Ich leide. Ich leide, seit einiger Zeit schon, am raptus homöopaticus, der mich unvermittelt in den Apotheken meines Bezirks befällt. Der Ablauf ist immer der selbe: Ich betrete eine Apotheke, die sich auf den ersten Blick seriös und vertrauenserweckend gibt (keine Slot Machine im Wartebereich, keine Tarotkarten im Schaufenster), verlange an der Theke etwas gegen dies oder das und bekomme ein Präparat angeboten. Soweit, so gut. Dann der kritische Moment: Auf meine lauernde Frage, ob das meist zu einem stattlichen Preis Dargebotene homöopathisch sei, antwortet der oder die ApothekerIn mit einem arglosen „Ja!“. Ich atme ein. Nun nimmt der Raptus seinen Lauf, und zu meinem Erstaunen, trifft er die ApothekerInnen fast immer unvorbereitet. Nur um klarzustellen: Ich tobe nicht. Ich schimpfe nicht. Ich bin ein friedfertiger Mensch, auch wenn Sie als KennerIn meiner Kolumne vielleicht Einspruch erheben möchten. Aber ich verwehre mich dagegen, für ein ernstes Anliegen, das ich habe, Nutzloses angedreht zu bekommen. Nicht in einer Apotheke. Nicht von jemandem, der Pharmazie studiert hat, und genau weiß, was er oder sie da macht: Nämlich ein Präparat verkaufen, das keinen Wirkstoff enthält. In so einem Moment, liebe ApothekerInnen, unterscheidet ihr euch nämlich null vom dahergelaufenen Grander-Wasser-Vertreter oder der windigen Handauflegerin. Obwohl: Letztere glauben womöglich wirklich an ihr Produkt oder ihre „Gabe“. Ihr hingegen seid euch bewusst, dass ihr da gerade versucht habt, mir ein Fläschchen stinknormale Zuckergrallellen um zehn Euro anzuhängen.
Okay, der Placebo-Effekt, ich weiß es ja. Die Mittelchen, die eigentlich keine sind, also nennen wir sie beim Namen: die Scheinmedikamente wie Globuli, Bachblüten, Schüssler Salze etc., die keinen nachweisbaren Wirkstoff enthalten (nein, das tun sie wirklich nicht) „wirken“ höchstens insofern, als dass die Anwender glauben, sich selbst etwas Gutes mit ihrer Einnahme zu tun, folglich ruhiger und positiv gestimmt sind, was sich vorteilhaft auf den Genesungsprozess auswirken kann. Der Placebo-Effekt funktioniert übrigens auch stellvertretend, weshalb Eltern den Eindruck haben, das Baby schreit weniger, oder der Bauer meint, der Kuh geht’s besser (ja, was soll ich sagen), dabei sind sie es selbst, die im Vertrauen auf die Homöopathie gelassener werden und so beruhigend auf Kind und Vieh wirken. Aber sollten Apotheken mit diesem Glauben wirklich Geschäfte machen? Klar, es braucht sie und die ganze wissenschaftliche Aufmachung der Grallellen und Wasserlen, damit der Hokuspokus funktionieren kann. Der Mensch will ja dran glauben, dass es was bringt, und das wird nicht klappen, wenn er statt der Globuli im Supermarkt um ein Bruchteil des Geldes „Tic Tac“ kauft und einwirft, weil es da keine pseudowissenschaftlich verschwurbelte Geschichte drumherum gibt. Was ihre Zusammensetzung betrifft, so unterscheiden sich „Tic Tac“ und Globuli eigentlich nur dahingehend, dass Globuli zu hundert Prozent aus Saccharose, sprich gewöhnlichem Haushaltszucker bestehen, während bei den“ Tic Tac“ doch noch ein, zwei andere Inhaltsstoffe dazukommen. Ist es seriös, wenn Apotheken mir also im Grunde magische „Tic Tac“ verkaufen wollen? Ich finde nicht. Ich finde, es ist eine Beleidigung des gesunden Menschenverstandes.
Glauben Sie mir: Wenn die Nerven aufgrund von Schlafentzug und Stress so dünn sind, dass man kurz vor dem Halluzinieren steht, dann erscheinen einem aufgeklärten Geist auch Voodoo oder Runenwerfen als praktikable Möglichkeiten.
Dementsprechend schroff reagiere ich, wenn mir nun also ein homöopathisches Produkt angeboten wird, das erst auf Nachfrage als solches geoutet wird. So auch beim letzten Mal, was die Apothekerin irritierte und zu hastigen Konsultationen mit ihrer Kollegin im Hinterzimmer führte („Gibsch ihr holt…“ „Sell will sie net!“ - ratloses Schweigen.) Anscheinend kommt es sehr selten vor, dass jemand ausdrücklich nichts Homöopathisches haben will, was mich etwas beunruhigt. Die SüdtirolerInnen gaben 2017 900 Millionen Euro fürs Glücksspiel aus, die Meraner 3.400 Euro a testa. Summen, die schockieren. Ich würde gerne wissen, wie viel Herr und Frau Südtiroler für etwas ähnlich Sinnloses ausgeben, denn statt Homöopathie könnten sie sich einen Kamillentee genehmigen und auf dessen heilsame Wirkung hoffen, oder ein Glas Rotwein, oder Schokolade. Kostet meist dramatisch weniger und zeigt effektiv beruhigende Wirkung. Ich glaube, die Zahl würde uns alle plätten. Und doch, mea culpa, ich habe ja auch selbst dazu beigetragen: Immer, wenn ich mich besonders schlau und aufgeklärt fühle, belehrt mich der Blick in mein Badezimmerschränkchen eines Besseren. Dort stehen sie, zwar schamhaft in die Ecke gedrängt, aber doch in stattlicher Zahl, die kleinen braunen Fläschchen mit weiß-rotem Etikett eines lokalen Zuckergrallelle-Herstellers: Arnika DH30 und Belladonna DH6, Calcium Phosphoricum DH12 und Chamomilla DH6, usw. Klingt wissenschaftlich, ist aber immer nur „10g globuli di saccarosio“.
Ich hatte ein Baby, das viel schrie, und eine Hebamme, die, wie so viele von ihnen, Globuli-Anhängerin war. Half das eine Mittelchen nicht, musste man halt ein anderes probieren, und glauben Sie mir: Wenn die Nerven aufgrund von Schlafentzug und Stress so dünn sind, dass man kurz vor dem Halluzinieren steht, dann erscheinen einem aufgeklärten Geist auch Voodoo oder Runenwerfen als praktikable Möglichkeiten. Eine geleerte Brieftasche und immer noch schreiendem Kind später beschwerte ich mich bei der Hebamme, dass nichts half, worauf sie endlich mit der Sprache herausrückte: Mein Kind sei halt eben so. Punkt. Dass manche Unannehmlichkeiten, sei es Zahnen, Schnupfen, Juckreiz oder eben Babygeschrei einfach ausgehalten werden müssen und von alleine vorübergehen, den Mut, das auszusprechen, den wünsche ich allen Hebammen und auch den Haus- und Kinderärzten, da letztere erfahrungsgemäß meist schnell darin sind, uns zugegebenermaßen nervige Mütter und Väter, die nur zu oft wegen Lappalien anklopfen, mit einem „quick fix“ wie den Globuli abzuspeisen. Ich lobe mir den meinen, der sich die Zeit nimmt, mir zu erklären, dass er wohl irgendwas aufschreiben könne, ich aber genauso gut einfach abwarten und die Sache sich selbst erledigen lassen könne, weil sie so dramatisch nicht ist. Nähmen sich mehr Mediziner die Zeit, ihre Patienten aufzuklären und zu beruhigen, müssten letztere ihre Beruhigung nicht aus den eigentlich wirkungslosen Wasserlen und Grallellen schöpfen.
Ich verwehre mich dagegen, für ein ernstes Anliegen, das ich habe, Nutzloses angedreht zu bekommen. Nicht in einer Apotheke. Nicht von jemandem, der Pharmazie studiert hat.
„Was nicht nützt, schadet nichts“, könnte man denken, aber auch das trifft nicht zu. Neben den Kosten verleitet die Homöopathie dazu, immer gleich etwas einnehmen zu wollen, was auch zu einem leichtfertigeren Umgang mit wirklichen Medikamenten führen kann, da man sich sozusagen daran gewöhnt, bei jedem Wehwehchen etwas zu schlucken. Ebenso kann der Glaube an sie dazu führen, auch ernsthafte Erkrankungen mit Globuli und Co. zu „therapieren“, und die dringend nötige wirkliche Therapie so hinauszuschieben. Das kann schlimmstenfalls tödlich ausgehen, wie im Fall eines Siebenjährigen aus den Marche.
Homöopathie ist also per se wirkungslos, aber nicht harmlos, und deshalb verstehen sie nun meinen eingangs geschilderten Raptus hoffentlich besser. Der ist übrigens gut ausgegangen: Ich musste gar nicht auf das an der Kasse ausgestellte „Globuli-Notfallset im modischen Lederetui“ zurückgreifen, sondern bekam letztendlich etwas Pflanzliches ausgehändigt. War doch gar nicht so schwer, Herr und Frau Apotheker. Verbannen Sie Globuli und Co. doch dorthin, wo sie hingehören: In den Esoterik-Shop. Dort können sie neben Wünschelrute und Heilkristallen auf die gutgläubigen KäuferInnen warten.