Ein Sozialpädagoge für 600 Schüler

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Obwohl sich der demografische Wandel bereits bemerkbar macht und de facto weniger Kinder an die Schulen kommen, steigt der Bedarf an Sozialpädagogen, Schulpsychologen sowie an Personal im Bereich sprachliche Integration und Inklusion. Kein geringerer als Bildungslandesrat Philipp Achammer stellte dies gegenüber der Neuen Südtiroler Tageszeitung fest. Auch der individuelle Betreuungs- und Unterstützungsbedarf habe erheblich zugenommen. Dass ausgerechnet in dieser Situation die Fördermittel des Europäischen Sozialfonds (ESF) auslaufen,die für die Anstellung von Sozialpädagoginnen und -pädagogen eingesetzt wurden, ist - gelinde gesagt - suboptimal.
Für Bildungsdirektor Gustav Tschenett ist dies allerdings kein Grund zur Sorge, da das Personal für Schulsozialpädagogik nun über stabile Landesanstellungen an Schulen eingestellt werden kann.
In der Praxis erscheint die Situation jedoch etwas komplexer, erklärt Markus Dapunt, Direktor der Fachoberschule für Tourismus und Biotechnologie „Marie Curie“ (FOS) in Meran. Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen fühlten sich nämlich übergangen. Ihr Standpunkt maniferstiert sich in der Aussage: „Wir sind kein Verwaltungspersonal.“
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Keine Stellen mehr durch den Europäischen Sozialfonds
In der letzten Förderperiode 2023–2025 habe die deutsche Bildungsdirektion Schulsozialpersonal großteils mit den Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) an Schulen beschäftigt, erklärt Bildungsdirektor Gustav Tschenett. Die neuen ESF-Ausschreibungskriterien schließen öffentliche Institutionen – und damit auch die Bildungsdirektion – von der Antragstellung jetzt aber aus. Nur noch Sozialvereine, Genossenschaften oder ähnliche Organisationen dürfen künftig Projekte einreichen.
„Alle, die die formalen Voraussetzungen erfüllen, konnten nun in ein stabiles, unbefristetes Arbeitsverhältnis überführt werden“
Dies sei aber deshalb vorteilhaft, da die Landesregierung die ESF-finanzierten Stellen in den regulären Stellenplan übernommen habe. „Alle, die die formalen Voraussetzungen erfüllen, konnten nun in ein stabiles, unbefristetes Arbeitsverhältnis überführt werden“. Für die Betroffenen bedeute dies mehr Sicherheit: Sie stünden in der offiziellen Rangordnung, und anstelle befristeter Zeitverträge würden die Sozialpädagoginnen und Pädagogen in stabilen Arbeitsverhältnissen eingestellt. Das bedeute gesetzlich gesicherte Beschäftigungsbedingungen – wie Kündigungsschutz, Besoldung nach Landesgehaltstabelle, Anspruch auf Sozialleistungen wie Krankengeld, Urlaub und Pensionsbeiträge.
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In der Praxis schwierig
Kritischer fällt die Einschätzung aus der Schulpraxis aus: FOS-Direktor Markus Dapunt schildert, dass sich laut Rechnungsschlüssel der Bildungsdirektion rund 60 Stellen für schulische Sozialfachkräfte an Südtiroler Schulen ergeben. Dieser Schlüssel orientiert sich an der Schülerzahl: Auf 600 Schüler kommt eine ganze Stelle für sozialpädagogisches Personal.
„Wir haben es im Schulalltag mit zunehmend komplexen und vielschichtigeren Problemen und Bedürfnissen unserer Schülerinnen und Schüler zu tun.“
Ob diese Stellen ausreichend sind, sei noch eine offene Frage. Bei manchen Schulen könnte dies knapp werden. Eine Viertelstelle müssen die Schulen aus dem eigenen Stundenkontingent bereitstellen, um eine Stelle für sozialpädagogisches Personal zu schaffen. Mittelfristig wird es hier sicher größeren Bedarf geben. „Angesichts dessen, dass wir es im Schulalltag mit zunehmend komplexen und vielschichtigeren Problemen und Bedürfnissen unserer Schülerinnen und Schüler zu tun haben – verstärkt auch seit der Coronapandemie – ist der Beitrag der Schulsozialarbeit sehr schätzenswert“. Dabei betont er, dass schulinterne Anlaufstellen, wie die Zentren für Information und Beratung (ZIB) beträchtlich von der engen Zusammenarbeit mit dem sozialpädagogischen Personal profitieren, das in der Regel direkt mit Sozialdiensten vernetzt ist. Das stelle, so Dapunt, „eine sehr wichtige Unterstützung im Schulalltag“ dar.
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Verwaltungsstellen bringen schmälere Gehälter mit sich
Zudem erwähnt Bildungsdirektor Tschenett, dass Schulsozialpädagogen nunmehr nicht als staatliches Lehrpersonal, sondern als Landesangestellte in den Verwaltungsapparat der Schulen eingegliedert werden sollen. Das bedeute, so Dapunt, dass diese nun als Verwaltungspersonal auf der siebten Funktionsebene eingestuft werden, anstelle der Einstellung als Lehrpersonal, mittels derer die meisten Sozialpädagoginnen und -pädagogen bisher per Direktberufung durch die Schulen eingestellt wurden.
Genau das aber bringe eine geringere Bezahlung mit sich, die dem Berufsbild nicht entspreche, wie diverse Sozialpädagogen und -pädagoginnen anonym bestätigen: „Schulsozialpädagoginnen und -pädagogen arbeiten zu 80 bis 90 Prozent an den Schülerinnen und Schülern. Die fixe Stelle mit gesicherten Beschäftigungsbedingungen ist eine positive Neuerung, aber wir sind kein Verwaltungspersonal. Wir werden mit Fällen von Gewalt in der Familie, Drogenmissbrauch und Schulabbruch konfrontiert.“
„Probleme sozialer und psychischer Natur an Schulen nehmen zu und uns wird de facto das Gehalt gekürzt. Das ist eine Situation, bei der noch viele Fragen offen sind.“
Laut Berufsbild, das von der Landesregierung 2019 festgelegt wurde, soll die Schulsozialpädagogik im Schulsystem einen zentralen Knotenpunkt zwischen Schulverwaltung, Lehrpersonen, Eltern, Schülerinnen und Schülern, psychologischen Diensten sowie Sozialdiensten bilden. Eine weitere anonyme Quelle bestätigt dies in der Praxis: „Wir bilden ein effizientes Netzwerk, das im Alltag mit einer derartig hohen Anzahl an Anfragen konfrontiert wird, die wir nach Leidensdruck priorisieren müssen, um sie bewältigen zu können. Und jetzt sollen wir als Verwaltungspersonal angestellt werden? Probleme sozialer und psychischer Natur an Schulen nehmen zu und uns wird de facto das Gehalt gekürzt. Das ist eine Situation, bei der noch viele Fragen offen sind.“
„Es wurde auf die problematische Entwicklungen reagiert“
Tschenett entgegnet, die geringeren Gehälter seien nur vorübergehend: „Bei Landesstellen steigen die Bezüge im Zwei-Jahresrhythmus, bei Staatsstellen nicht.“ Langfristig sei so eine bessere Bezahlung möglich. Psychische und soziale Probleme nähmen zwar zu, doch genau dafür habe man die Stellen geschaffen und nun institutionalisiert. Diese würden künftig eher mehr als weniger. Zusätzlich sei ein Wettbewerb für Schulpsychologinnen und -psychologen geplant – eine Reaktion auf die problematische Entwicklung.
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