Chronik | Maskenaffäre Teil 2

Der Folgeauftrag

Was man verschweigt: Der Sanitätsbetrieb hat bei der Oberalp noch eine zweite, weit größere Bestellung von Schutzbehelfen getätigt. Es geht dabei um 25 Millionen Euro.
Oberalp masken
Foto: Sabes
Schutzmasken schützen nicht nur vor dem Virus. Sie führen anscheinend auch dazu, dass entscheidende Informationen bei manchen Politikern und öffentlichen Verwaltern durch die Maske gefiltert werden.
Nur so ist es erklärbar, wie man seit über einem Monat die Südtiroler Öffentlichkeit an der Nase herumführt.
Denn was bisher rund um die Südtiroler Maskenaffäre bekannt wurde, ist nur die Spitze eines Eisbergs. Im Ermittlungsakt des Bozner Staatsanwaltes Igor Secco liegen Dokumente und Unterlagen, die das wahre Ausmaß der Sache deutlich machen. Konkret geht es dabei um rund 40 Millionen Euro. Und um die Ausleuchtung einer Privat-Public-Partnership, die gut gemeint, am Ende aber katastrophal getroffen scheint.
Dass die direkt Verantwortlichen weiterhin beharrlich über diese Dinge schweigen, hat einen einfachen Grund: Die schiere finanzielle Dimension  der Angelegenheit darf nicht bekannt werden.
 

Die Affäre

 
Am 17. März 2020 schließt der Sanitätsbetrieb mit dem Südtiroler Sportartikelhersteller Oberalp Group einen Vertrag zur Lieferung von Schutzausrüstung aus China ab. Oberalp lässt über seinen chinesischen Partner eine Million chirurgische Masken, 500.000 KN95-Atemschutzmasken, 400.000 Einweg-Schutzanzüge und 30.000 Schutzanzüge für den aseptischen Gebrauch produzieren. Die Gesamtpreis dafür: 9.302.000 Euro.
Oberalp übernimmt aus eigner Kasse die gesamte Vorfinanzierung des Kaufes sowie der Transportkosten. Laut Vertrag fungiert aber der Südtiroler Sanitätsbetrieb selbst als Importeur der Ware. Deshalb werden die Transportkosten später gesondert verrechnet.
Der erste Teil dieser Masken und Schutzausrüstung kommt über den Flughafen Wien am 24. März in Bozen an. Rund um den Transport wird eine österreichisch-südtirolerische Polit-Publicity-Aktion inszeniert, in der sogar der österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz beweihräuchert wird.
 
 
In den Tagen danach beginnt man mit der Verteilung der Schutzausrüstung. Zuerst in den Sanitätsbetrieben, den Altersheimen und in den öffentlichen Gesundheitseinrichtungen.
Am 6. April 2020 enthüllt Salto.bz, dass dem Sanitätsbetrieb seit rund einer Woche zwei Gutachten vorliegen, nach denen die gelieferten chinesischen Atemschutzmasken nicht sicher sind und deshalb „nicht verwendet“ werden sollten.
Weil eines der Gutachten aus Versehen an 15 hohe Funktionäre des Sanitätsbetriebes und die Leiter der Südtiroler Krankenhäuser übermittelt wird, werden alle Empfänger von Generaldirektor Florian Zerzer an einem Sonntagabend Ende März angerufen und ersucht, die Mail und das Gutachten umgehend zu löschen. Ebenso wird die Korrespondenz auf dem Computer der Generaldirektion gelöscht.
Ich habe die Mail nur archiviert und die Mitarbeiter ersucht, vertraulich mit dem Gutachten umzugehen“, rechtfertigt Florian Zerzer den Vorfall. Zudem habe man das Sanitätspersonal angewiesen, beim Tragen der Masken besondere Vorsichtsmaßnahmen walten zu lassen.
In den Wochen danach spitzt sich die Affäre aber zu. Es wird bekannt, dass die Schutzbehelfe keine EU-Zertifizierung haben. Weil das zuständige Arbeitsversicherungsinstitut INAIL ein negatives Gutachten abgibt, muss die Verteilung nicht nur der Masken, sondern auch der Schutzanzüge umgehend gestoppt und alle ausgegeben Schutzbehelfe aus dieser Lieferung wieder eingezogen werden. Sie dürfen bis heute nicht verwendet werden.
 

Der 2. Auftrag

 
Nach den Salto-Enhüllungen wird umgehend auch die Staatsanwaltschaft tätig. Die Carabinerisondereinheit NAS beschlagnahmt im Büro von Florian Zerzer, in den zuständigen Ämtern des Sanitätsbetriebes und auch am Sitz der Oberalp die gesamte Dokumentation zum Maskendeal. Zudem werden über ein halbes Dutzend Personen angehört. Es wird auch bekannt, dass sowohl Generaldirektor Florian Zerzer als auch Oberalp-CEO Christoph Engl inzwischen ins Ermittlungsregister eingetragen wurden.
Weniger bekannt aber ist, auf was die Ermittler in ihrer Arbeit gestoßen sind.
Denn der bisher bekanntgewordene Auftrag ist nur ein Teil eines weit größeren Geschäfts.
Sechs Tage, nachdem der erste Vertrag mit der Oberalp über 9,3 Millionen Euro unterzeichnet wurde, vergibt der Sanitätsbetrieb an dasselbe Unternehmen einen Folgeauftrag.
Am 23. März 2020 übermittelt der Sanitätsbetrieb an die Oberalp schriftlich eine weitere verbindliche Bestellung. Bestellt werden dabei 3 Millionen chirurgische Masken, eine Million KN95-Atemschutzmasken, 800.000 Einweganzüge und 400.000 sogenannte "Schutzanzüge für den aseptischen Gebrauch". Der Gesamtpreis: 28.490.000 Euro.
Auch in diesem Fall übernimmt das Unternehmen Oberalp die Vorauskasse und überweist das gesamte Geld nach China. Erst damit läuft die Produktion der bestellten Ware an.
Am 31. März 2020 kommt es dann zu einem Treffen der Spitzen des Sanitätsbetriebes mit den Oberalp-Vertretern. Dabei ändert der Sanitätsbetrieb seine Bestellung noch einmal ab. Die Anzahl der chirurgischen Masken wird auf 4,5 Millionen, jene der KN95-Masten auf 1,5 Millionen Stück und jene der Schutzanzüge auf eine Million aufgestockt.
 
 
Deutlich reduziert wird hingegen die Bestellung der Schutzanzüge für den aseptischen Gebrauch: von 400.000 auf 100.000. Weil diese Anzüge mit einem Stückpreis von 27,90 Euro das weitaus teuerste Produkt in der Palette sind, verringert sich der Gesamtpreis der Bestellung: auf 25.085.000 Euro.
Am 2. April gibt der Sanitätsbetrieb der Oberalp schriftlich grünes Licht für diese Lieferung.
Bedenkt man, dass am  29. März 2020 bei Florian Zerzer das Gutachten des Wiener Amtes für Rüstung und Wehrtechnik eingegangen ist, und bereits zuvor das genauso negative Gutachten des deutschen Prüfinstitutes DEKRA, laut denen die KN95-Masken fehlerhaft sind und nicht eingesetzt werden sollen, dann ist diese Bestellung wohl mehr als nur fahrlässig. Sicher: Es kann nicht ausgeschlossen werden, das die zweite Lieferung qualitativ besser ist als die erste. Dennoch müsste selbst Florian Zerzer  in Anbetracht der beiden negativen Gutachten und der Tatsache, dass es sich um denselben chinesischen Hersteller handelt, daran seine Zweifel haben.
Vor diesem Hintergrund wird auch verständlich, warum die beiden Gutachten unbedingt so schnell wie möglich „archiviert“ werden mussten.


Die Kosten

 
Die Gretchenfrage aber ist jetzt: Was passiert mit der 25-Millionen-Euro-Lieferung?
Die gesamte Ware steht seit zwei Wochen am Flugplatz in Xiamen in China abholbereit. Der Sanitätsbetrieb wird die Ware demnach nicht nur importieren, sondern wohl auch bezahlen müssen. Es gibt schriftliche Dokumente, aus denen eine eindeutige Beauftragung der Oberalp hervorgeht. Nach Informationen von Salto.bz hat das Unternehmen den Sanitätsbetrieb bereits formell zur Einhaltung des Vertrags und zur Zahlung der 25 Millionen Euro aufgefordert.
Allein die Materialkosten für diesen Maskenball belaufen sich für den Südtiroler Sanitätsbetrieb damit auf 34.387.000 Euro. Am Ende werden es aber eher 40 Millionen werden, denn es kommt noch eine Reihe von relevanten Folgekosten hinzu.
Das zeigt sich bei der ersten Oberalp-Lieferung für ursprünglich 9,3 Millionen Euro.
Der erste Teil der Lieferung wurde am 24. März mit zwei Passagierflugzeugen der AUA nach Wien geliefert. Der Sanitätsbetrieb hat der Oberalp bereits 705.603,22 Euro für diese Flüge zurückgezahlt.
Ein weiterer Teil dieser Lieferung wurde durch eine Transportmaschine der italienischen Luftwaffe nach Mailand und von dort nach Bozen geliefert. Die Kosten dafür hat der italienische Zivilschutz übernommen. Ende März gab es aber auch noch einen weiteren Transportflug nach Wien. Hierfür hat der Sanitätsbetrieb weitere 365.000 Euro an die Oberalp zurückgezahlt.
 
 
Weil die Auslieferung und der Gebrauch der Schutzanzüge aber gestoppt werden mussten, liegt ein Teil der Schutzanzüge aus der ersten bereits bezahlten Lieferung immer noch in einem Lager am Flughafen in Xiamen. Dafür muss die Oberalp Miete zahlen, die sie ebenfalls dem Sanitätsbetrieb verrechnet hat. Bisher rund 200.000 Euro.
Wie genau man im Betrieb von Heiner Oberrauch ist, zeigt sich aber an einem anderen Detail. Der Großteil der Lieferung aus China ist medizinisches Material. Laut den gesetzlichen Bestimmungen kann der Sanitätsbetrieb die Ware aber nur dann übernehmen, wenn die Verpackung intakt und nicht beschädigt ist.
Die Lieferung aus China wurde aber in Passagierflugzeugen transportiert, in denen die Ladung auf den Sitzen festgebunden wurde. Auf den Fotos und Videos, die das Ausladen zeigen, wird deutlich, dass viele Kartons Risse und Schäden aufweisen. Deshalb musste die Oberalp rund 25.000 Kartons in ihrem Verteilerzentrum umpacken, bevor man sie ausgeben konnte.
Dafür hat das Unternehmen eine Zahlungsaufforderung an den Südtiroler Zivilschutz geschickt. 5 Euro pro Karton, insgesamt rund 125.000 Euro. 
Nach Informationen von Salto.bz haben die NAS-Beamten in der Südtiroler Zivilschutzzentrale Dokumente und Mails dazu beschlagnahmt.
 

Der Rettungsring 

 
Man hat insgesamt vier Anläufe gemacht, um das Oberalp-Material beim INAIL zu zertifizieren. Alle vier Gutachten fielen aber negativ aus. Deshalb geht man jetzt einen anderen Weg, der gesetzlich möglich ist.
Der Sanitätsbetrieb hat eine Expertenkommission ernannt, die die Schutzanzüge und die Masken prüfen und zertifizieren soll. Diese Aufgabe liegt durchaus in der Kompetenz des Südtiroler Zivilschutzes.
 
 
Die Kommission besteht aus der Primaria der Abteilung Infektionskrankheiten des Krankenhauses Bozen, Elke Maria Erne, dem Direktor des Präventions- und Schutzdienstes des Sanitätsbetriebes der Autonomen Provinz Trient, Giancarlo MurerPatrick Franzoni, stellvertretender Einsatzleiter der Covid-19 Taskforce, Christiana Winkler, Leiterin des Arbeitsschutzdienstes in der Landesverwaltung  und dem Kommandanten der Bozner Berufsfeuerwehr, Florian Alber.
Die Kommission hat bereits zweimal getagt“, sagte Generaldirektor Florian Zerzer am Donnerstagnachmittag auf der Landespressekonferenz. Laut Zerzer hätte die Kommission sowohl für die Einwegschutzanzüge (sie sollten eigentlich wasserundurchlässig sein, was bei diesen Anzügen aber offenbar nicht der Fall ist) wie auch für die aseptischen Schutzanzüge ein "positives" Gutachten erteilt. „Sie können mit Beschränkungen bei Bedarf verwendet werden, wenn es keine Alternativen gibt“, erklärte der Generaldirektor.
Diese Alternativen gibt es natürlich nicht. Denn in Wirklichkeit ist das der einzige Ausweg, um aus dem potentiellen 25-Millionen-Debakel zu kommen, das seit Wochen abholbereit in China liegt.
Ach wie gut, dass niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß.