Gesellschaft | Gastbeitrag

Replik eines Rückkehrers

Antwort auf den offenen Brief der Medizinstudierenden: „Kommen Sie und bringen Sie die Voraussetzungen mit“, so die kritische Replik des Rückkehrers Lorenz Larcher.
lorenz_larcher.jpg
Foto: Lorenz Larcher

"Warum sollten wir zurückkehren“, haben zu Beginn der Woche mehr als 150 Medizinstudierende in einem offenen Brief an Landesrätin Martha Stocker und Sanitäts-Generaldirektor Thomas Schael gefragt. Nach zahlreichreichen Reaktionen von politischer Seite beantwortet nun auch ein Rückkehrer selbst die Kritik der angehenden Ärzte: Lorenz Larcher, der im vergangenem Frühjahr nach seiner Facharztausbildung in Österreich als ärztlicher Leiter des landesweiten Dienstes für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie im Südtiroler Sanitätsbetrieb in seine Heimat zurückkehrt ist. In seinem nachfolgenden offenen Brief kritisiert der plastische Chirurg viele der Positionen der angehenden Ärzte scharf. 

 

Ich muss zugeben, dass ich mit relativ großem Interesse den offenen Brief der Medizinstudentin Elisa Reiterer, weiterer 152 Studierender der Humanmedizin und von sechs Ärzten auf salto.bz und das entsprechende Interview am Tag darauf in der Tageszeitung Dolomiten gelesen habe. Als Rückkehrer (Mai 2016), ehemaliger Ausbildungsarzt in Österreich, einer der habilitierten ärztlichen Leiter im Südtiroler Sanitätsbetrieb mit Ordination in Bozen und Salzburg, sehe ich mich befähigt, aber mehr noch verpflichtet, an dieser Stelle Frau Reiterer und den eventuell zukünftigen Kollegen zu antworten.

Fangen wir gleich an, wo es weh tut: Bei der EU-Arbeitszeitschutzregelung, von der ich als diensthabender Arzt in meiner Zeit in Österreich direkt betroffen war: Dieses Problem hat Österreich im Gegensatz zu Südtirol immer noch nicht so im Griff, wie es sein soll. Südtirol hatte bereits vor Einführung der Arbeitszeitschutzregelung diese Situation im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten geregelt. Viele Kliniken in Österreich setzen bis auf weiteres auf die „Opt out“-Option, also eine Umgehung der bestehenden Arbeitszeitregelungen, die mit 2021 endgültig greifen werden. Mich erstaunt und ich bedaure sehr, dass eine angehende Ärztin bereits vor Ihrem ersten Arbeitstag von einer 40-Stunden-Woche spricht, die sie durchsetzen will, und so zum Ausdruck bringt, dass sie weniger arbeiten will. Leider leidet die Ausbildung überall in der EU sehr unter dieser Zeitbegrenzung und Sie werden persönlich merken, dass der obligate Dienst nach Vorschrift Ihre Ausbildung negativ beeinflussen wird, da in den Spitälern sehr vieles nach 15 Uhr passiert – also dann, wenn der Dienst nach Pflicht getan wurde, der Arzt bereits ausgestempelt hat und am Baggersee oder sonst wo liegt.

Südtirol unterliegt im Unterschied zu Österreich einer Zweisprachigkeitsverordnung, und Sie wissen, wie wichtig diese für die Bevölkerung ist, die eben zwei- bzw. mehrsprachig ist. Sie können nicht Äpfel mit Birnen vergleichen und folglich ist der Vergleich Südtirols mit Österreich nicht zulässig. Denn hier wird ein steuerfinanziertes, mehrsprachiges Gesundheitssystems einem einsprachigen, krankenkassenfinanzierten System mit mehreren Universitätskliniken gegenübergestellt. Außerdem sollte Ihnen bekannt sein, dass es 8.699.730 Österreicher (Stand 1.1.2016) und 523.446 Südtiroler (Stand 30.09.2016) gibt.

"Daher haben Sie, mit Verlaub, in diesem Punkt unrecht"

Zum Thema der Anerkennung des österreichischen Facharztdiploms in Südtirol kann ich meine persönlichen Erfahrungen beisteuern: Ich habe die gesammelten Dokumente meiner österreichischen Facharztausbildung und Facharztprüfung im Jahr 2015 in der Ärztekammer der Provinz Bozen eingereicht. Diese Dokumente wurden daraufhin von der Ärztekammer autonom übersetzt und direkt ins Gesundheitsministerium nach Rom weitergeleitet. Nach rund zwei Monaten war mein Facharzttitel in Italien anerkannt, daher haben Sie, mit Verlaub, in diesem Punkt unrecht.

Die anmaßende Aussage, das Südtiroler Gesundheitssystem wäre für Elitestudenten, wie Sie es offensichtlich zu sein glauben, und jeden, der sich hier zu Höherem berufen fühlt, zu schlecht, gibt mir doch sehr zu denken. Ihre perfekte Zweisprachigkeit lassen Sie bitte, wie wir alle, von den entsprechenden Kommissionen beurteilen. Ganz einfach: Sie wollen im „wahnsinnig schönen Südtirol“ (Zitat aus Ihrem salto-Artikel) arbeiten, dann kommen Sie und bringen Sie die Voraussetzungen hierfür mit. Kein Mensch sagt, Sie sollen vorher nicht in anderen Kliniken und Ländern Ihren Horizont erweitern. Doch sehen Sie auch, was Sie hier erhalten. Und noch eines: Ihre Angst, die Sie in einem Ihrer früheren Interviews geäußert haben, eine „überqualifizierte Sekretärin, Kaffeetassenträgerin und Infusionsmagd” zu sein, sollten Sie überdenken und anderen Berufsgruppen im Krankenhaus von vornhinein mehr Respekt zollen, bevor Sie eben solchen für sich selbst einfordern.

Ich kann Ihnen auch sagen, dass das aktuelle Problem der Nichtanrechenbarkeit der Südtiroler Ausbildungszeiten in Wien und Rom liegt und eben nicht in Südtirol. Man ist hier auch von ärztlicher Seite mehr als bestrebt, das Problem der Nichtanrechenbarkeit der Ausbildungszeiten mit allen möglichen diplomatischen und politischen Mitteln zu lösen. Das neu eingeführte und viel diskutierte und kritisierte Ausbildungssystem in Österreich ist überdies alles andere als optimal. Zu Ihrer Information: Ausbildungen, die vor Mai 2015 begonnen wurden, werden sehr wohl anerkannt, denn mit diesem Zeitpunkt wurde in Österreich die neue Ausbildung eingeführt. Wir haben in Südtirol weiterhin mehrere von habilitierten Ärzten geleitete Strukturen, die Lehrkrankenhäuser Österreichischer Universitäten sind, so wurde erst kürzlich Prof. Armin Pycha von der Urologie in Bozen zum Ordinarius in Wien berufen.

"Sie sollten sich hier, und dazu lade ich Sie herzlich ein, einmal persönlich von der Qualität überzeugen, die in der Gesundheitsversorgung erbracht wird, statt von außen und oben zu urteilen."

Sie sagen im Dolomiten-Interview, das Niveau der Ausbildung und Patientenversorgung sei schlecht und ist auf dem Stand von vor 15 Jahren. Sie behaupten, es wird wie vor 15 Jahren operiert und man entwickelt sich nicht weiter, Sie maßen sich an, als angehende Ärztin bestausgebildeten Chirurgen wie zum Beispiel Günther Sitzmann, Leiter der Chirurgie am Krankenhaus Bruneck, dessen Lehrer kein Geringerer als Prof. Alfred Königsrainer in Thübigen war, und unzähligen anderen die Chirurgie zu lehren. Mit Verlaub, ich bin über Ihr Selbstbewusstsein erstaunt.

Ich kenne kein Sanitätssystem, das Ärzten in diesem Ausmaß Fortbildungen und die Kostenübernahme derselben ermöglicht wie jenes in Südtirol. Weiters gibt es im Südtiroler Sanitätsbetrieb viele sehr erfahrene und bemühte Ärzte, ausgezeichnete Chirurgen und hervorragende Primarii und habilitierte Professoren mit langer klinischer Erfahrung, die sehr gute klinische Abteilungen führen. Sie tun diesen Kolleginnen und Kollegen unrecht, indem Sie ein System diskreditieren und dabei das wichtigste vergessen: den Patienten! Er bzw. sie, durch eine oft lebensverändernde Krankheit, einen Unfall oder Schicksalsschlag bereits tief getroffen, wird durch die ständigen negativen Meldungen zusätzlich verunsichert.  Sie sollten sich hier, und dazu lade ich Sie herzlich ein, einmal persönlich von der Qualität überzeugen, die in der Gesundheitsversorgung erbracht wird, statt von außen und oben zu urteilen. Als Leiter des landesweiten Dienstes für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive  Chirurgie sind wir in nahezu allen Südtiroler Krankenhäusern tätig, Sie dürfen uns gerne begleiten.

Mit kollegialen Grüßen,

Doz. Dr. med. Lorenz Larcher, MRM

Ärztlicher Leiter des landesweiten Dienstes für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie im Südtiroler Sanitätsbetrieb