Liebe Rai, eigentlich betrachte ich dich ja als gute Freundin: Du bist frühmorgens schon da, wenn ich mir den Kaffee in die Tasse kippe und hast meistens was Interessantes zu berichten. Ich hör dir zu, noch bevor ich den anderen Familienmitgliedern aufhorche, und das will was heißen.
Morgentelefon, Mittagsmagazin, Radio Wohnzimmer: lauter Pflichttermine für mich. Von anderen weiß ich, dass sie im Auto rechts ran fahren, wenn „Derfrogg und gfundn“ über den Äther geht, um ja kein Wort zu verpassen, wenn die Erna aus Hinterpsaier ihre weinroten Kuchlvorhäng aus den 60ern gegen einen Rasenmäher eintauschen möchte. Haut mich jetzt persönlich nicht vom Hocker, genauso wenig wie dein Musikgeschmack, der mir schon so manchen Seufzer abgerungen hat, aber guten Freunden lässt man ja einiges durchgehen.
Es gibt Menschen in meinem Freundeskreis, die stehen auf Andreas Gabalier, und ich mag sie trotzdem. Ja, meine Großherzigkeit ist bewundernswert.
Damit das mit uns nicht passiert, liebe Rai, möchte ich dich im Folgenden an drei Tatorte führen, an denen du mich letzthin das Grausen gelehrt hast.
Dennoch widerfährt mir mit dir, liebe Rai, in letzter Zeit Ähnliches wie mit so manchen Bekannten, die urplötzlich „in Zeiten von Corona“ mit Äußerungen auffallen, die ich ihnen so nicht zugetraut hätte. Da kommen ganz neue, nicht sehr schöne Seiten zum Vorschein, die ich bei manchen lieber nicht gesehen hätte. Da werden Sichtweisen hochgerülpst, Verhaltensweisen an den Tag gelegt, die mich diese Freundschaften überdenken lassen.
Dabei ist im Grunde ja nichts Schlechtes daran, wenn man mal nicht einer Meinung ist, im Gegenteil.
Wenn ich mich nur mit Menschen umgebe, die so denken, fühlen, handeln wie ich, woher soll dann der Input kommen, der mich meine Einstellungen hinterfragen und gegebenenfalls adjustieren lässt? Es ist bequem und gemütlich in der Meinungsblase, gut fürs Ego sowieso, aber die Luft wird dann doch auch sehr schnell stickig bei so viel gegenseitigem Schulterklopfen und Selbstbeweihräucherung. Dann doch mal lieber raus und schauen, was sonst so los ist.
Problematisch wird’s nur, wenn das, was uns am Anderen irritiert, irgendwann die Oberhand gewinnt und alles Verbindende in den Hintergrund tritt. Damit das mit uns nicht passiert, liebe Rai, möchte ich dich im Folgenden an drei Tatorte führen, an denen du mich letzthin das Grausen gelehrt hast. In der frommen Hoffnung, dass es Ausrutscher waren, die unsere Beziehung nicht nachhaltig belasten. Seufz.
Tatort eins ist noch recht frisch, da dampft es sogar noch. Die
Ankündigung des Schreckens auf Facebook war für mich in etwa so, wie wenn man die gute Freundin komplett besoffen auf dem Dorffest tanzen sieht und merkt, die fängt jetzt auch noch an, sich auszuziehen. Man will sie davor bewahren, ihr den eigenen Mantel umlegen und sie rausführen aus der Menge der schadenfrohen Gaffer, aber natürlich schreit sie: “LASS MICH!“, und das Elend nimmt seinen Lauf.
Jedenfalls war an einem Tag, an dem du, liebe Rai, von steigenden Infektionszahlen in Südtirol berichtet hast, an dem der immer noch
quarantänierte Corona-Landesrat Widmann im Morgentelefon eindringlich vor der zweiten Welle warnte, an dem in deinen Nachrichten die Rede von überfüllten Stränden voller Regelbrecher*innen war, an eben jenem Tag durfte in der Sendung „
Zwölf nach zwölf“ ausgerechnet ein Corona-Leugner
seine fahrlässigen Botschaften loswerden.
Klar, er selbst bezeichnete sich nicht als solchen, und gewiss war es auch nicht die Intention des Interviewers, dem Pharmazeuten und ehemaligen Globuli-Fabrikanten eine Bühne für seine größtenteils jeglicher Grundlage entbehrenden Behauptungen zu bieten, sondern vielmehr, ihn zu demontieren. Das ist aber gründlich in die Hose gegangen. Wenn dem Interviewten die Chance gegeben wird, Fakten zu verdrehen indem sie ihm serviert werden, ohne nochmal nachzuhaken, anstatt umgekehrt, seine Aussagen einer Prüfung zu unterziehen, dann bleibt bei den Hörer*innen genau Folgendes hängen: Corona ist eine starke Grippe, wir sind alle grundlos hysterisch, und die Toten wären einen Monat später sowieso an anderen Gebrechen verstorben.
Und, ach ja, Mundschutz, Händewaschen und Abstandhalten: Auch alles total überflüssig. Als flöge uns nicht jetzt schon unsere Nachlässigkeit um die Ohren. Entgegen
der Meinung mancher Kommentator*innen geht es bei der Kritik an diesem Beitrag nicht darum, einem „
Andersdenkenden“ den Mund zu verbieten oder gar „
Meinungsfaschismus“ (Renate Holzeisen, ernsthaft?) zu betreiben.
Sie würden sich von mir hoffentlich auch keine Lösung des Nahost-Konflikts erwarten, nur, weil ich mal einen Artikel zum Thema gelesen habe.
Halten wir fest: Wir befinden uns in einer Pandemie. Die Lage ist nach wie vor ernst. Genannter Herr ist kein Wissenschaftler und kein Mediziner, und kann auch sonst über keinerlei Qualifikationen aufweisen, die ihn berechtigen würden, uns hier Einschätzungen und Handlungsvorschläge zu übermitteln. Sie würden sich von mir hoffentlich auch keine Lösung des Nahost-Konflikts erwarten, nur, weil ich mal einen Artikel zum Thema gelesen habe.
Wieso lässt man also einen Laien eine Pandemie verharmlosen, und das im Öffentlich-Rechtlichen? Wenn akute Waldbrandgefahr herrscht, befragen Sie dann einen Pyromanen dazu, weil seine Meinung auch zählt? Wie viel ist diese Meinung dann wert, wem dient sie, außer denen, die auch scharf aufs Zündeln sind?
An Tatort zwei ging’s weniger gefährlich, aber nicht minder schauerlich zu. Ich sage nur: Sommergespräche. Was frisch und sprudelnd klingt wie ein köstlicher Sommer-Aperitivo, entpuppte sich leider als üble Brühe. Wer einen belebenden Hugo erwartete, dem wurde ein klebrig-unausgegorener Zeno serviert. Dabei wäre da doch so viel Potential!
Aber klar: an insgesamt fünf Tagen bereits Mitte Juni abgedreht (so viel zur Aktualität), thematisch eine wilde Melange aus lustig, ernst, privat und offiziell auf zehn Minuten eingekocht: Dass das Resultat da von vorneherein kein großer Wurf sein kann, leuchtet ein. „Sommerquickie“ wäre der passendere Begriff, wird doch von allem nur schnell ein bisschen was geliefert.
Picksüß am Start, wenn Interviewer Braitenberg sein gegenüber duzt und im Dialekt ein Hoppala zu entlocken versucht, das dann aber ausgeblendet wird: Das schmeckt nach unangenehmer Kumpelei und geht höchstens als Antiwitz durch.
Darauf die bemühten Versuche investigativ zu sein, jetzt hochdeutsch und per Sie („Ulli Mair, gibt es Rassismus in Südtirol?“ „Nein.“ Okay.), die ohne kritisches Nachfragen sofort versanden und dem Ganzen den Esprit einer durchgespielten Pressekonferenz geben.
Das Setting, irgendwo im Freien, zaggi zaggi, stehend am Mikrofon: Der Charme einer Pinkelpause. Wollen Sie mit sowas wirklich einen Sommerabend ausklingen lassen? Nein, dann doch lieber den Hugo und Glotze aus. Das kannst du besser, liebe Rai, viel besser. Das wissen wir alle.
Wer einen belebenden Hugo erwartete, dem wurde ein klebrig-unausgegorener Zeno serviert.
Zuallerletzt, Tatort drei. Der, zugegeben, nicht allen als solcher aufgefallen sein wird. Wohl aber den Rechtschreib- und Grammatikpolizist*innen unter uns.
Liebe Rai, welch diabolisches Spiel treibst du auf deinem Online-Nachrichtenportal? Anfangs sah es noch nach Nachlässigkeit aus, nach Versehen und Flüchtigkeit. Mittlerweile sind die Böcke, die du dort sprachlich schießt, dermaßen institutionalisiert, dass man grausame Methode dahinter vermuten muss. Hast du intern eine Wette laufen, wer uns Nörgler*innen auf Twitter am schnellsten in den Wahnsinn treiben kann („Schaug amol, wos i desmol zommgschriebn hon: Zehn Fehler in uan Sotz!“ „Boah, jo wenn sie iatz net an Nervenzusommenbruch kriagn, nor woas i aa net!“), oder diktierst du ganz einfach deine Nachrichtentexte kaugummikauend über Whatsapp und lasst das verschriftlichte Resultat dann einfach so stehen?
Ich habe derart letzthin eine Freundin gefragt, ob sie Lust auf Leder hat, habe es dann aber händisch mit „Lido“ ersetzt, weil es mir dann doch etwas peinlich gewesen wäre. Dieses Schamgefühl vermisse ich bei manchen deiner Texte, die mittlerweile nur noch der
Twitter-Account der Brennerbasisdemokratie unermüdlich korrigiert: Wir anderen haben längst aufgegeben. Du hast also gewonnen, wir werden nie wieder mäkeln, du kannst jetzt wieder korrektes Deutsch schreiben,
Stichwort: Bildungsauftrag. Bitte. Tu das. Ansonsten sehe ich den Tag kommen, an dem mir meine Schüler*innen auf die Mahnung, sie sollten doch auf ihre Sprache achten, antworten werden: „Mir gleich, i geah eh zur Rai.“ Autsch.