sorge vor allem bei Geringverdienern, die kaum Vermögen und Ersparnisse haben, um mehr in eine klimafreundliche Heizung und Mobilität zu investieren. Das zwar berechtigte, aber schlecht konzipierte  deutsche Heizungswendegesetzes hat viele Menschen geärgert oder verschreckt. Eine Steilvorlage für die Union, die Klimapolitik der Ampelkoalition schlechtzureden, aber auch für Rechtspopulisten, die Klimapolitik überhaupt in Frage zu stellen. Doch auch Geringverdiener haben langfristig nichts zu gewinnen, wenn fossile Heizungen und Verbrennermotoren nicht ausgetauscht werden, wenn Kohleverstromung nicht schneller endet, nicht mehr Gebäude isoliert werden und die überzogene Massentierhaltung beschränkt wird.

    Deshalb kommt hier die Klimagerechtigkeit ins Spiel, die „just transition“. Die Dekarbonisierung von Industrie, Mobilität, Gebäudeheizung muss sozial abgefedert sein, um nicht neue soziale Ungerechtigkeiten und Schieflagen zu erzeugen. Es braucht eine soziale Klimapolitik, die dank öffentlicher Unterstützung Einkommensschwache nicht überfordert. Solange die Energiewende als Bedrohung dasteht, werden sich Millionen Wählerinnen Kräften hinwenden, die den Klimawandel nicht verstanden haben oder nicht verstehen wollen. Trotz dem Rechtsruck muss die EU jetzt auf dem Green Deal beharren und durchziehen, müssen die Grünen dies zur Bedingung ihrer Unterstützung einer eventuellen EU-Kommission von der Leyen II machen. Der Klimawandel lässt nicht nach, weil einige rückwärtsgewandte Populisten ihn unterschätzen oder leugnen. 

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Franz Pattis Do., 13.06.2024 - 15:43

Sehr gut beschrieben Herr Benedikter!
Besonders gefreut habe ich mich im Frühjahr 2023 als die EU das Renaturierungsgesetz verabschiedet hat! Leider wurde es bisher von den Nationalstaaten noch nicht übernommen und darüber soll meines Wissens am 17. Juni bzw. am
nächsten Montag definitiv abgestimmt werden?!
Liege ich richtig Herr Benedikter?

Do., 13.06.2024 - 15:43 Permalink
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Salto User
wartl Fr., 14.06.2024 - 19:20

Antwort auf von Franz Pattis

Ja, die nächste Abstimmung im EU-Rat ist für den kommenden Montag angesetzt. Ohne Mehrheit im EU-Rat kann die Renaturierungsrichtlinie nicht rechtskräftig werden und dort haben leider die Konservativen das Sagen. Die öst Ministerin würde gern zustimmen, darf aber wegen der Blockade in den ÖVP-dominierten Bundesländern nicht. Dabei geht wegen der landwirtschaftlichen Überproduktion (etwa bei Milch) die behauptete Versorgungsfrage an der Realität vorbei, im Gegenteil, ohne Schutz für die Insekten droht eher ein Versorgungsproblem beim Obst.

Fr., 14.06.2024 - 19:20 Permalink
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Erwin Demichiel Do., 27.06.2024 - 14:38

Ich verstehe eines nicht: wie kann man immer noch von der grünen Transition sprechen, ohne den Krieg in der Ukraine mitzudenken? Die ungeheuren europäischen finanziellen Mittel, die in die Kriegsindustrie und in die Aufrechterhaltung des ukrainischen Staates fließen – woher sollen die kommen, ohne dass die Schuldenberge der Staaten steigen und sie in anderen sozialen Bereichen von Bildung bis Gesundheit eingespart werden? Woher sollen denn die notwendigen Mittel für die sog. Klimagerechtigkeit/soziale Klimapolitik kommen? Von den Verwüstungen des Krieges in der natürlichen Umwelt und den Ausstoß von CO2 wollen wir gar nicht reden. Laut einer Studie entspricht die Menge des CO2 Ausstosses von einem Jahr Krieg der des Staates Belgien https://climatefocus.com/publications/climate-damage-caused-by-russias-…; die Produktion der Waffen wurde dabei anscheinend gar nicht mitgerechnet. Wer vom Klima spricht, darf über den Krieg nicht schweigen.

Do., 27.06.2024 - 14:38 Permalink
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Peter Gasser Do., 27.06.2024 - 15:01

Antwort auf von Erwin Demichiel

Zitat: “Die ungeheuren europäischen finanziellen Mittel, die in die Kriegsindustrie und in die Aufrechterhaltung des ukrainischen Staates fließen...”:

Und was möchten Sie jetzt konkret zum Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine sagen - ich muss hier nachfragen:
der Angegriffene, das ukrainische Volk, soll auf sein völkerrechtlich festgeschriebenes Recht auf Verteidigung verzichten, und in der Welt herrscht fortan das Recht des Stärkeren, des Eroberers?

Krieg, Landraub, Raub von Bodenschätzen, Folter, Vergewaltigung, Verstümmelung, Deportation, Assimilierung - alles wieder salonfähig, da die Verteidigung von Demokratie und Freiheit (zu) kostbar ist?

Das ukrainische Volk wird seines Staates und seiner Freiheit beraubt, weil Putin es so will - und auch Ihnen dies besser erscheint?

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zusätzlich, ein gewichtiger Kriegsgrund:
in der Ukraine gibt es im Osten gigantische Lithium-Vorkommen, vorgesehen für eine europäische Batterie-Produktion für Elektro-Autos, die jetzt Putin erKRIEGen will, um sein Öl&Gas-Geschäftsfeld zu sichern und ebenso China Europa im Batterie-Griff behalten kann. Und später hat Putin dann Europa nicht mehr im Gas-, sondern im Iiridium-Schwitzkasten.
Sehen Sie, auch für den “Green Deal” muss Putin aus der Ukraine wieder zurückgedrängt, sein Raubzug verhindert werden, sonst wird das nichts...

Do., 27.06.2024 - 15:01 Permalink