Vor einigen Jahren lud eine besorgte Klassenlehrerin zu einer außerordentlichen Sitzung. Es gäbe ein Problem in der Klasse, man müsse unbedingt darüber reden, bevor es zu spät sei, meinte sie mit Kummermiene. Ich befürchtete das Schlimmste, dachte an Missbrauch, Drogen, familiäre Zerwürfnisse. Bei der Sitzung dann, große Überraschung: So ginge es nicht weiter, nächstes Jahr sei Matura, und die SchülerInnen krebsten alle nur bei Note sechs, maximal sieben rum. Dabei könnten einige von ihnen durchwegs Achter, ja Neuner schreiben! Mir entglitten die Gesichtszüge. Die meisten meiner Kollegen hingegen nickten zustimmend.
Den Rest der Sitzung verbrachte ich damit, angestrengt zu versuchen, mein Lachen zu unterdrücken. Auch der Kollege neben mir schien unberührt, dass er aber innerlich den Scheibenwischer machte, entging mir nicht. Wenn das schwerwiegende Probleme waren, dann glückliche Schule! Eine Parallelklasse wurde von den Kollegen als leuchtendes Beispiel hingestellt: Lernwillig! Strebsam! Ehrgeizig! Diese hier hingegen: Faul. Kindisch. Prokrastinierer in Reinform. Ich hatte beide Klassen. Und die, in der ich gern meine Zeit verbrachte, nein, das war nicht die hochgelobte.
Während die Faulenzer heimlich unter dem Pult whatsappten, rechneten die Braven bei jeder Gelegenheit ihren Notendurchschnitt aus, um ihn gefühlt minütlich zu aktualisieren und den MitschülerInnen unter die Nase zu reiben.
Während die Faulenzer heimlich unter dem Pult whatsappten, rechneten die Braven bei jeder Gelegenheit ihren Notendurchschnitt aus, um ihn gefühlt minütlich zu aktualisieren und den MitschülerInnen unter die Nase zu reiben. Während die Kindsköpfe zu jeder Abgabe von Texten regelrecht geprügelt werden mussten, dann aber kreative Sachen ablieferten, wenn auch auf Fresszetteln und garantiert am Morgen im Schulbus geschrieben, lagen die Essays der Pflichtbewussten bereits gestapelt auf dem Pult, wenn ich die Klasse betrat: Einwandfreies Englisch, formal korrekt, Inhalt zum Gähnen. Während die Chaoten bei Diskussionen begeistert einstiegen, grauenhafte Fehler machten, aber kritische Denke bewiesen und durchblicken ließen, dass sie, entgegen dem Eindruck des Kollegiums, seit dem „Räuber Hotzenplotz“ doch noch ein und das andere Buch oder Magazin aufgeschlagen hatten, starrten mich die Artigen gelangweilt und stumm an. Für Redebeiträge gab es keine Noten, also warum mitmachen? Sie planten in Gedanken schon ihre Karrieren in Paris, London, Tokyo, als Börsianer oder Herzchirurgen. Die anderen planten ihr Wochenende. Nicht, dass an Ehrgeiz und Pflichtbewusstsein per se etwas auszusetzen wäre, im Gegenteil. Aber wenn daneben die sozialen Kompetenzen fehlen, verkommen diese Tugenden zum blanken Egoismus.
Natürlich, es gab die Ausnahmen in jeder Klasse, aber der Grundtenor war jeweils dieser, und ich erinnerte mich jetzt an sie, als ich die Bilder der für das Klima streikenden SchülerInnen in Fernsehen und Social Media sah, und mitbekam, wie – sorry! - abgefuckt die Öffentlichkeit über sie urteilte. Viel wichtiger als das, was da auf ihren Bannern und Plakaten stand, schien nämlich zu sein, ob sie denn nicht eigentlich brav die Schulbank drücken sollten, anstatt da ungefragt ihre Meinung kundzutun.
Ich weiß nicht, mir erscheint das ja peinlich kleinlich. Wenn jemand mich drauf aufmerksam macht, dass mein Haus brennt, sag‘ ich doch auch nicht: „Ja, mag sein, aber müssten Sie nicht eigentlich bei der Arbeit sein?“ Offenbar tickt ein nicht unbeträchtlicher Teil der Erwachsenen aber genau so, denn die Frage musste sowohl bei
„Pro und Contra“ , als auch bei
Stol erörtert werden, und wow: 69 Prozent der TeilnehmerInnen an letzterer Umfrage glauben nicht, dass SchülerInnen an einem Samstag zur „Klimademo“ gehen würden. Mich würde ja interessieren, wie viele dieser 69 Prozent, egal ob Arbeitstag oder Wochenende, fürs Klima auf die Straße gehen würden. Vermutlich ein einstelliger Prozentsatz, weil bringt ja eh nix. Lieber fahren wir weiterhin mit dem Diesel durch die Gegend, konsumieren tonnenweise Sushi in Plastikverpackung und kaufen dafür zur Gewissensberuhigung nur mehr Bambuszahnbürsteln. Ja, ich rede auch von mir. Dass wir von unserer Untätigkeit und Unwilligkeit, etwas zu ändern, aber damit ablenken wollen, dass wir den Idealismus der Jungen lächerlich machen und als Vorwand zur Schwänzerei abtun , ist einfach nur hochgradig schäbig.
Wenn jemand mich drauf aufmerksam macht, dass mein Haus brennt, sag‘ ich doch auch nicht: „Ja, mag sein, aber müssten Sie nicht eigentlich bei der Arbeit sein?“
Lassen Sie es sich gesagt sein, wer blaumachen will, der findet einfachere Mittel und Wege als an einer Demo teilzunehmen und dafür eine unentschuldigte Absenz zu kassieren, die sich auf die Betragensnote auswirkt.
Eine geschätzte Freundin hat es darin zur Meisterin gebracht: Sie versteckte sich nach dem Frühstück im Kleiderschrank, bis die Eltern, die sie an der Bushaltestelle wähnten, das Haus verlassen hatten. Dann stieg sie wieder ins warme Bettchen um bis Mittag ungestört weiterzuratzen. Im Entschuldigungsheft stand „familiäre Gründe“, unleserliche Unterschrift, keine weiteren Fragen. Sowas macht man an Tagen, an denen unliebsame Tests anstehen, sicher nicht an einem Tag, an dem es garantiert keine Leistungskontrolle gibt, sondern die Lehrperson einen Film einschiebt, weil man mit nur drei Hanseln in der Klasse eh nicht mit dem Stoff weitermachen kann. Ergo, wer schwänzen will, geht am Tag des Klimastreiks in die Schule, weil da eh nix passiert und man mittags chillig heimgehen kann statt in Bozen mit so strengen Plakaten rumzuwachteln.
Meine Faulenzerklasse wäre sicher zur Demo gegangen, hätte es genossen laut zu werden und wäre wahrscheinlich danach ebenso mit Genuss beim „Maccies“ eingekehrt um gar nicht klimafreundliche Burger zu verdrücken. Vielleicht hätten sie auch ihre Plakate einfach in die Stauden geworfen, anstatt sie fachgerecht zu entsorgen, und damit den Blutdruck der empörten Erwachsenen noch weiter in die Höhe getrieben. Vielleicht hätten sie aber auch Gefallen daran gefunden, sich zu engagieren, für etwas einzutreten, vielleicht wäre etwas von der ganzen Sache hängen geblieben und ein kleines Flämmchen in ihnen angegangen, das fortan immer ein bisschen mehr brennen und Dinge zum Guten verändern will.
Die vermeintlich Vorbildhaften hingegen, nein, die wären geschlossen im Unterricht gesessen, hätten fleißig weitergebüffelt, damit ja nix an Stoff versäumt wird, der eventuell irgendwann bei der Matura abgefragt werden könnte. Sie hätten sich amüsiert über die Naivlinge mit ihren Parolen und ebenso zynisch wie wir Erwachsenen gemeint: Bringt ja eh nix. Will heißen: Bringt mirnix.
Wenn das die Jugend ist, die wir uns wünschen, kleine Lernroboter, die nur aufs eigene Weiterkommen bedacht sind, wenn wir Leistung höher bewerten als Empathie, Pflichtbewusstsein höher als Mündigkeit, dann habe ich eigentlich keine Probleme mit dem Klimawandel. Dann ist es vielleicht ganz gut, wenn die Erde mal Pause von uns macht.