Gesellschaft | Gastkommentar

Ein Blick auf die Sprachgemeinschaft

Aktuelle Diskussionen zu kritischen Momenten des Sprachkontakts
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Immer öfter sind in den aktuellen Diskussionen zu kritischen Momenten im sprachlichen Zusammenleben in unserem Land von Ressentiments geprägte Forderungen zu vernehmen. Zuletzt bei der Diskussion um die Sprachproblematik in der Sanität. Wem hier einfache Lösungen vorschweben, hat die Details vergessen. Es wird gefordert, „die Aus- und Weiterbildung des Pflegepersonals um Übersetzungs- und Dolmetschqualifikationen zu erweitern, die fakultativ belegt werden können“. Solche fakultativ erreichten Qualifikationen entsprechen nicht dem Niveau von gerichtlich geprüften und vereidigten Übersetzern und Dolmetschern, denen die juridische Verantwortung für die Übersetzungen übertragen werden könnte. Gerade im Gesundheitsbereich sind Zweifelsfälle mit weitreichenden Konsequenzen vorstellbar, die keine Leerstellen im Bereich der Verantwortung gestatten.

Ein Patentrezept ist also auch die Anstellung von externen Dolmetscherinnen nicht. Zu welchen Mitteln man auch greifen mag, es handelt sich um Hilfskonstruktionen für den Arzt oder die Ärztin, die ihre Verantwortung nicht abgeben können. Übersetzungsfehler, die zu „Kunstfehlern“ führen können, würden den Ärzten angelastet werden, nicht den Dolmetscherinnen.

Die Arbeit im mehrsprachigen Umfeld ist mehr denn je Teamarbeit, die auf Vertrauen gründet und die eine Haltung verlangt, wo jeder jeden unterstützt und wo man respektvoll miteinander umgeht und miteinander spricht.

 

In welcher Sprache sprechen?

 

In Südtirol gibt es Beispiele von Exzellenz, die eigentlich Beispiele für die Normalität sein müssten. In den Büros des Bauernbundes hört man nur die deutsche Standardsprache in vielen Nuancen der Südtiroler Varietät. In den Krankenhäusern dominiert hingegen der Dialekt. Wenn in einem mehrsprachigen Umfeld wie dem Sanitätswesen die deutsche Standardsprache kaum Verwendung findet, dann gibt es Probleme. Wird am Arbeitsplatz nicht die deutsche Standardsprache verwendet, dann sind anderssprachige Pflegerinnen und Ärztinnen von Anfang an sprachlich ausgeschlossen und haben keine Möglichkeit, die neue Sprache am Arbeitsplatz zu lernen und zu üben.

Dass Ärzte bei der Erstvisite deutschsprachige Patienten sofort im Dialekt ansprechen, als ob sie sie von einer gemeinsamen Bergtour kennen würden, wäre in Österreich und in Deutschland undenkbar. In den Südtiroler Spitälern ist es gelebte Praxis.

Die Arbeit im mehrsprachigen Umfeld ist mehr denn je Teamarbeit.

Wer will und kann für diese Situation die Verantwortung übernehmen? Wer übernimmt die Verantwortung dafür, dass Neuankömmlinge im Südtiroler Sanitätsbetrieb die Chance erhalten, die deutsche Sprache spontan am Arbeitsplatz zu lernen und so ihre Kompetenz zu erweitern? Wer tut etwas, damit sie sprachlich bei uns aufgenommen werden?

Wer in eine neue Sprachgemeinschaft Eingang findet, erlebt Lernen als Erfahrung, kann die gelebte Erfahrung als Lernen nutzen. Was kann getan werden? Was immer getan werden kann, muss von einer Gemeinschaft getan werden, einer Gemeinschaft, die sich verantwortlich fühlt für das Gelingen der Integration und für die Bewältigung der sprachlichen Herausforderungen in unserer Gesellschaft.

 

Diskussion zur Mehrsprachigkeit an der unibz

 

Die Freie Universität Bozen wurde mit großem Elan gegründet als Symbol für das Erreichte und in Gedanken an das Neue, das für Südtirol nun erreichbar geworden war. Unibz war als Universität für die jungen Südtiroler konzipiert worden und die Gründer rechneten mit einer Generation von Studierenden, die beide Landessprachen auf der Schule gelernt haben und die mit Englisch als dritter Sprache auf die Herausforderungen des neuen Jahrtausends als dreisprachig ausgebildete junge Menschen vorbereitet werden sollten. Das war die Voraussetzung für das dreisprachige Modell unserer Universität. Dass mehr als 20 Jahre nach der Gründung von unibz die sprachliche Bildung der heimischen Studenten noch immer nicht das angestrebte Niveau erreicht hat und auch heute noch nicht erreicht, war nicht vorherzusehen.

Unibz ist ein Indikator des Zustands der Sprachen in Kontakt in Südtirol.

Unibz hat Studenten aus vielen Ländern und es ist kein Geheimnis, dass die Studentinnen und Studenten aus Südtirol sprachlich nicht an vorderster Stelle stehen. Viele haben deutliche Defizite in der deutschen Sprache, der Standardsprache, die auch die Bildungssprache der Südtiroler ist. Wenn solche Defizite in der Kompetenz der Muttersprache als Folge eines unangemessenen Unterrichts in der Mittel- und Oberschule entstehen, dann ist es sehr schwer, in der arbeitsintensiven Phase des Universitätsstudiums diese Defizite zu beheben.

Unibz ist also ein Indikator des Zustands der Sprachen in Kontakt in Südtirol. Man kann den Indikator nicht einfach umformen zur Lösung des Problems, indem man den Nachweis der Sprachkenntnisse abschafft und die Zertifizierung „verschenkt“. Dieser Vorschlag wurde vor einigen Tagen im Landtag diskutiert und mit großer Mehrheit zurückgewiesen. Das eigentliche Thema, die Ursache für diesen Zustand, blieb dabei außer Betracht.