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Keine falsche Scham!

Der Politikwissenschaftler Günther Pallaver fordert die SVP auf, ihre semantischen Kapriolen aufzugeben und offen zu dem zu stehen, was sie insgeheim anstrebt: den Eintritt in die Regierung.

Durnwalder, Steger, Kompatscher
Foto: Seehauserfoto
  • Die SVP werde auch in Zukunft nicht Teil der italienischen Regierung sein – das habe sich nicht geändert und werde sich auch unter seiner Führung nicht ändern, meinte SVP-Parteiobmann Dieter Steger zur Frage, ob Roland Griessmair die Funktion eines Staatssekretärs für Minderheiten übernehmen solle. 

    Es stimmt, in der Vergangenheit hat die SVP eine Regierungsbeteiligung immer abgelehnt. Für ethnoregionale Parteien ist es nämlich alles andere als selbstverständlich, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Sprachminderheiten stehen nämlich in der Regel in einem Spannungsverhältnis mit dem Zentralstaat und sehen in diesem ein Hindernis für die eigene gesellschaftliche Entfaltung. Deshalb hat die Volkspartei beispielsweise im Jahre 1996 die Besetzung eines Ministeriums in der ersten Regierung Prodi abgelehnt und in den Regierungen D'Alema und Amato den angebotenen Posten eines Staatssekretärs für sprachliche Minderheiten gerne anderen Minderheitenvertretern im Parlament überlassen, etwa dem Kollegen aus dem Aostatal.

    Die ablehnende Haltung wurde mit dem politischen Wesen der SVP als einer Minderheitenpartei begründet. Eine Übernahme von Regierungsverantwortung würde einer „Identifizierung mit dem Staatsvolk“ und eine „innere Aufgabe der eigenen ethnischen Identität“ darstellen, schrieb der ehemalige SVP-Parteiobmann Siegfried Brugger in einer Publikation zu Minderheitenfragen im Jahre 2005.

    Eine offizielle Regierungsbeteiligung würde somit laut SVP-bedeuten, die symbolischen und staatsrechtlichen Vorbehalte gegenüber Italien aufzugeben. Außerdem will die SVP nicht riskieren, durch eine Regierungsbeteiligung die potentielle Möglichkeit des Rechts auf die äußere Selbstbestimmung zu beeinträchtigen oder zu präjudizieren.

     

    Weshalb sollte die SVP an einem ehemals aufgestellten Grundsatz festhalten, der ihrer heutigen Natur nicht mehr entspricht?

     

    All diese identitären Argumente der Vergangenheit sind in der Zwischenzeit überholt, weil die SVP von damals nicht mehr die SVP von heute ist. Laut Obmann Steger ist die SVP eine pragmatische Partei, die weder nach rechts noch nach links blickt und wie unter Silvius Magnago die Blumen am Wegrand pflückt. Auf Wanderschaft geht die SVP heute mit allen Parteien, wenn unterm Strich die eigene Rechnung stimmt. Identität oder staatsrechtliche Vorbehalte werden nur ins Feld geführt, um nach außen hin längst verblasste Alleinstellungsmerkmale zu markieren und um Teile der Wählerschaft zu beruhigen. 

    Andere ethnoregionale Parteien in Europa haben es längst vorgemacht, ohne sich deshalb bei ihren Wählern und Wählerinnen dafür legitimieren zu müssen. In eine Regierung eingetreten sind beispielswiese der Parti Wallon (Belgien), Sinn Féin (Nordirland) oder die Svenska Folkpartiet (Finnland). Die Schweden mit rund sechs Prozent der Bevölkerung in Finnland haben sogar einen Ministerpräsidenten gestellt. Keine dieser Minderheiten hatte deshalb einen Identitätsverlust zu beklagen. 

    Die Volkspartei hat in den letzten Jahren eine Reihe von Tabus über Bord geworfen. Weshalb sollte sie an einem ehemals aufgestellten Grundsatz festhalten, der ihrer heutigen Natur nicht mehr entspricht? Die SVP sollte offen und ohne semantische Kapriolen zu dem stehen, was sie insgeheim anstrebt, nämlich den Eintritt in die Regierung.