Der Ausschluß der Senatorin Adele Gambaro stellt den vorläufigen Tiefpunkt in der kurzen Geschichte der Fünfsterne-Bewegung dar. Die 48-jährige aus Bologna hatte es gewagt, die "aggressive Tonart" von Beppe Grillos Blog zu kritisieren. "Das macht unsere positive Arbeit im Parlament zunichte und rückt uns alle in schiefes Licht." Der Parteigründer reagierte umgehend und forderte im Internet ein Referendum über seine Person: "Ditemi se il problema sono io." Im Blog ergoß sich die übliche Lawine von Schmähungen über die "undankbare" und "korrupte" Senatorin, die "in den
Teller spuckt, aus dem sie isst." Dann fällte Grillo das Urteil: "Sie ist sich der Tatsache nicht bewußt, daß sie ihre einmalige Chance nicht wegen ihrer Verdienste erhalten hat, sondern um den Bürgern zu dienen." Gleichzeitig ordnete er Gambaro an, "die Bewegung schleunigst zu verlassen." Doch die Senatorin dachte nicht daran, sich der Weisung des Parteigründers zu fügen. Sie forderte vielmehr dessen "Entschuldigung für die beleidigenden Worte".
Nach dem Ausschluß des Senators Germano Mastrangeli wegen eines unerlaubten TV-Auftritts und dem Abgang zweier enttäuschter Parlamentarier aus Apulien stürzt der Fall Gambaro die hemdsärmelige Bewegung in neueTurbulenzen. Der von Grillo verfügte Abgang muss von
der Senatsfraktion bestätigt werden. Doch nun soll eine Abstimmung vermieden werden, um die Kluft zwischen den Lagern nicht weiter zu vertiefen. Bereits das jüngste Wahldebakel hatte wachsende Gegensätze deutlich gemacht. So hatte Adele Gambaro Grillos Feststellung kritisiert, der Vormarsch der Bewegung sei "langsam, aber unaufhaltsam." Zwei Bürgermeister in Kleingemeinden seien "kein Erfolg, sondern ein Debakel," stellte die Senatorin fest. Der neue Fraktionsprecher Nicola Morra beschönigte das Wahlergebnis gar als "Wachstumskrise", sein Vorgänger Vito Crimi wollte nach bester christdemokratischer Manier nicht von Mißerfolg sprechen. Doch die erdrutschartigen Verlustezeigen unmißverständlich, daß sich ein großer Teil der Wähler von Grillos M5S abgewandt hat. In Catania, Siracusa und Messina, wo sie noch vor gut drei Monaten über 30 Prozent der Stimmen erobert hatte, verfehlte sie den Einzug in den Gemeinderat. In Treviso sackte sie von 23 auf 6 Prozent. Drei Monate reichten aus, um die hochgesteckten Erwartungen vieler Wähler nachhaltig zu enttäuschen.
Den Ankündigungen,"das Parlament wie eine Thunfischdose zu öffnen", ließ die Bewegung keine Taten folgen. Statt den Schlüssel zur Regierungsbildung in ihrer Hand zu nutzen, war sie nur auf ängstiche Abgrenzung bedacht, verlor sich in überflüssigen Diskussionen und fiel durch ständige Turbulenzen auf. Grillos verbale Inkontinenz besorgte den Rest. Seine täglichen Schimpftiraden, Rundumschläge, Attacken und apokalyptischen Visionen sorgten für wachsende Ernüchterung. Mit Befremden registrierten die Wähler, dass Grillo plötzlich Stefano Rodotá und Milena Gabanelli ins Visier nahm, die er noch wenige Tage vorher für das Amt des Staatspräsidenten empfohlen hatte. Das Parlament, in das Grillo 160 Vertreter entsandt hatte, wandelte sich urplötzlich zum "übelriechenden Grab der Republik."
Der Fall Gambaro beweist einmal mehr, dass Kritik in der Fünfsterne-Bewegung als Störfaktor empfunden wird und lenkt das Augenmerk auf eine europaweit einmalige Anomalie. Grillo ist nicht gewählt, bestimmt jedoch als selbsternannter und autoritärer Präsident den Kurs der Bewegung und schließt im Alleingang Parlamentarier aus. Er ist Eigner des Logos und des Namens, die er dem M5S jederzeit entziehen kann und ist Inhaber des Blogs, des zweifellos wichtigsten Informationskanals der Bewegung. Dass diese Konstellation auf Dauer zu Konflikten führt, scheint unvermeidlich. Dass die Fünfsterne-Bewegung das verlorene Vertrauen zurückerobern kann, ist nicht wahrscheinlich. Sie hat es nicht verstanden, eine einmalige Chance gewinnbringend und pragmatisch zu nutzen. Über kurz oder lang scheint eine Spaltung zwischen Dogmatikern und Freigeistern unvermeidlich. Ganz nach dem Vorbild jener uralten Parteien, die das M5S beseitigen wollte.