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Foto: © Oswald Stimpfl
Chronik | Aus dem Blog von Gerhard Mumelter

Grillos Entzauberung

Nur drei Monate nach ihrem Wahltriumph scheint die Fünfsterne-Bewegung Beppe Grillos entzaubert. Die Wähler, deren Hoffnungen enttäuscht wurden, wenden sich ab. Der Konflikt zwischen dem egomanen Übervater und seinen Parlamentariern droht, die Bewegung endgültig zu spalten. Am Ausschluß einer Senatorin scheiden sich die Geister.

Der Ausschluß der Senatorin Adele Gambaro stellt den vorläufigen Tiefpunkt in der kurzen Geschichte der Fünfsterne-Bewegung dar. Die 48-jährige aus Bologna hatte es gewagt, die "aggressive Tonart" von Beppe Grillos Blog zu kritisieren. "Das macht unsere positive Arbeit im Parlament zunichte und rückt uns alle in schiefes Licht." Der Parteigründer reagierte umgehend und forderte im Internet ein Referendum über seine Person: "Ditemi se il problema sono io." Im Blog ergoß sich die übliche Lawine von Schmähungen über die "undankbare" und "korrupte" Senatorin, die "in den
Teller spuckt, aus dem sie isst." Dann fällte Grillo das Urteil: "Sie ist sich der Tatsache nicht bewußt, daß sie ihre einmalige Chance nicht wegen ihrer Verdienste erhalten hat, sondern um den Bürgern zu dienen." Gleichzeitig ordnete er Gambaro an, "die Bewegung schleunigst zu verlassen." Doch die Senatorin dachte nicht daran, sich der Weisung des Parteigründers zu fügen. Sie forderte vielmehr dessen "Entschuldigung für die beleidigenden Worte".

Nach dem Ausschluß des Senators Germano Mastrangeli wegen eines unerlaubten TV-Auftritts und dem Abgang zweier enttäuschter Parlamentarier aus Apulien stürzt der Fall Gambaro die hemdsärmelige Bewegung in neueTurbulenzen. Der von Grillo verfügte Abgang muss von
der Senatsfraktion bestätigt werden. Doch nun soll eine Abstimmung vermieden werden, um die Kluft zwischen den Lagern nicht weiter zu vertiefen. Bereits das jüngste Wahldebakel hatte wachsende Gegensätze deutlich gemacht. So hatte Adele Gambaro Grillos Feststellung kritisiert, der Vormarsch der Bewegung sei "langsam, aber unaufhaltsam." Zwei Bürgermeister in Kleingemeinden seien "kein Erfolg, sondern ein Debakel," stellte die Senatorin fest. Der neue Fraktionsprecher Nicola Morra beschönigte das Wahlergebnis gar als "Wachstumskrise", sein Vorgänger Vito Crimi wollte nach bester christdemokratischer Manier nicht von Mißerfolg sprechen. Doch die erdrutschartigen Verlustezeigen unmißverständlich, daß sich ein großer Teil der Wähler von Grillos M5S abgewandt hat. In Catania, Siracusa und Messina, wo sie noch vor gut drei Monaten über 30 Prozent der Stimmen erobert hatte, verfehlte sie den Einzug in den Gemeinderat. In Treviso sackte sie von 23 auf 6 Prozent. Drei Monate reichten aus, um die hochgesteckten Erwartungen vieler Wähler nachhaltig zu enttäuschen.

Den Ankündigungen,"das Parlament wie eine Thunfischdose zu öffnen", ließ die Bewegung keine Taten folgen. Statt den Schlüssel zur Regierungsbildung in ihrer Hand zu nutzen, war sie nur auf ängstiche Abgrenzung bedacht, verlor sich in überflüssigen Diskussionen und fiel durch ständige Turbulenzen auf. Grillos verbale Inkontinenz besorgte den Rest. Seine täglichen Schimpftiraden, Rundumschläge, Attacken und apokalyptischen Visionen sorgten für wachsende Ernüchterung. Mit Befremden registrierten die Wähler, dass Grillo plötzlich Stefano Rodotá und Milena Gabanelli ins Visier nahm, die er noch wenige Tage vorher für das Amt des Staatspräsidenten empfohlen hatte. Das Parlament, in das Grillo 160 Vertreter entsandt hatte, wandelte sich urplötzlich zum "übelriechenden Grab der Republik."

Der Fall Gambaro beweist einmal mehr, dass Kritik in der Fünfsterne-Bewegung als Störfaktor empfunden wird und lenkt das Augenmerk auf eine europaweit einmalige Anomalie. Grillo ist nicht gewählt, bestimmt jedoch als selbsternannter und autoritärer Präsident den Kurs der Bewegung und schließt im Alleingang Parlamentarier aus. Er ist Eigner des Logos und des Namens, die er dem M5S jederzeit entziehen kann und ist Inhaber des Blogs, des zweifellos wichtigsten Informationskanals der Bewegung. Dass diese Konstellation auf Dauer zu Konflikten führt, scheint unvermeidlich. Dass die Fünfsterne-Bewegung das verlorene Vertrauen zurückerobern kann, ist nicht wahrscheinlich. Sie hat es nicht verstanden, eine einmalige Chance gewinnbringend und pragmatisch zu nutzen. Über kurz oder lang scheint eine Spaltung zwischen Dogmatikern und Freigeistern unvermeidlich. Ganz nach dem Vorbild jener uralten Parteien, die das M5S beseitigen wollte.

Come in borsa, le azioni che vanno improvvisamente alle stelle dopo poche ore possono sprofondare nelle stalle. Ma che verrà dopo? Il M5S è stato una stazione intermedia verso che cosa? Ovviamente dipende da tutti noi offrire una politica all'altezza, ma ogni volta che un'illusione tramonta, la delusione si fa più profonda. Quindi questo fallimento non mi fa felice.

Do., 13.06.2013 - 22:51 Permalink

Wie immer oberflächlich und ungenau. Natürlich wurden nach den Wahlen viele Fehler gemacht, seitens des M5s. v.a. wurde der Presse, die keine Chance ausläßt dem M5s zu schaden, viel zu viel Gelegenheit gegeben dies auch zu tun. Und so gehen viel wichtigere Dinge komplett unter, kaum jemand hat mitbekommen dass gleichzeitig mit dem unwichtigen Interview einer bis dato unbekannten M5s Senatorin (Gambaro) das in aller Munde ist, der PDL gegen die Aufhebung der IMU gestimmt hat (sic...), der PD gegen die Abschaffung des Porcellum, Bossi und Maroni sich mit allen Mitteln bekriegen, der M5s bis heute 50 Gesetzesvorschläge ausgearbeitet hat usw usw. Es gäbe also einige Inhalte über die es sicher mehr lohnen würde zu schreiben als über ein paar Grillo-Parlamentarier und deren Kommentare.
Durchaus kritische Beiträge zum M5s, aber im Unterschied zu Mumelter mit Hintergrund-Wissen geschrieben, findet man bei Andrea Scanzi :
https://www.facebook.com/permalink.php?story_fbid=671366966212968&id=22…
http://www.ilfattoquotidiano.it/2013/06/13/m5s-perche-grillo-cala-e-a-v…
Viele der dort aufgezählten Kritikpunkte sollten vom M5s und seinen Abgeordneten durchaus zu Herzen genommen werden.

Fr., 14.06.2013 - 01:04 Permalink

ich denke, neben den (zu wenig bekannten konstruktiven) aktivitäten der m5s im parlament und den fehlern der anderen parteien, ist der innerparteiliche umgang mit einer meinungsvielfalt und einer daraus resultierenden entscheidungsfindung schon ein sehr wichtiger prüfstein für ein politische bewegung. wo findet sich informationen dazu bei der m5s? wird dieses infodefizit vor den landtagswahlen behoben?

Fr., 14.06.2013 - 08:34 Permalink

http://www.beppegrillo.it/movimento/codice_comportamento_parlamentare.p…
hier steht wie die Parlamentarier ihre Entscheidungen fällen (mehrheitlich innerhalb der Gruppe), und auch wie ein eventueller Auschluss aus der parlamentarischen Gruppe des M5s zu erfolgen hat (erst die Mehrheit der Gruppe dafür, dann online referendum um den Ausschluss zu bestätigen). Da Grillo nicht im Parlament sitzt, nimmt er an diesen Entscheidungen nicht teil. dass seine Meinung einen Einfluss auf die Parlamentarier hat, ist klar und auch normal. Die Nachrede dass jeder Abweichler von Grillo ausgeschlossen wird, ist aber Blödsinn, er hat laut Regeln des M5s nicht das Recht dazu.

Sa., 15.06.2013 - 00:28 Permalink

Wie immer präzis und genau, und mit dem angenehmen ironischen Unterton, den Gerhard Mumelters Recherchen seit je auszeichnen. Die "Grillini" - die heute Italien regieren könnten, wenn sie es denn gerafft hätten (zum Glück haben sie das nicht) - laufen einem pseudocharismatischen Wanderprediger hinterher, der ihnen einen raschen Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit verspricht. Aber um den Preis einer sektenähnlichen Mentalität ("wir" statt "ich"), auch um den Preis mancher faschistoider Anmutungen. Ich glaube, da sonnt sich Wutbürgermentalität in gefühlter Selbstermächtigung. Plötzlich ist jeder Experte! Aber daraus wird nichts, auf so kargem Boden ist noch nie Politik gediehen. Besser zurück zur Popper'schen Sozialtechnik der Einzelschritte.

Fr., 14.06.2013 - 16:07 Permalink

Lieber Gerhard, du bist nun zig Jahre in Rom u kennst die Verhältnisse der Macht. Mir scheint, im Moment sind die grillini dein größter Ärger, weil sie sich nicht mit Bersani alliiert haben, du bist sauer, weil sie deiner Meinung nach eine historische Chance verpasst haben. Ich habe da große Zweifel. Erstens habe ich erst kürzlich den Wissenschaftler on. Palermo gehört, wonach das Parlament wegen der maggioranze total festgefahren und dialogunfähig sei , was meine Einschätzung bestätigt hat. Die grillini wollten das ändern, wissen aber nur das Dass aber nicht das Wie. Das ist das Problem. Zweitens: mit Taktizismus (sprich den Berlusconi vor die Tür setzen) lässt sich dieses Problem nicht lösen. Laut Volksmeinung helfe nur mehr eine gewaltsame Lösung, was ich nicht glaube. DARÜBER müssen wir aber nachdenken, es hilft nix wenn wir uns darüber ärgern! Grillo ist kein Politiker sondern ein temperamentvoller Schauspieler, aber unter den grillini gibt es viele intelligente Leute. Da muss ein Dialog herauskommen!

Sa., 15.06.2013 - 17:15 Permalink

Mein Fazit, auch im Lichte der Reaktionen: Wer an die Demokratiefähigkeit (und die Zukunftsfähigkeit) des Grillo-Modells glaubt, lese mal aufmerksam Thomas Manns "Mario und der Zauberer" (Mario e il mago) von 1930 (!) - derselbe Herdentrieb, dieselbe Gehirnwäsche, der gleiche hohle Zauber...

So., 16.06.2013 - 13:33 Permalink

Zugegeben, der Chef verhält sich echt daneben. Wie sieht aber die Alternative aus? Gerade was Demokratiefähigkeit Herdentrieb und Gehirnwäsche angeht? M5S ist noch jung und wird sich noch stark verändern, ich bin gespannt.

Mi., 19.06.2013 - 10:54 Permalink