Nie wieder!?

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„Es ist eine Selbstverständlichkeit, wenn man in einem demokratischen Rechtsstaat lebt, dass man antifaschistisch ist – was denn sonst?“, meinte der Politikwissenschaftler Anton Pelinka (1941–2025). Die Feststellung des vor wenigen Tagen verstorbenen Gelehrten – hier ein Nachruf von Günther Pallaver –, zieht derzeit durch die sozialen Medien und überzeugt durch ihre Klarheit.
Pelinka war von 1975 bis 2006 ordentlicher Universitätsprofessor an der Universität Innsbruck und baute dort das Institut für Politikwissenschaft mit auf. Unzählige Südtiroler Studierende haben bei ihm Prüfungen abgelegt, auch der Tiroler Historiker Gerald Steinacher besuchte Vorlesungen bei ihm. „Ja, Pelinka war einer meiner Betreuer; ich habe einige Lehrveranstaltungen bei ihm besucht“, erinnert sich Steinacher.
Aber vieles an diesen Ankündigungen ist noch unklar; man wird sehen, wie sich dies praktisch auswirkt.
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SALTO hat aus aktuellem Anlass bei Gerald Steinacher – er ist seit 2011 Universitätsprofessor für Europäische Geschichte an der University of Nebraska–Lincoln (USA) –, nachgefragt, wie er – nach der jüngsten Einstufung der Antifa als Terrororganisation durch US-Präsident Donald Trump – die Situation in den Vereinigten Staaten wahrnimmt. „Die Ankündigung, die lose Bewegung ‚Antifa‘ als Terrororganisation einzustufen, ist meiner Meinung nach in erster Linie politisch motiviert. Sie richtet sich vor allem an die eigene Wählerschaft – insbesondere an Hardcore-MAGA-Unterstützer – und macht den weltanschaulichen ‘Gegner’ vermeintlich greifbarer. Aber vieles an diesen Ankündigungen ist noch unklar; man wird sehen, wie sich dies praktisch auswirkt.“ Aus demokratiepolitischer Sicht sieht Steinacher es „jedenfalls höchst bedenklich, wenn Antifaschismus pauschal und unscharf als ‚Terrorismus‘ diffamiert“ werde, denn „die Demokratien nach 1945 waren dem antifaschistischen Grundkonsens des ‚Nie wieder!‘ verpflichtet – des Nie wieder Faschismus!“.
Historisch gesehen war die Lage in Südtirol komplex. Man konnte Antifaschist und gleichzeitig Nationalsozialist sein.
Und wie blickt Gerald Steinacher auf den Antifaschismus – historisch und aktuell – in Südtirol, wo er über ein Jahrzehnt als Archivar und Zeithistoriker im Südtiroler Landesarchiv in Bozen tätig war? „Historisch gesehen war die Lage in Südtirol komplex. Man konnte Antifaschist und gleichzeitig Nationalsozialist sein“, legt Steinacher dar. „Was auf den ersten Blick widersprüchlich erscheint, wird im zeitgeschichtlichen Kontext verständlich. Viele Südtirolerinnen und Südtiroler lehnten den italienischen Faschismus ab, unterstützten jedoch den deutschen Nationalsozialismus – und umgekehrt.“Gerald Steinacher: Universitätsprofessor für Europäische Geschichte an der University of Nebraska–Lincoln Foto: PrivatSteinacher publizierte während seiner Jahre in Bozen zur Geschichte Südtirols unter NS-Besatzung zwischen 1943 und 1945, zu Nazis auf der Flucht durch Südtirol nach 1945, zum Abessinienkrieg sowie zur Architektur des italienischen Faschismus. Die komplexe Geschichte des Antifaschismus in Südtirol erklärt der Professor für Zeitgeschichte folgendermaßen: „Entscheidend waren dabei ethnische Konflikte sowie die Spaltung der Gesellschaft entlang der Sprachgruppen. Der Nationalsozialismus wurde von vielen als ‚deutsch‘ wahrgenommen, also als Teil der eigenen kulturellen Identität. Auf italienischer Seite in der Grenzprovinz wiederum existierte eine starke Identifikation mit dem Mussolini-Faschismus, der als italienisch-nationale Bewegung angesehen wurde. Diese national-ethnischen Zugehörigkeiten überlagerten für viele die eigentliche Frage nach Demokratie oder Menschenrechten.“
All das mache die Geschichte des Antifaschismus laut dem Historiker „in Südtirol besonders komplex und ambivalent“. Passend dazu bringt er ein Zitat des Südtiroler Journalisten Claus Gatterer (1924–1984) ins Spiel. Dieser schrieb:
Der Faschismus war menschlicher, korrumpierter und gerade in den menschlichen Unwägbarkeiten leichter berechenbar – aber er sprach italienisch, er war ‚fremd‘. Der Nazismus war wohl brutaler, unmenschlicher – doch redete er immerhin deutsch. Für viele ‚gehörte er zu uns‘, weil er unsere Sprache sprach.
Und wann nahm der Antifaschismus in Südtirol seinen Anfang? Nachweislich zwei Jahre vor Gatterers Geburtsjahr findet sich am 18. Oktober 1922 eine erste Verschriftlichung des Wortes Antifaschismus in den Bozner Nachrichten. Im Artikel Faschistensiege bei Gemeindewahlen schreibt das Blatt damals: „Die Gemeindewahlen im Bezirk Rovigo (südlich von Venedig), die am Sonntag stattfanden, gingen diesmal im Zeichen des Kampfes zwischen Faschismus und Antifaschismus vor sich. Die Popolari und Sozialisten hätten sich zu einem antifaschistischen Block geformt“, heißt es darin. Und weiter: „Von den 63 Gemeinden des Bezirks eroberten die Faschisten bei der Wahl in 60 Gemeinden die Dreifünftelmehrheit.“Nur zehn Tage nach dieser Lokalmeldung aus Bozen, am 28. Oktober 1922, erreichten faschistische Truppen die Umgebung von Rom, und am 29. Oktober beauftragte König Viktor Emanuel III. Benito Mussolini mit der Regierungsbildung. Die faschistische Herrschaft in Italien begann. Fuß gefasst hatte sie jedoch schon viele Monate vorher – unter anderem auch in Südtirol. Bereits am 24. April 1921 war der Lehrer Franz Innerhofer in Bozen von italienischen Faschisten ermordet worden. Zum Antifaschismus in diesen Jahren weiß man in Südtirol wenig. Ein Großteil der den lokalen Antifaschisten zugeordneten Straftaten wartet im Staatsarchiv noch auf Aufarbeitung.
Was ist nun aber eigentlich Antifaschismus heutzutage? „Unter Antifaschismus werde kein geschlossenes Theorem verstanden, sondern der praktische Ausdruck einer vielschichtigen politischen Bewegung“, schreibt der Antifaschismus-Experte und Historiker Ulrich Schneider. Antifaschismus orientiere sich „an den Erfahrungen mit der Wirklichkeit und den historischen Verbrechen“. Und das nicht nur in Deutschland, Österreich und Italien, „sondern auch in anderen Ländern, in denen faschistische Regime an der Macht waren.“
Dass die nun von Trump ins Visier genommene Antifa eigentlich „keine feste Organisation“ ist, sondern vielmehr „ein Sammelbegriff für spontane, mehr oder weniger lokal vernetzte Gruppen“, die sich einer „bestimmten antifaschistischen Grundhaltung“ verschrieben haben, unterstreicht auch Gerald Steinacher: „Wie sich eine solche, schwer greifbare Bewegung juristisch überhaupt als Organisation einstufen ließe, bleibt fraglich. Wiederholt zitierte Vandalismusakte, die von der US-Regierung mit ‚Antifa‘ in Verbindung gebracht werden, können zudem bereits mit den bestehenden Gesetzen geahndet werden.“Weitere Artikel zum Thema
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Der Denkfehler liegt darin,…
Der Denkfehler liegt darin, die Gruppen unter der Selbstbezeichnung "Antifaschistische Aktion" mit einer antifaschistischen Grundhaltung zu verwechseln.
Es gibt z.B. auch Pädophile, die sich selbst als "neugierige Kinderfreunde" bezeichnen, doch ihre Taten haben mit Kinderfreundlichkeit nichts zu tun.
Manche "Antifa"-Gruppen handeln gegen die Meinungs- und Versammlungsfreiheit und greifen zu Mitteln wie Denunziantentum oder gar Gewalt. Das hat mit einer antifaschistischen Grundhaltung dann nichts mehr zu tun.
Daher halte ich es für wichtig, diesbezüglich ganz klar zu unterscheiden. Wer in Namen des Antifaschismus zu faschistoiden Mitteln greift, wird selbst zu dem, was er zu bekämpfen vorgibt.
Es stimmt auch, dass viele lokale Gruppen der "Antifa" völlig ok sind und vernünftige Aktionen setzen. Umso wichtiger wäre es, dass diese Leute sich auch ganz klar gegen jene stellen, die unter der Selbstbezeichnung "Antifa" übergriffig werden und Andersdenkende zu politisch Verfolgten machen wollen.
"Ach, wir / Die wir den…
"Ach, wir / Die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit /
Konnten selber nicht freundlich sein. (Bert Brecht, An die Nachgeborenen)
- Das stimmt manchmal.
"Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, daß er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein." (Friedrich Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse)
- Das auch.
Die Frage, ob man überhaupt…
Die Frage, ob man überhaupt noch gegen den Faschismus sein darf, hat angesichts der aktuellen Zusammensetzung der Südtiroler Landesregierung an Aktualität gewonnen.